Nawalny-Sprecherin: "Niemand weiß, in welchem Zustand er ist"
Exklusiv
Nawalny-Sprecherin im Interview:"Niemand weiß, in welchem Zustand er ist"
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Seit zwei Wochen fehlt vom inhaftierten Kremlkritiker Alexej Nawalny jede Spur. Russische Behörden schweigen. Es sei unklar, ob er noch lebe, so Nawalny-Sprecherin Kira Jarmysch.
Seit 15 Tagen ist Alexej Nawalny verschwunden. Eigentlich sollte er aus der russischen Strafkolonie IK 6 in ein Gericht zugeschaltet werden. Dort wurde zunächst ein Stromausfall als Grund für das Nichterscheinen von Nawalny genannt, später erklärte man lapidar: Hier, in diesem Gefängnis, sei Nawalny nicht mehr.
Wo sich der prominenteste Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin derzeit befindet, wissen nicht mal seine engsten Vertrauten. Sein Team ist bisher in mehr als 200 Haftanstalten in ganz Russland vorstellig geworden. Ohne Erfolg. Alexej Nawalny bleibt verschwunden. In einem Exklusiv-Interview mit ZDFheute erklärt seine Sprecherin Kira Jarmysch, dass sein Team in größter Sorge sei.
ZDFheute: Alexej Nawalny ist schon öfter im russischen Gefängnissystem verschwunden. Was ist dieses Mal anders?
Kira Jarmysch: Es stimmt, dass Alexej Nawalny schon vorher in andere Gefängnisse verlegt wurde. Aber da war er nicht länger als eine Woche unterwegs. Beim letzten Mal hat es sogar nur einen Tag gedauert. Doch Fakt ist: Die Dauer einer solchen Verlegung ist mit keinem Gesetz limitiert. Das heißt, ein Gefangener könnte im Prinzip beliebig lange von einer Region in eine andere verlegt werden - und das macht uns große Sorgen.
Quelle: dpa
Die 1989 geborene Journalistin und Buchautorin Kira Jarmysch ist seit 2014 Sprecherin des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Im Herbst 2023 erschien die deutsche Übersetzung ihres Debutromans im Rowohlt Verlag. Im Januar 2021 wurde neben Nawalny auch Jarmysch wegen Aufrufs zu Demonstrationen in Moskau festgenommen.
Es ist offensichtlich, dass die Entscheidung, Alexej irgendwohin zu verlegen mit der Präsidentschaftskampagne von Wladimir Putin zusammenhängt. Das Team Nawalny hat Anfang Dezember eine Anti-Putin-Kampagne gestartet und Putin hat kurz darauf seine Nominierung bekannt gegeben.
Es würde mich nicht wundern, wenn sie versuchen, ihn bis März durch das ganze Land zu transportieren. Aber so ein Transport ist sehr gefährlich. Die Person ist völlig isoliert, hat keine Kommunikation mit der Außenwelt und keinen rechtlichen Schutz. Es kann ihm also alles zustoßen in dieser Zeit. Er ist jetzt den Menschen komplett ausgeliefert, die vor drei Jahren versucht haben, ihn zu töten. Er ist allein mit ihnen, und niemand weiß, wo er ist, niemand weiß, in welchem Zustand er ist und was ihm fehlt. Das alles macht uns natürlich noch mehr Angst. Deshalb fordern wir ständig Antworten darauf, wo er ist. Deshalb schlagen wir Alarm.
ZDFheute: Sind Sie sich sicher, dass er noch am Leben ist?
Jarmysch: Nein, sicher können wir uns nicht sein. Das ist das Problem. Wir wissen auch nicht, wie wir herausbekommen sollen, ob er noch lebt. Wir haben eine Belohnung ausgesprochen für jeden, der uns verlässliche Informationen geben kann. Eigentlich ist es ja so, dass bei einem Gefangenentransport zumindest andere Gefangene etwas mitbekommen. Oft gibt es auch Wärter, die etwas sehen.
Im Moment haben wir noch Hoffnung, dass irgendjemand uns Informationen geben kann. Dass das allerdings bisher noch nicht passiert ist, zeigt, dass Alexej komplett isoliert unter hohem Sicherheitsaufwand irgendwohin transferiert wurde. Das hat es noch nie gegeben. Wir hoffen trotzdem, dass es ihm einigermaßen gut geht und wir ihn bald finden.
Die russische Führung habe bisher nicht über den Aufenthalt des kürzlich verschwundenen Kremlkritikers Alexei Nawalny berichtet, so ZDF-Korrespondent Armin Coerper.15.12.2023 | 2:01 min
ZDFheute: Was wissen Sie über seinen Gesundheitszustand, auch vor seinem Verschwinden?
Jarmysch: Alexej hat seit mehr als drei Jahren keine medizinische Behandlung mehr bekommen, deswegen wird er auch jetzt nicht unter der Aufsicht von Ärzten stehen. Sein Zustand ist nicht der Beste, auch weil er bereits mit Nowitschok vergiftet wurde. Nach der Haft in einem russischen Gefängnis geht es niemandem besser als vorher, vor allem wenn man keine medizinische Behandlung bekommt. In einer der letzten Äußerungen, die wir von Alexej bekommen haben, hat er gesagt, dass er seit einem Jahr versucht, einen Zahnarztbesuch genehmigt zu bekommen. Aber der wurde ihm ein ums andere Mal verweigert.
Wir haben immer noch Hoffnung, obwohl wir gar nichts wissen im Moment. Alles was uns bleibt, ist, so laut und klar wie möglich unsere Forderungen zu artikulieren. So sagt uns hoffentlich der Kreml oder die russischen Gefängnisverwaltung, wo Alexej ist und was nicht mit ihm stimmt. So könnten zumindest die Anwälte ihn besuchen und ihm eine gewisse Art von Schutz geben. Was gerade passiert, ist eine absolute Verletzung seiner Rechte. Der Fakt, dass er überhaupt im Gefängnis ist, ist illegal.
Das Interview führte Sebastian Ehm, ZDF-Korrespondent für Russland, die Kaukasus-Region und Zentralasien.
Der bekannte Putin-Kritiker Alexej Nawalny ist erneut nicht vor Gericht aufgetaucht. Seit fast zwei Wochen hat ihn niemand mehr gesehen. Seine Anhänger befürchten das Schlimmste.