Interview
Wasserstoff aus Algerien:Aktivist: Europa muss an Demokratie erinnern
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Deutschland will grünen Wasserstoff aus Algerien importieren. Ein Aktivist erklärt im ZDF-Interview, wieso eine reine Wirtschaftsbeziehung dem Land aus seiner Sicht kaum hilft.
Abdelmadjid Tebboune, Präsident von Algerien und Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Quelle: Reuters
Hunderte politische Gegner der Regierung sitzen derzeit in Algerien im Gefängnis oder haben das Land aufgrund der prekären Menschenrechtslage verlassen. Auch Aïssa Rahmoune ist geflohen – nach Frankreich. Nun besucht Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) Rahmounes Heimatland, um eine Wasserstoff-Partnerschaft mit Algerien abzuschließen.
Im ZDF-Interview erzählt Rahmoune von seinen Fluchtgründen, der Situation in Algerien und welche Verantwortung Europa hat.
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ZDFheute: Für Europa ist Algerien interessant als Energielieferant, auch deutsche Unternehmen investieren dort. Der Wirtschaftsminister Robert Habeck besucht derzeit Algerien. Kann dieser Austausch dazu beitragen, dass sich das Land langfristig öffnet und demokratisiert?
Aïssa Rahmoune: Die EU hat wirtschaftliche Interessen in Algerien, und das ist legitim. Aber dieser Besuch wird von der algerischen Regierung als Bestätigung ihres diktatorischen Regimes gesehen, das sich gerade auf sehr grausame Weise etabliert. Eine reine Wirtschaftspartnerschaft kann also nicht im Interesse der Demokratie in Algerien sein. Die europäischen Institutionen sollten klar sagen, wofür sie stehen: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Umso wichtiger ist es, dass Deutschland Diktaturen wie Algerien daran erinnert, dass das internationale Recht respektiert werden muss.
Aïssa Rahmoune ist Anwalt und Menschenrechtsaktivist aus Algerien. 2022 kam er mit seiner Familie nach Frankreich. In Paris ist er Vizepräsident der International Federation for Human Rights. Seinen Wohnort hält er aus Sicherheitsgründen geheim.
ZDFheute: Warum sind sie nach Frankreich geflohen?
Rahmoune: Ich wurde immer wieder Opfer von Einschüchterungsversuchen. Das waren alltäglichen Belästigungen in meinem Beruf als Anwalt, aber auch in meiner Funktion als Aktivist. Ich wurde wiederholt von Sicherheitskräften verfolgt, während Demonstrationen mehrfach festgenommen und eingesperrt. Auch meinen Mitdemonstrierenden ging es ähnlich, ihnen wurde Terrorismus von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sie wurden belästigt und weggesperrt.
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ZDFheute: Vor fünf Jahren erlebte das Land eine große Welle der Hoffnung. Bei Massenprotesten forderten die Menschen damals einen politischen Neuanfang. Was ist aus der Aufbruchstimmung geworden?
Rahmoune: Als 2019 die Revolutionsbewegung, der Hirak, im Land aufkam, hatten die Menschen in Algerien die Hoffnung, das Land in Richtung Rechtsstaat zu bewegen. Doch die ist schnell verflogen. Der Staat ist hart gegen die Bewegung vorgegangen. Heute gibt es in Algerien keinen Raum mehr für freie Meinungsäußerung. Alles ist geschlossen, es gibt keinen Platz mehr für Medien, politische Opposition oder Zivilgesellschaft.
ZDFheute: Warum geht das Regime so vor?
Rahmoune: Es hat Angst, die Macht zu verlieren. Es hat Angst, zur Rechenschaft gezogen zu werden für seine Verbrechen, sei es für den algerischen Bürgerkrieg oder für die Aneignung der Reichtümer des Landes. Die algerische Regierung will keine Demokratie, weil diese sie in Gefahr bringen würde.
ZDFheute: Haben Sie die Hoffnung, jemals nach Algerien zurückzukehren?
Rahmoune: Es ist eine sehr schwere Entscheidung, das eigene Land zu verlassen, die großen Schmerz mit sich bringt. Natürlich werde ich eines Tages zurückkehren, um dabei zu helfen, die Zukunft meiner Kinder in Algerien aufzubauen. Sobald ich merke, dass das Land sich wandelt, sobald sich die Zivilgesellschaft wieder äußern kann, gehe ich zurück.
Das Interview führte Lukas Nickel.
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