"Sternenkind"-Mutter: "Das Gefühl, verloren zu sein"
"Sternenkind"-Mutter:"Das Gefühl, verloren zu sein"
von Felicitas Fehrer
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Wie gehen Menschen damit um, deren Kind im Mutterleib oder nach der Geburt stirbt? Über Schmerz, Hoffnung und die Kraft des Austausches bei Eltern von "Sternenkindern".
Grab eines sogenannten Sternenkindes. (Archiv)
Quelle: Imago
Michaela, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, und ihr Mann haben eine schwere Reise hinter sich. Als die beiden ihr zweites Kind bekommen wollen, ist Michaela 30 Jahre alt. Doch in der achten Schwangerschaftswoche erfährt die junge Frau bei einem Arzttermin: Das Herz ihres Kindes hat aufgehört zu schlagen. Warum, ist unklar.
Es folgte eine Ausschabung der Gebärmutter. Die Wochen darauf sind geprägt von Verdrängung. "Ich habe einfach weiter für meine andere Tochter funktioniert", sagt die heute 34-Jährige.
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Eine Familie, zwei "Sternenkinder"
Kurze Zeit später wird Michaela wieder schwanger. Als bei einer Vorsorgeuntersuchung erste Auffälligkeiten festgestellt werden, folgen Wochen der Ungewissheit und weitere Arzttermine.
Nach intensiver Beratung entscheiden sie und ihr Mann sich dafür, die Schwangerschaft verfrüht einleiten zu lassen. Bei der Geburt stirbt ihr Kind.
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Tabuthema in der Gesellschaft
Für jeden Menschen, der ein Kind verliert - sei es die Mutter, der Vater oder die Großmutter - seien die Herausforderungen im Laufe des Trauerprozesses anders, sagt Hebamme Taina Beulting. Sie ist in der Trauerarbeit mit früh verwaisten Eltern aktiv.
Vielen Betroffenen falle es beispielsweise oft schwer, wieder in den Alltag zu kommen und eine Sinnhaftigkeit zu finden. Für Michaela ist die Zeit nach dem Tod ihrer Kinder geprägt von dem "Gefühl, verloren zu sein".
Obwohl der frühe Tod des eigenen Kindes für viele Menschen Realität ist, handelt es sich nach wie vor um ein Tabuthema in der Gesellschaft. Es sei wichtig, dass Betroffene wissen, dass es Anlaufstellen gebe, die in der Trauerbegleitung professionell unterstützen, sagt Hebamme Beulting.
Anlaufstellen für Familien mit "Sternenkindern"
Bei der Sternenkinder-Beratungsstelle der Bethanien-Stiftung gibt es kostenlose Begleitung und Beratung durch speziell ausgebildete Fachkräfte, um Familien mit Sternenkindern und deren Umfeld zu unterstützen.
Die Stiftung Dein-Sternenkind ist ein Netzwerk aus mehr als 600 Fotografen, die kostenlos Sternenkinder fotografieren - als Erinnerung und Hilfe, um Trauer zu teilen: https://www.dein-sternenkind.eu/#
Bei Hope's Angel erhalten Trauernde kostenlose Begleitung und Beratung mit Übersicht über Notfallrufnummern im Akutfall samt "Hoffnungs-Podcast".
Kraft durch Austausch in der Trauerbegleitung
Außerdem sei es sinnvoll, dass Menschen mit anderen Betroffenen in Kontakt kommen, um sich auszutauschen. In den sozialen Medien gibt es zum Beispiel verschiedene Accounts und Gruppen, in denen sich Angehörige von "Sternenkindern" vernetzen können. Kontakt zu anderen Betroffenen herzustellen, hilft auch Michaela in ihrem Trauerprozess.
Geholfen habe ihr auch die Beerdigung ihres zweiten "Sternenkindes", dessen Grab sie regelmäßig besucht. Was ihr noch beim Trauern helfe, sei Musik.
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Mitfühlend und offen zuhören
Wenn Betroffene ihre Erlebnisse mit anderen Menschen teilen, komme es öfter vor, dass ihnen Sprach- oder Hilflosigkeit begegnet, sagt Beulting. Das würden Betroffene aber oft gar nicht als so belastend wahrnehmen.
Problematischer seien hingegen Floskeln wie "Ihr seid ja noch jung, ihr könnt ja noch Kinder kriegen" oder "Trauer geht vorbei". Beultin empfiehlt, mitfühlend und offen zuzuhören und auf Floskeln zu verzichten.
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Jeder trauert anders
Trauerprozesse seien individuell, sagt Hebamme Beulting, auch innerhalb einer Partnerschaft. So ist es auch bei Michaela und ihrem Mann. "Er hat für sich selbst getrauert", erzählt die 34-Jährige. "Ich habe manchmal gedacht: 'Rede doch mit mir!' Aber da kam nichts." Oft hätten klassische Rollenbilder etwas damit zu tun, sagt Beulting.
Deshalb sei ein Austausch mit anderen trauernden Männern ohne ihre Partnerinnen sinnvoll.
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Trauernde sollten sich Zeit nehmen, betont Beulting. Es hilft auch, Fragen zu stellen und sich Anlaufstellen zu suchen, "egal, in welcher Schwangerschaftswoche der Verlust war und auch egal, ob es ein Schwangerschaftsabbruch war. Denn auch dabei handelt es sich um verstorbene Kinder, die betrauert werden."
Ein solches Erlebnis könne nicht langfristig verdrängt werden, denn dann suche es sich unfreiwillig irgendwo im Leben seinen Platz.
Rückkehr der Hoffnung und Glück
Nach dem Verlust zweier Kinder versuchen Michaela und ihr Mann noch ein letztes Mal, ein Kind zu bekommen. Als Michaela wieder schwanger wird, hat sie ständig auch im Kopf: "Ich darf mich noch nicht freuen, wer weiß, was noch passiert."
Dieses Mal ist das Kind gesund zur Welt gekommen - heute ist es zweieinhalb Jahre alt. Man spricht dabei von einem "Regenbogenkind", erklärt Michaela. Es stehe für die Wiederkehr von Hoffnung und Glück nach einer schweren Zeit.