WHO warnt vor Alzheimer: Warum sie bis 2030 zur Todesursache wird

Interview

Todesursache Alzheimer:"Lebenserwartung ist der größte Risikofaktor"

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Studien weisen darauf hin, dass Alzheimer 2030 die dritthäufigste Todesursache sein wird. Paola Barbarino, Vorsitzende von "Alzheimer’s Disease International", zu den Gründen.

Die mit der Positronen-Emissions- Tomografie (PET) erstellte Abbildung zeigt die Gegenüberstellung zweier Gehirne - im gesunden Zustand (l) und mit Alzheimer-Krankheit.
Schlechte Ernährung und Tabakkonsum: Die Risikofaktoren für Demenz sind denen für andere große Krankheiten sehr ähnlich. (Symbolbild)
Quelle: dpa

ZDFheute: Was sind die Ursachen dafür, dass Alzheimer bald weltweit die dritthäufigste Todesursache sein wird. Liegt es daran, dass die Menschen immer älter werden?
Paola Barbarino: Die längere Lebenserwartung ist in gewisser Weise der größte Risikofaktor. Es gibt mehr Menschen, die länger leben und das ist in vielerlei Hinsicht natürlich wunderbar. Aber das führt überall zu einem enormen Druck auf die Gesellschaft. Man möchte vermuten, dass dies vor allem in Ländern mit hohen Einkommen passiert. Doch dort stagnieren die Zahlen.

In wirtschaftlich schwächeren Ländern dagegen steigt die Zahl der Alzheimer-Erkrankungen rapide an, weil dort in Sachen Lebenserwartung aufgeholt wird.

Paola Barbarino, Vorsitzende von "Alzheimer’s Disease International"

Ansonsten sind die Risikofaktoren für Demenz ganz ähnlich denen der beiden anderen großen Erkrankungen Krebs und kardiovaskuläre Erkrankungen: schlechte Ernährung, Tabakkonsum und mangelnde Bewegung.

In Deutschland leben derzeit etwa 1,8 Millionen Menschen mit Demenzerkrankungen. Etwa zwei Drittel davon werden in der häuslichen Umgebung von Angehörigen betreut und gepflegt.

Jährlich erkranken rund 300.000 Menschen neu. Ungefähr 60 Prozent davon haben eine Demenz vom Typ Alzheimer.

Die Zahl der Demenzerkrankten wird bis 2050 auf 2,4 bis 2,8 Millionen steigen, sofern kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt.

Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V.

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ZDFheute: Seit 2017 gibt es einen globalen Aktionsplan der WHO gegen Demenz, der jetzt verlängert werden soll. Was sind die Eckpunkte?
Barbarino: Zunächst muss Demenz als eine Priorität in der Gesundheitspolitik eines jeweiligen Landes anerkannt werden. Im zweiten Schritt muss das Bewusstsein im Umgang mit der Krankheit geschärft werden. Die dritte Priorität ist das Bekämpfen der Risikofaktoren. Der vierte Schwerpunkt liegt auf der Diagnose und der Behandlung der Krankheit. Der fünfte Punkt ist die Unterstützung derer, die Demenzkranke pflegen. Der sechste Punkt ist der Austausch von Daten und siebtens die Forschung.

In Genf wird zur Zeit die 78. Weltgesundheitsversammlung abgehalten. Alzheimer's Disease International will in diesem Rahmen darauf aufmerksam machen, dass die Erkrankung dabei ist, sich zu einer globalen Gesundheitskrise zu entwickeln. Bis 2030 werden schätzungsweise 78 Millionen Menschen an Demenz leiden. Die jährlichen Kosten hierfür werden dann weltweit 2,8 Trillionen Dollar überschreiten.

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ZDFheute: Wie schätzen Sie den Stand der Forschung ein? Gibt es Aussicht auf weitere Fortschritte bis 2030?
Barbarino: Die beiden Präparate, die von der EU zugelassen worden sind -beziehungsweise demnächst zugelassen werden - tragen zur Verbesserung der Lebensqualität bei.

Das ist von unschätzbarem Wert, aber eine Heilung bieten sie nicht.

Paola Barbarino

Was wir brauchen, ist mehr Geld für die Alzheimer-Forschung. Auf jede Studie zu neurodegenerativen Krankheiten kommen zwölf zu Krebs. Natürlich ist es gut, dass viele Mittel für die Krebsforschung zur Verfügung stehen, denn wir wollen Krebs heilen. Doch wir sollten mehr für die Demenzbekämpfung investieren.
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ZDFheute: Die Zunahme der Demenzerkrankungen fällt zusammen mit einer akuten Verknappung der Pflegekräfte, gerade in der westlichen Welt. Verschärft dies das Problem?
Barbarino: Wir haben vor vielen Jahren begonnen, mit Regierungen von Ländern, die Pflegekräfte exportieren, in Dialog zu treten. Wie die Philippinen und Sri Lanka beispielsweise.

Jetzt stellen wir fest, dass es für die Menschen oft besser ist, in ihrem Land zu bleiben. Denn auch dort gibt es inzwischen Probleme mit Demenzerkrankungen.

Paola Barbarino

Dazu kommt, dass es in Ländern mit hohen Einkommen starke Stimmungen gegen Einwanderung gibt. Wir sind nicht in einer Position zu sagen, dass dies richtig oder falsch ist. Doch wir können nur beobachten, dass während Menschen abgeschreckt werden, in diese Länder einzureisen, die Regierungen dort nicht genügend dafür tun, selbst mehr Pflegekräfte auszubilden.

Die Vorsitzende und Sprecherin von Alzheimer's Disease International
Quelle: Alzheimer's Disease International

... ist die Vorsitzende und Sprecherin von Alzheimer's Disease International, dem Zusammenschluss von über 100 nationalen Verbänden, die sich mit Alzheimer- und Demenzerkrankungen beschäftigen.

Das Interview hat Yacin Hehrlein geführt.
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