Tierärzte: Warum sie besonders suizidgefährdet sind
Neues Seelsorge-Angebot geplant:Warum Tierärzte besonders suizidgefährdet sind
von Svenja Friedrichs
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Tiermediziner leiden besonders stark unter psychischen Belastungen - jeder Fünfte hat laut einer Studie Suizidgedanken. Welche Aussichten eine bundesweite Seelsorge bieten soll.
Tierärzte leiden besonders häufig unter psychischer Belastung am Arbeitsplatz, wie Studien zeigen.
Quelle: MEV
In keinem anderen Beruf wie dem von Tierärzten müssen Menschen so über Leben und Tod entscheiden. Neben einer fachlichen Expertise kommt es daher auch auf Empathie an - und auf die Fähigkeit, sich abzugrenzen.
Mit den teils heftigen Emotionen und Unverständnis für Kosten seitens der Tierhaltenden konfrontiert zu werden, stellt für viele eine Herausforderung dar. Doktorin Susanne Elsner, Tierärztin mit Praxis in Harvestehude und Präsidentin der Tierärztekammer Hamburg, sagt dazu:
Das Thema Haustier ist hochemotional. Wir müssen einerseits die Leute emotional abholen, andererseits uns selbst schützen.
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Susanne Elsner, Präsidentin der Tierärztekammer Hamburg
Tabuthema Suizid? Familie Kelter spricht mit Leon Windscheid über den Verlust ihres Sohnes. Leon erfährt, inwiefern Depression und Pubertät Risikofaktoren für Suizidgedanken sind.24.03.2025 | 26:59 min
Studie: Erhöhtes Suizidrisiko bei Tierärzten
Nur 49 Prozent der Veterinäre empfinden ihren Beruf im Allgemeinen als wertgeschätzt. Das geht aus einer Studie des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim hervor, an der insgesamt 1.056 Tierärzte aus sechs Ländern teilnahmen.
In einer weiteren Studie von Forscherinnen der FU Berlin und der Universität Leipzig wurde die Häufigkeit von Depressionen, Suizidgedanken sowie das Suizidrisiko bei Tiermedizinern in Deutschland untersucht. Die Ergebnisse zeigten: Von den 3.118 Teilnehmenden haben rund 20 Prozent aktuelle Suizidgedanken und mehr als ein Viertel klinisch auffällige Werte im Bereich Depressivität.
Eines der wirksamsten Mittel ist nach Expertenangaben - soweit möglich - die Einschränkung der Verfügbarkeit von Suizidmethoden (Waffen, Medikamente, Chemikalien, Absicherung von Bauwerken).
Wichtig sind außerdem niedrigschwellige Behandlungsangebote, die Fortbildung in medizinischen und psychosozialen Berufen, die Förderung der Früherkennung und nicht zuletzt ein gesellschaftliches Klima, in welchem die Suizidproblematik ernst genommen wird.
Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe mahnt, sich mit gut gemeinten Ratschlägen zurückzuhalten. Eine Befragung unter Betroffenen ergab, dass scheinbar schlichte Botschaften oft am meisten helfen, zum Beispiel: "Du bist mir wichtig", "ich versuche, diese Krankheit zu verstehen" oder "wir schaffen das zusammen".
Experten raten generell dazu, sich zu informieren: Das kann etwa bei einem gemeinsamen Arztbesuch geschehen. Daneben braucht es Geduld. (Quelle: KNA)
Diese Werte sind vier- bis sechsmal höher als in der deutschen Gesamtbevölkerung. In Deutschland werden in der Gesundheitsberichterstattung keine Berufsgruppen unterschieden, daher weiß man nicht, genau wie viele Suizide es bei den Tierärzten im Vergleich zu anderen Berufsgruppen gibt.
Psychische Belastung am Arbeitsplatz ist keine Seltenheit - doch was sind Gründe dafür? Psychologe Rolf Schmiel im Gespräch10.10.2024 | 5:15 min
Tierärztin: Einschläferungen mental sehr belastend
Zudem warf eine amerikanische Studie die Frage auf, ob zum Beispiel durchgeführte Einschläferungen von Tieren eine Rolle spielen könnten. Zwar konnte die Studie keine eindeutigen Belege dafür finden, doch die Einschläferung wird von vielen Tierärzten als belastend erlebt, wie auch Susanne Elsner berichtet.
