Gefangenenaustausch: Nähern sich Armenien und Aserbaidschan?

    Analyse

    Erzfeinde tauschen Gefangene aus:Nähern sich Armenien und Aserbaidschan an?

    von Sebastian Ehm
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    Armenien und Aserbaidschan tauschen Gefangene aus, was die Hoffnung auf ein Friedensabkommen zwischen den Erzfeinden nährt. Doch zum Frieden ist es noch ein langer Weg.

    Archiv:  Ilham Alijew, Präsident von Aserbaidschan, äußert sich bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz nach ihrem Gespräch im Bundeskanzleramt.
    Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew agiert aus einer Position der Stärke (Archivfoto).
    Quelle: dpa

    Es war ein historischer Moment als das Büro des armenischen Premierministers Nikol Paschinjan und das des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew am Donnerstag ein gemeinsames, wortgleiches Statement veröffentlichten: "Die Republik Armenien und die Republik Aserbaidschan teilen die Ansicht, dass es eine historische Chance auf Frieden in der Region gibt."

    Überraschender Schritt nach Kampf um Bergkarabach

    Nach Verhandlungen der beiden Länder wurde ein Gefangenenaustausch vereinbart. Baku lässt 32 armenische Soldaten frei, Eriwan seinerseits zwei aserbaidschanische. Es sei, so die beiden Staatsführer, ein Zeichen des Humanismus und des guten Willens.
    Tatsächlich kommt dieser Schritt überraschend, erst Ende September griff Aserbaidschan das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Bergkarabach an und sorgte damit für einen Massenexodus. Jetzt, nur zwei Monate später, gehen beide Konfliktparteien aufeinander zu.
    29.09.2023, Armenien, Goris: Ethnische Armenier aus Berg-Karabach und Beobachter der Europäischen Union fahren mit ihren Autos an einem Kontrollpunkt auf der Straße von Berg-Karabach nach Goris vorbei.
    In Bergkarabach herrscht eine gespenstische Stimmung. Über 100.000 Armenier haben ihre Heimat verlassen. Dauerpräsent ist das Militär und die Polizei Aserbaidschans.04.10.2023 | 6:39 min

    Großes Misstrauen vor Frankreich

    Marcel Röthig ist für die Friedrich Ebert Stiftung zuständig für die Region. Für ihn ist vor allem bemerkenswert, dass die gemeinsame Erklärung ohne internationale Vermittlung zustande gekommen ist. Während man in Aserbaidschan großes Misstrauen vor allem vor der pro-armenischen Haltung des EU-Mitglieds Frankreich habe, sehe man in Armenien Russland nicht mehr als wichtigsten strategischen Partner.

    Es scheint, dass das Abkühlen des Verhältnisses zu den Partnern nun dazu geführt hat, dass man gewillt ist, wieder direkt miteinander zu sprechen.

    Marcel Röthig, Büroleiter Kaukasus der Friedrich Ebert Stiftung

    Die Frage, die sich nach dieser Annäherung nun viele Beobachter stellen, ist, ob dies ein erster Schritt Richtung Friedensabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan sein könnte. Die beiden Länder sind seit Jahrzehnten verfeindet. Vor allem um die Region Bergkarabach wurden mehrere Kriege geführt. Auf beiden Seiten wurden zehntausende Menschen vertrieben und getötet.

    Aserbaidschan agiert aus Position der Stärke

    Doch für Marcel Röthig steht ein Friedensabkommen noch nicht unmittelbar bevor, auch wenn Armenien in der Frage so flexibel sei wie lange nicht.

    Aserbaidschan hat keine Eile, einen baldigen Vertrag abzuschließen. Die größte Frage aus aserbaidschanischer Sicht, Bergkarabach, gilt als gelöst. Nun verhandelt man aus einer Position der Stärke, um seine Maximalforderungen durchzusetzen.

    Marcel Röthig, Büroleiter Kaukasus der Friedrich Ebert Stiftung

    Die Maximalforderung für Baku ist ein freier Weg in die Exklave Nachitschewan, die vom Kernland Aserbaidschan durch Armenien getrennt ist. Für diesen Weg würde man am liebsten eine alte Straße wieder öffnen und diese benutzen, ohne Pass- oder Zollkontrollen. Armenien will das bisher nicht zulassen. Auch weil der Nachbarstaat Iran, ein wichtiger Verbündeter Eriwans, auf keinen Fall eine direkte Landverbindung zwischen der Türkei, Nachitschewan und Aserbaidschan bis ans kaspische Meer erlauben will.
    Für Aserbaidschans Präsidenten Aliyew ist eine direkte Verbindung nach Nachitschewan eine außenpolitische Priorität, doch es könnte einen Flächenbrand in der Region bedeuten und den wird Aliyew nicht riskieren. Er scheint im Moment auf Verhandlungen zu setzen. Innenpolitisch allerdings hat der Präsident die Zügel zuletzt straffer gezogen. In der Hauptstadt wurden mehrere regimekritische Journalisten festgenommen, die über Korruption in der Präsidentenfamilie berichtet hatten.

    Präsidentschaftspalast in Baku: Vorgezogene Neuwahlen im Februar

    Trotzdem sitzt Ilham Aliyew in Aserbaidschan fest im Sattel. Kritik an ihm und seiner Politik wird in Baku allenfalls hinter vorgehaltener Hand geäußert und selbst dann erkennen viele Aserbaidschaner seine außenpolitischen Erfolge an. Mit Bergkarabach hat er ein jahrzehntealtes aserbaidschanisches Trauma gelöst und sein Land dabei international nicht isoliert. Auf internationalem Parkett hatte er sich in den vergangenen Jahren äußerst geschickt bewegt.
    Mit Russland waren die Beziehungen nie so eng, dass man ihn dafür hätte kritisieren können, aber mit Moskau gebrochen hatte er auch nicht. Mit der EU handelte er Öl- und Gasdeals aus, wohlwissend, dass Brüssel diese Abkommen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine dringend braucht. Die Kritik der EU-Länder an seinem Vorgehen in Bergkarabach fiel entsprechend leise aus.     
    Am 7. Februar, das gab der Präsidentenpalast diese Woche bekannt, soll es in Aserbaidschan vorgezogene Wahlen geben. Der Präsident Ilham Aliyew will sich, so scheint es, des Rückhalts in der aserbaidschanischen Bevölkerung versichern. Ein egal wie gearteter Erfolg in Verhandlungen mit Armenien käme Aliyew vor dem Urnengang sicher nicht ungelegen.
    Sebastian Ehm ist ZDF-Korrespondent für Russland, die Kaukasus-Region und Zentralasien.

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