Angriffe auf Charkiw: Ukrainische Luftabwehr überlastet
Analyse
Schwere Angriffe auf Charkiw:Ukrainische Luftverteidigung überlastet
von Christian Mölling und András Rácz
|
Drei russische Angriffe auf Charkiw mit überwiegend ballistischen Raketen richten massive Schäden an. Und der ukrainischen Luftabwehr gehen die modernen Raketen aus.
Ukrainische Arbeiter beseitigen Trümmer in Charkiw.
Quelle: epa
Am 23. Januar 2024 führte Russland drei separate Raketenangriffe auf die Stadt Charkiw durch. Der erste fand um 4 Uhr morgens statt, der zweite gegen 7:20 Uhr und der dritte am Abend. Bis zum nächsten Tag sind insgesamt zehn Menschen getötet und Dutzende verwundet worden. Die Schäden an Wohnhäusern und ziviler Infrastruktur sind beträchtlich.
Unterdessen berichteten nicht einmal russische Quellen, dass militärische Einrichtungen getroffen worden sind. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass behauptete "nur", dass "ein Standort ausländischer Söldner getroffen wurde".
Für Militärexperte Mölling ist es unklar, wer die russische Militärmaschine abgeschossen hat. Die Ukraine sieht er im Krieg wegen mangelnder Munition geschwächt.
25.01.2024 | 5:08 min
Angriffe auf Charkiw: Hat Russland die Abwehr des Patriot-Systems getestet?
Die verstärkten Angriffe waren Teil einer Serie auf die Region Charkiw. Allein in der letzten Woche führte Russland insgesamt 19 Raketenangriffe durch, bei denen etwa 25 S-300-Luftabwehrraketen im Boden-Boden-Modus sowie drei Iskander zum Einsatz kamen. Auch Kh-22-Schiffsabwehrraketen kamen zum Einsatz, obwohl sie gegen Bodenziele bekanntermaßen ungenau sind.
Ein interessantes Element der Angriffe vom 23. Januar war, dass Russland bei diesen Angriffen keine Drohnen aus iranischer Produktion (Shaheed) einsetzte, die häufig zur Überlastung der ukrainischen Luftabwehr verwendet werden. Stattdessen wurden Marschflugkörper eingesetzt, die Täuschkörper abwerfen können.
Deutschland hat zugesagt, der Ukraine sechs Militärhubschrauber zu senden, so der Verteidigungsminister Pistorius. Die ukrainische Großstadt Charkiw erlitt einen weiteren Angriff.24.01.2024 | 0:21 min
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Angriffe auch dazu dienten, die Effizienz dieser neuen Abwehrmechanismen zu testen. Der Einsatz von Shaheed-Drohnen hätte die Bewertung des Ergebnisses erschwert.
... leitet das Programm "Europas Zukunft" für die Bertelsmann Stiftung in Berlin. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Warum konnten die Angriffe auf Charkiw nicht abgefangen werden?
Ankommende S-300 fliegen, ähnlich wie die Iskander, auf einer ballistischen Flugbahn und mit sehr hoher Geschwindigkeit. Daher sind sie durch die meisten ukrainischen Luftabwehrsysteme praktisch unverwundbar, mit Ausnahme der modernsten, von denen die Ukraine nur das Patriot-System besitzt. Kiew verfügt Berichten zufolge nur über einige wenige Batterien des Patriot-Systems, von denen eine zum Schutz der Stadt Charkiw stationiert ist.
Die massiven Schäden, die durch die russischen Angriffe verursacht wurden, deuten darauf hin, dass die in Charkiw stationierte Patriotbatterie höchstwahrscheinlich keine Munition mehr hat. Es könnte aber auch ein anderes Problem vorliegen, das sie daran hinderte, zumindest einige der ankommenden Raketen abzuschießen.
Teilerfolg für Kiew: Zwei fliegende Kommandozentralen Russlands wurden abgeschossen. Kann Putin die ukrainische Defensive durchbrechen? Militärexperte Reisner bei ZDFheute live. 18.01.2024 | 34:59 min
Russland will ukrainische Luftabwehr überlasten
Unter diesem Gesichtspunkt zeigen die drei Angriffswellen gegen Charkiw wahrscheinlich, dass Russlands Strategie, die ukrainische Luftabwehr zu überlasten und die Vorräte an modernen Luftabwehrraketen auszutrocknen, erste Früchte trägt. Der sehr konzentrierte Einsatz billiger S-300 im ballistischen Raketenmodus richtete sich wahrscheinlich gezielt gegen die Patriots, um deren Munition zu verbrauchen.
All dies bedeutet natürlich nicht, dass die Ukraine wehrlos geworden wäre, nicht einmal in Charkiw. Die Ereignisse vom 23. Januar 2024 zeigen jedoch, dass die Ukraine dringend modernere Luftverteidigungssysteme und jede Menge Raketen dafür braucht.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:
Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.