Tourismus in Albanien: Überlebt das Land seinen Hype?

    Tourismus als Fluch und Segen:Überlebt Albanien seinen Hype?

    Britta Hilpert
    von Britta Hilpert, Albanien
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    Es ist Europas bekanntester Geheimtipp: Albanien. Einst war es verschlossen und rückständig, seit der Corona-Pandemie erlebt Albanien wachsenden Ansturm. Kann das gut gehen?

    Albanien - Geheimtipp und Abenteuer
    Albanien, das sind unberührte Küsten, hunderttausende Bunker, wilde Berge und einer der letzten Wildflüsse Europas. Ein Land im Aufbruch - wunderschön, aber mit Schattenseiten.09.05.2024 | 13:35 min
    Wer in der Vorsaison nach Albanien fährt, erlebt es von seiner besten Seite: die Temperaturen mild, die Berghänge grün, die Bäume weiß und lila. Überall trifft man freundliche Menschen, die einen behandeln wie Vorboten großartiger Zeiten, nämlich: den Sommer.
    Albanien erwartet eine weitere Rekordsaison. Rund 30 Prozent mehr Touristen kamen 2023, in diesem Jahr soll es so weiter gehen. Das Land ist mittlerweile Europas bekanntester Geheimtipp: noch nicht so teuer und abgebrüht, so heißt es, hier treffe man auf Ursprüngliches und ehrliche Gastfreundschaft.
    Albanien
    Im Südosten Europas liegt ein Land, vom Tourismus bis heute kaum berührt, das von weißen Bergspitzen und kristallblauen Wassern geprägt ist: Albanien. ZDF-Korrespondentin Britta Hilpert berichtet aus einem Land, in dem es noch viel zu entdecken gibt.08.05.2024 | 4:24 min

    Albanien: Europas bekanntester Geheimtipp

    Das stimmt, vor allem im Hinterland: Im Tal der Vjosa treiben die Hirten ihre Schafe und Ziegen noch dreimal am Tag zum Melken, leise bimmeln ihre Glocken am Fluss.
    Und das Geschäft der Hirten läuft gut. Die Nachfrage nach dem würzigen Käse steigt, erzählt Altin Meshini, Geschäftsführer der lokalen Käsemanufaktur.

    Die meisten Kunden sind Albaner, aber immer häufiger kommen auch Touristen.

    Altin Meshini, Geschäftsführer Käsemanufaktur

    Die halten vor allem wegen des Bunkers an: Der erste Meshini-Käseladen wurde in dem martialischen Betonklotz gegründet, erzählt Altin, darin war es schön kühl.
    Ein älterer Mann mit einer blauen Schürze nimmt ein großes Käserad aus einem Regal. Der Lagerraum, in dem der Mann sich befindet ist voll mit Regalen, in denen Käseräder liegen.
    Die Nachfrage für den würzigen Schafs- und Ziegenkäse von Altin Meshinis Käsemanufaktur steigt. Mittlerweile kaufen nicht nur Albaner bei ihm, sondern auch immer mehr Touristen.
    Quelle: ZDF

    Altins Familie hat es nun zu Wohlstand gebracht. Die Tochter soll die Käsemanufaktur weiterführen - aber sie hat ihre eigenen Ideen und viele Möglichkeiten. Das hat auch Nachteile, aus Altins Sicht: Es könnte sein, dass sie weggeht, wie so viele junge Leute.

    Tourismus gegen Abwanderung

    Abwanderung ist Albaniens größtes Alltagsproblem - und Tourismus die größte Hoffnung: Die meisten neuen Jobs sind gut bezahlt: Barkeeper Rajli in Dhermi bekommt 800 Euro Grundgehalt, plus Trinkgelder, "und die sind gut, wenn die Leute Urlaub machen", betont Rajli.
    Die Direktorin eines Luxushotels erzählt, ihr Koch erhalte 4.000 Euro. "Ich habe keine Wahl, ich brauche ihn", sagt sie und zuckt die Schultern, in ihren Designer-Klamotten.

