Interview
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Rechtsextremismus-Forscher:AfD, FPÖ und die Gefahr der "Identitären"
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In Potsdam trafen sich AfD-Vertreter und Neonazis, darunter der Österreicher Martin Sellner der "Identitären Bewegung". Ein Rechtsextremismus-Forscher bewertet ihre Ziele.
AfD-Politiker sollen im November an einem Treffen mit dem bekanntesten Vertreter der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, teilgenommen haben.
Quelle: epa
ZDFheute: 2019 charakterisierte Martin Sellner von der rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" (IB) gegenüber dem ZDF die Zusammenarbeit mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) und AfD so: Sie sei vergleichbar mit der Zusammenarbeit zwischen Greenpeace und den Grünen. Ist das heute noch so?
Bernhard Weidinger: Das ist heute noch viel mehr so, weil die FPÖ sich seitdem stark verändert hat. 2019 ist die Partei wegen der Ibiza-Affäre aus der Österreichischen Bundesregierung geflogen und die Erfahrung zeigt: Sobald die FPÖ in der Opposition ist, fallen die Hemmungen.
Da zeigt sich die Nähe zu rechtsextremistischen Gruppen immer stärker. Hinzukommt, dass es 2020 im Generalsekretariat und 2021 an der Spitze der Partei einen Wechsel gab: Parteichef Herbert Kickl bezeichnet die IB lediglich als eine "patriotische NGO".
Rechtsextremismus-Forscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstandes untersucht, wie die AfD-Schwesterpartei FPÖ der "Identitären Bewegung" immer näher rückt. Ihr Ziel laut Weidinger: Das Unsagbare zum Sagbaren und dann zum Machbaren machen.
ZDFheute: Seit einem Jahr liegt die FPÖ in Umfragen auf Platz eins. Sie hat eine Regierungsbeteiligung oder sogar Regierungsführung fest im Blick. Wird sie sich deshalb also wieder distanzieren, oder im Gegenteil: damit sogar in den Wahlkampf ziehen?
Weidinger: Da gibt es heute einen deutlichen Unterschied. Der damalige Klubobmann Heinz-Christian Strache hat sich 2017 noch bemüht, zumindest rhetorisch, vom rechten Rand abzurücken.
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Er gab sich staatstragender und konstruktiver, um die FPÖ salonfähig zu machen. Als Koalitionspartner für die Österreichische Volkspartei (ÖVP). Herbert Kickl aber hält seinen fundamentaloppositionellen Kurs.
ZDFheute: Welche Rolle spielt dabei die Normalisierung rechtsextremer Begriffe? Wie zum Beispiel Remigration?
Weidinger: In Österreich sind wir in dem Prozess der Normalisierung rechtsextremer Rhetoriken deutlich weiter als in Deutschland. Die FPÖ gibt es seit den Fünfzigern und seit den Neunzigern in erheblicher Stärke. Dies hat die Normalisierung stark begünstigt. Wir haben das in den Neunzigern beim Begriff "Überfremdung" gesehen. Der wurde inzwischen modernisiert.
Heute sagen sie eben "großer Austausch" oder "Bevölkerungsaustausch." Und das passiert auch gerade mit dem Begriff "Remigration". Das sagt IB-Führer Martin Sellner auch ganz offen. Ihm geht es nämlich darum, dass bestimmte Begriffe erst sagbar gemacht werden müssen, damit die dahinterstehenden Ideen auch umsetzbar werden.
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ZDFheute: Correctiv deckte kürzlich auf, dass sich Vertreter der Bundes-AfD mit Sellner und anderen Rechtsextremen in Brandenburg getroffen haben, um die Machbarkeit dieser "Remigration" zu diskutieren. Die FPÖ war aber nicht dabei.
Weidinger: Ja. Trotzdem bestehen Kontakte zwischen den Identitären und der FPÖ hier in Österreich. Das wird verschiedentlich auch eingestanden.
ZDFheute: Wie groß ist die personelle Übereinstimmung der FPÖ mit den Identitären?
Weidinger: Auf personeller Ebene ist noch eine Unterscheidung möglich. Aber auf inhaltlicher Ebene ist, insbesondere zwischen Identitären und der freiheitlichen Parteijugend, eigentlich kein Unterschied mehr zu machen. Und die FPÖ selbst reiht sich immer mehr ein, indem sie die Begriffe der Identitären gezielt einsetzt, um sie zu normalisieren.
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ZDFheute: In einem Interview, hat Kickl den Begriff "Remigration" verteidigt. Nach dem Motto: Warum nicht Menschen, die mit unserer Gesellschaft nicht einverstanden sind, einfach zurückschicken? Und Ihnen die Pässe wegenehmen. Ist das etwas, was im Rechtsrahmen ist?
Weidinger: In den letzten Jahren beobachten wir, dass es in der extremen Rechten und der FPÖ eine große Nonchalance gibt, was die Geltung von rechtlichen Regelwerken betrifft. Wenn etwa die Genfer Flüchtlingskonvention oder die Europäische Menschenrechtskonvention politische Schritte verhindern, sind sie auch bereit, diese Abkommen aufzukündigen. Das wird offen gesagt.
ZDFheute: Trauen Sie der FPÖ solche Schritte wirklich zu, wenn sie an der Regierung wäre?
Weidinger: Die entscheidende Frage scheint mir weniger, ob es die Absicht dazu gibt, sondern ob sie für derartige Projekte Mehrheiten findet.
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ZDFheute: Ist die Nähe zur Identitären Bewegung für die FPÖ eher schädlich oder nützlich? Mit Blick auf die Wähler und aber auch auf mögliche Koalitionspartner.
Weidinger: Bei den Wählerinnen und Wählern gibt es einen harten Kern, der damit überhaupt kein Problem hat. Und dann gibt es andere, die es tolerieren und die FPÖ trotzdem wählen.
Mit Blick auf potenzielle Koalitionspartner ist die Nähe zur IB sicher nicht hilfreich. Der aktuell einzig realistische Koalitionspartner ist die ÖVP. Und die hat gerade dieses Naheverhältnis immer wieder problematisiert.
ZDFheute: Inwiefern ist die FPÖ in Österreich ein Vorbild für die AfD in Deutschland?
Weidinger: Die AfD beobachtet seit ihrer Gründung sehr aufmerksam, was die FPÖ macht.
ZDFheute: Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führten Britta Hilpert, Leiterin des ZDF-Auslandsstudios Wien, und Lale Ohlrogge.
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