Wohnungsnot steigt: Jeder Zehnte lebt auf zu engem Raum
Wohnungsbau-Tag 2024:Jeder Zehnte lebt auf zu engem Raum
von Svenja Dohmeyer
|
Wohnen Sie großzügig oder beengt? Zahlen des statistischen Bundesamtes zeigen: Immer mehr Menschen haben zu Hause zu wenig Platz. Das hat vor allem Folgen für Kinder.
Lahmender Neubau, gestiegene Baukosten - Probleme, die beim Wohnungsbautag diskutiert werden. Die Bundesbauministerin vespricht abgespeckte Baustandards und schnellere Prozesse. 11.04.2024 | 2:34 min
Ein eigenes Zimmer zum Spielen, Hausaufgaben machen oder um Freunde mitzubringen - für immer mehr Kinder in Deutschland ist das ein unerfüllter Wunsch.
Denn die Zahl der Menschen, die in zu engen Wohnverhältnissen leben, ist erneut gestiegen. Laut statistischem Bundesamt wohnen - nach den aktuellsten Zahlen von 2023 - mehr als 9,5 Millionen Menschen hierzulande auf zu engem Raum. Das ist mehr als jeder Zehnte.
Branchenvertreter rufen am Wohnungsbau-Tag in Berlin erneut einen Notstand aus. Das Ziel der Regierung, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, wird wohl wieder verpasst.11.04.2024 | 1:33 min
In Städten: Jeder sechste kein eigenes Zimmer
Den Traum von weiten Räumen, Entfaltung und Rückzug können vor allem in Großstädten nur gut situierte Teile der Bevölkerung leben. Finanziell schlechter Gestellte bezahlen den Platz am Puls des Geschehens mit Überbelegung und Enge. Jeder sechste Städter hat kein Zimmer für sich allein.
Mit 28 Prozent waren - Stand 2022 - in Deutschland besonders Alleinerziehende und ihre Kinder betroffen. Stadtbewohner leben mit 16 Prozent rund drei Mal so häufig in beengten Wohnverhältnissen wie die Bevölkerung ländlicher Gebiete (fünf Prozent).
Auf dem Wohnungsbau-Tag in Berlin beklagen ein Bündnis aus Wohnungswirtschaft, Mieterbund und Bauindustrie einen Notstand und fordern finanzielle Hilfe vom Staat. 11.04.2024 | 1:44 min
Kinder leben sechs Mal häufiger beengt als Ältere
Besonders alarmierend: Kinder lebten im vergangenen Jahr mit 18 Prozent sechs Mal häufiger auf engem Raum als alte Menschen (drei Prozent). Dass dies kein Luxusproblem ist, sondern konkrete Auswirkungen hat, bestätigt der Sozialverband Niedersachsen:
In den Sozialberatungszentren sei zu wenig Platz ein großes Thema. Viele suchten erst gar nicht nach einer größeren Bleibe, weil Wohnraum knapp ist und die Mieten für die meisten schlicht nicht bezahlbar sind. Und so schlafen immer mehr Eltern notgedrungen im Wohnzimmer auf der Klappcouch oder der Nachwuchs muss das Zimmer mit Geschwistern teilen.
Von beengten Wohnverhältnissen sprechen Behörden, wenn das Zuhause über zu wenige Zimmer im Verhältnis zur Personenzahl verfügt.
So wird als beengt eingestuft wenn kein Gemeinschaftsraum vorhanden ist oder weniger als ein Zimmer für jedes Paar oder jede weitere Person über 18 Jahren in dem Haushalt zur Verfügung stehen.
Auch wenn sich drei oder mehr Kinder unter zwölf Jahren oder zwei Kinder unterschiedlichen Geschlechts zwischen 12 und 17 Jahren ein Zimmer teilen müssen, gilt der Wohnraum als beengt.
Auch bei Alleinerziehenden beobachtet Dirk Swinke die Folgen beengten Wohnens:
Wer eine Wohnung sucht, hat es vor allem in Großstädten schwer. Aus Mangel an Alternativen erklären sich Mieter bereit, überhöhte Preise zu zahlen.09.04.2024 | 8:48 min
Günstige Mieten sind knapp
Das Problem: Es gibt in Deutschland immer weniger sozialen Wohnraum, also Mietraum zu günstigen Preisen. Während es in der alten Bundesrepublik Ende der 1980er Jahre noch rund vier Millionen Sozialwohnungen gab, sind es derzeit noch etwa 1,09 Millionen.
Wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verdient, gilt relativ gesehen als arm. Laut Armutsbericht traf das 2022 auf 14,2 Millionen Menschen in Deutschland zu.26.03.2024 | 1:33 min
Als Grund für den Rückgang gilt unter anderem, dass Sozialwohnungen nach einer bestimmten Zeit aus der Sozialbindung fallen. Das bedeutet, sie können nach 15 oder maximal 40 Jahren ohne staatliche Auflagen frei am Markt vermietet oder verkauft werden. Oft zu deutlich höheren Preisen.
Steigende Mietpreise sind ein Problem. Die Wohnungsbaugesellschaft SWB in Mülheim an der Ruhr schafft es trotzdem weiterhin für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen.08.03.2024 | 1:47 min
"Die immer mehr zurückgehende Sozialbindung von Bestandswohnungen ist ein Riesenproblem", meint auch Swinke. Sozialverbände fordern schon lange einen Kurswechsel.
Zu wenige Wohnungen in Deutschland
Die Ampel-Koalition hatte sich vorgenommen 400.000 Wohnungen jährlich zu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Erreicht worden ist dieses Ziel seit Regierungsantritt bislang in keinem Jahr.
Der Bedarf an Wohnraum wächst. Weltweit wird deshalb gebaut, oft mit gravierenden Auswirkungen auf Umwelt und Klima. Können neue Verfahren die Baubranche klimafreundlicher machen?09.03.2024 | 29:45 min
2023 wurden dem Bündnis "Soziales Wohnen", ein Zusammenschluss aus Mieterbund, Baugewerkschaft sowie Sozial- und Branchenverbänden, zufolge rund 30.000 Sozialwohnungen fertiggestellt, in den Vorjahren waren es rund 25.000 gewesen.
Beispiel Niedersachsen: Ausbau wird einfacher
Die vielen Krisen haben das Bauen teuer und zum Teil unrentabel gemacht. Hinzu kommt ein Berg an bürokratischen Auflagen. Dennoch hat Swinke Hoffnung: "In Niedersachsen soll die niedersächsische Bauordnung novelliert werden, das ist, glaube ich, schon ein erster richtiger Schritt."
Tatsächlich hat die Landesregierung Erstaunliches vor: Für Hausumbauten soll der Antragsteller künftig keine Genehmigung vom Bauamt mehr einholen müssen. Die Behörde muss nur informiert werden.
So sei die Aufstockung eines Mehrfamilienhauses um ein oder zwei Geschosse ohne Erlaubnis möglich. Der Vorschlag von Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies soll zur Jahresmitte beschlossen werden.