    Goldgräber-Stimmung an Albaniens Küste

    Besonders im Süden verstecken sich hinter schroffen Felsen noch kleine Buchten mit weißem Sand. Besonders hier wandeln sich die Orte im Rekordtempo vom Geheimtipp zum Touristenhotspot.
    Vor fünf Jahren war Dhermi ein verschlafenes Nest mit ein paar Pensionen und coolen Beachbars. Jetzt stehen hier vierstöckige Hotels und am Strandabschnitt "Green Coast" dröhnen die Bagger. Es entstehen tausende Bungalows und mehrere Hotels. "Grün" ist nur noch das Werbeplakat.

    An einem Schotterweg steht ein großer Bunker aus Beton mit einem runden Dach. Der Bunker ist umgeben von Gestrüpp.
    Quelle: ZDF

    Albanien ist das Land der Bunker: Der kommunistische Diktator Hoxha ließ hunderttausende im Land errichten. Er sorgte sich mehr um vermeintliche Invasoren als um das Wohl des Volkes: Das musste derweil hungern und wurde enteignet. Hoxha starb 1985 und Albanien war fast 50 Jahre lang hermetisch abgeschlossen. Danach verließen rund 1,7 Mio. Albaner das Land –  fast die Hälfte der Bevölkerung.

    Bei Vlore droht ähnliches - und schlimmeres: Eine Lagune liegt hinter der Steilküste, sie wird gespeist vom Fluss Vjosa. Der wurde im letzten Jahr komplett unter Schutz gestellt. Ganz Europa applaudierte dazu. Denn damit wurde Europas letzter völlig unregulierter Fluss geschützt. In seinem Delta bei Vlore, in der Lagune, tummeln sich Flamingos, Pelikane und Zugvögel, die hier kurz Rast machen.
    Doch im Applaus ging unter, dass Albanien ein Stück der Lagune vom Naturschutz ausgenommen hat: Es hat die Form und Größe eines Flughafens und genau der wird nun gebaut. Mitten in der Lagune und in einer Zugvogel-Route.
    Vier junge Männer und eine Frau sitzen auf Klappstühlen im Halbkreis. Sie sprechen mit einer blonden Frau. Die Gruppe sitzt auf einer großen Terasse am Strand. Im Hintergrund ist die grüne Küste und das Meer zu sehen
    Albanien verändert sich. Seit Corona profitiert das Land immer mehr von Tourismus. Der wirtschaftliche Aufschwung bringt jedoch nicht nur Vorteile. Britta Hilpert spricht mit Menschen vor Ort.
    Quelle: ZDF

    Auf der Steilküste zählt Zydjon Vorpsi, einer der wenigen albanischen Naturschützer, gemeinsam mit anderen die Zugvögel. Sie stehen an einem einzigartigen Ort: Wellen schlagen gegen die schroffe Küste, dahinter die friedliche Lagune mit den Vögeln. Die Gegend ist völlig unberührt, bis auf den Flughafen am anderen Ende der Lagune. "Hier will Trumps Schwiegersohn Kushner bauen", sagt Vorpsi und zeigt die gigantischen Pläne auf dem Handy. Die stehen auf Kushners Facebook-Seite.

    In Albanien dürfen 5-Sterne-Projekte auch im Naturschutzgebiet gebaut werden, das erlaubt ein neues albanisches Gesetz.

    Zydjon Vorpsi, Naturschützer

    Der Bürgermeister von Vlore, Ermal Dredha, findet das richtig: "Es geht immer um die Wirtschaft", sagt er.

    Wir wollen die jungen Leute in unserer Stadt halten. Und dafür brauchen wir Jobs!

    Ermal Dredha, Bürgermeister Vlore

    Naturschützer Zydjon dagegen meint: "Es ist so frustrierend. Andere Länder revitalisieren für teures Geld ihre Natur. Wir haben sie und hätten die Chance, sie zu schützen. Und wir machen genau das Gegenteil. Wir lernen nicht von den Fehlern anderer." Vlore werde nicht Opfer seines eigenen Erfolgs, meint Bürgermeister Dredha. Es sei ja noch genug Natur übrig. Das stimmt - fürs Erste. Aber es ändert sich rasant.
    Britta Hilpert leitet das ZDF-Studio Wien und berichtet über Südosteuropa.
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