Elsner erzählt von einer für sie belastenden Erfahrung: "Das war mal ein Hausbesuch, bei dem drei Kinder weinend daneben saßen und der Besitzer noch mit seiner Frau, die irgendwo in Ostasien war, Video gechattet hat. Währenddessen musste dieser Hund eingeschläfert werden", nach so einer Situation bräuchte man jemanden zum Reden und zum Zuhören. Professorin Heide Glaesmer, Diplompsychologin des Universitätsklinikums Leipzig, erklärt:
Die Entscheidung zur Einschläferung wird oft auch aus Kostengründen getroffen und ist damit oft mit einem ethischen Dilemma verbunden.
Eine Obdachlosen-Initiative bietet Hilfe für Tierhalter, die sich wegen Wohnungs- oder Obdachlosigkeit eine tierärztliche Grundversorgung des Hundes nicht leisten können.31.10.2024 | 13:30 min
Vielfältige Gründe für psychische Belastung
Das Stresslevel und die Arbeitsbelastung seien hoch. "Das liegt an den Arbeitszeiten, der Bezahlung, vor allem am Anfang der Berufstätigkeit. Das Suizidrisiko steigt auch, weil die Tierärzte Zugang zu letalen Mitteln haben und wissen, wie man sie einsetzt", so Glaesmer.
Hinzu komme, dass im Gegensatz zum medizinischen Versorgungssystem für Menschen nur wenige Tiere krankenversichert seien. "In der Humanmedizin schieben die meisten Leute ihre Krankenkassenkarte durch das Lesegerät und haben keinen Vergleich, was sie an Kosten produzieren", sagt Elsner. Die Tiermedizin habe in den letzten Jahrzehnten einen immensen Fortschritt gemacht - aber irgendwann kämen die Halter an ihre finanziellen Grenzen.
Wir Tierärzte stehen im Konflikt, dass wir die Tiere bestmöglich behandeln wollen, wir müssen den Besitzern dann aber ans Geld gehen.
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Dr. Susanne Elsner, Tierärztin und Präsidentin der Tierärztekammer Hamburg
Die Leute hätten seit Corona eine kurze Zündschnur, was sich auch in den Praxen widerspiegele.
Das Haustier ist verletzt, doch die Tierarztpraxis hat zu. Wie kann man im Notfall Hilfe finden?28.08.2023 | 5:35 min
Neue Seelsorge soll im Norden Tierärzten helfen
Bislang gab es in Deutschland kaum spezifische Hilfsangebote, um die mentale Gesundheit für Tierärzte zu verbessern. Der Verein Vethilfe will das ändern - und ab Sommer eine bundesweite Telefonhotline anbieten.
Dort sitzen, wie bei der Telefonseelsorge, ausgebildete Freiwillige aus dem tiermedizinischen Bereich. Als Zugang zu einer sachgerechten Behandlung könne diese helfen, sagt Glaesmer.
Wichtig ist aber auch, dass die Betroffenen ihre Notlage erkennen und sich Hilfe suchen.
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Heide Glaesmer, Universitätsklinikum Leipzig
Suizidgedanken? Schnell Hilfe finden:
Es gibt Hilfe, auch in scheinbar ausweglosen Situationen. "Ich weiß nicht mehr weiter", "Ich kann nicht mehr": Wenn Ihre Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie unbedingt, mit jemandem darüber zu sprechen - egal, ob Familie, Freunde oder Menschen, die sich auf diese Themen spezialisiert haben.
Gemeinsam mit Doktorin Doris Timmann, der Tierärztin und Mitgründerin von Vethilfe e.V., plant Susanne Elsner noch mehr: Kollegen in Not sollen von ausgebildeten Tiermedizinern bei Bedarf persönlich aufgesucht werden können. Elsner erklärt: "Viele brauchen mal vor Ort jemanden, der aus dem eigenen Berufsfeld kommt und einschätzen kann, worum es geht."
Quelle: dpa
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