Streaming: Ist die Zeit der großen Serien vorbei?

    Interview

    Streaming und Fernsehen:Ist die Zeit der großen Serien vorbei?

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    Streaming hat das Format der Serie grundlegend verändert. Früher schrieben "Breaking Bad" oder "Big Bang Theory" Kulturgeschichte. Was haben aktuelle Produktionen zu bieten?

    Filmszene: Aaron Paul (l) und Bryan Cranston in Breaking Bad (Season 2)
    Nur schwer zu toppen: Aaron Paul (l.) und Bryan Cranston in der zweiten Staffel von "Breaking Bad". Die Serie bekam 2014 sogar einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde: Als Serie mit den besten Bewertungen aller Zeiten.
    Quelle: Imago

    Haben Sie schon einmal das Ende der Netflix-Bibliothek erreicht? Haben Sie gefühlt jeden Titel gelesen, jedes Seriencover gesehen? Dann ergeht es Ihnen wie vermutlich vielen im Zeitalter des Streamings: Es scheint, als werde es immer schwieriger, die "Goldstücke" zu finden. Aber werden hochklassige Serien tatsächlich zur Mangelware oder täuscht der Eindruck?
    Jonas Eiden lehrt Filmmaking an der Hochschule Macromedia am Campus München. Im Interview wagt er eine Bestandsaufnahme des Serien-Formats.
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    ZDFheute: Herr Eiden, wann haben Sie zuletzt eine Serie geschaut, die Sie nachhaltig beeindruckt hat?
    Jonas Eiden: Oh… Mir geht es oft so, dass mich groß angekündigte Serien eher enttäuschen und ich länger in Nischenwelten unterwegs bin. Das ist ein bisschen frustrierend. Dann findet man aber Perlen häufig da, wo man sie gar nicht erwartet. Mich überzeugen kleinere Krimi-Serien - und eben weniger die großen Serien.

    Jonas Eiden lehrt Filmmaking an der Hochschule Macromedia.
    Quelle: Jonas Eiden

    ...ist Professor für Kamera und Regie an der Hochschule Macromedia in München und lehrt dort "Filmmaking". Er studierte Intermedia Design an der Hochschule Trier und ist selbstständiger Filmemacher.

    ZDFheute: Vor einigen Jahren haben internationale Serien wie "Game of Thrones", "Breaking Bad" oder auch Comedy-Serien wie "Big Bang Theory" noch Kulturgeschichte geschrieben. Warum kommen die großen Serien heute da nicht mehr ran?
    Eiden: Aus meiner Sicht ist das ein Nebeneffekt des Überangebots und der stärkeren Konkurrenz, wodurch die Dinge ein bisschen verschludert werden. Das ist der Druck der Plattformen, an Großes schnell anschließen zu wollen. Dadurch leidet die Originalität leider. Trotz großer Budgets führt dieser Druck dazu, dass man doch nur etwas bekommt, was man irgendwie schon einmal gesehen hat oder was nicht so sehr in die Tiefe geht, wie es die Serie eigentlich verdient hätte.

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    ZDFheute: Das heißt, das Budget ist da, aber die Zeit fehlt?
    Eiden: Ja, unter anderem. Außerdem springen Produktionen oft auf funktionierende Muster auf oder versuchen, sie zu wiederholen. Das klappt meist nur bedingt und hat irgendwann auch seinen Peak erreicht. Man versucht, anhand der Streaming-Daten herauszufinden, welche Formate aus rein kommerzieller Sicht produziert werden müssten.

    Dann bringt man einfach viel auf den Markt, was "weggebingt" werden kann. Die Qualität ist dabei zweitrangig.

    Jonas Eiden, Professor an der Hochschule Macromedia am Campus München

    ZDFheute: Einfach viel auf den Markt zu bringen hat eine Zeit lang gut funktioniert. Jetzt ist es aber kein Geheimnis, dass die Streamingdienste in einer relativ großen Krise stecken. Sehen Sie ein Umdenken in der Serienproduktion, um dem entgegenzuwirken?
    Eiden: Jein. Es gibt immer wieder Einzelfälle, die ganz beeindruckend sind und Hoffnung machen, wie zuletzt zum Beispiel "Shōgun". Dass eine Serie, die fast komplett auf Japanisch umgesetzt wurde, so erfolgreich ist und mit 18 Emmys Rekorde bricht, hätte man so nicht erwartet. Sie entspricht überhaupt nicht diesem "Erfolgsrezept", das zuletzt viel funktioniert hat, sondern geht mehr in die Richtung eines längeren Films und ist dadurch auch deutlich komplexer.
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    In solchen Mini-Serien spielen das Narrativ und das dramaturgische Können eine viel größere Rolle. Außerdem können große Stoffe dadurch mit ausreichend Zeit zum Erzählen umgesetzt werden, während sie in einem Film zu gequetscht wirken würden. Und: Sie sind verdaubarer als Serien mit vielen Staffeln, also kein so großes Commitment für mich als Zuschauer.
    ZDFheute: Wie lautet also das neue Erfolgsrezept, wenn das alte nicht mehr zu funktionieren scheint?
    Eiden: Ich würde gar nicht sagen, dass das nicht mehr funktioniert. Ich glaube, dass beide Erfolgsrezepte parallel funktionieren können. Das sieht man auch an der aktuell sehr erfolgreichen deutschen Serie "Maxton Hall". Da wird eigentlich auch nichts Neues geliefert. Das ist mehr oder weniger "Young Adult", wie man es eben kennt: Coming-of-Age und viele Themen, die weltweit relevant sind in der jungen Zielgruppe.

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    Diese Themen werden charmant verpackt, gut inszeniert und mit tollen Schauspielern umgesetzt, flankiert von guten Social-Media-Kampagnen. Dadurch funktioniert es gut, ohne in den Themen besonders anspruchsvoll zu sein.
    Aber parallel scheint es dann eben auch Platz zu geben für so anspruchsvolle Formate wie "Shōgun", das langsam erzählt und visuell beeindruckend ist. Außerdem überraschen regelmäßig auch vergleichsweise kleinere Produktionen, wenn es sich dabei um neue Formate handelt. Aus Europa kamen zum Beispiel "Haus des Geldes" oder "Dark", aus Südkorea kam "Squid Game". Diese Serien wurden zu internationalen Hits, obwohl sie aus vermeintlich unbedeutenden Produktionsländern kamen und nicht nur Altbekanntes neu erzählt haben.
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    ZDFheute: Sie glauben also an weitere Highend-Serien auch in Zukunft?
    Eiden: Das Schöne ist, dass durch diesen riesigen Markt und die Konkurrenz immer wieder solche Serien erscheinen werden. Ein bisschen schade ist, dass die dann ganz oft auch schnell wieder verabschiedet werden.
    ZDFheute: Warum?
    Eiden: Die Plattformen wollen mit den Serien natürlich in erster Linie Kunden gewinnen. Nach einer, maximal zwei Staffeln ist das Potenzial einer Serie in der Hinsicht eigentlich erloschen. Man hat alle Neukunden angeworben - und die wollen neue Formate sehen. Die Serien werden dann, obwohl man ganz oft eine treue Zuschauerschaft hat, wieder eingestellt - wie zum Beispiel bei den Netflix-Serien "Mindhunter" oder "The OA" geschehen.
    Das war im traditionellen Fernsehen anders. Da hat man versucht, Zuschauer über Jahrzehnte zu binden - zum Beispiel mit "The Simpsons", die schon seit über 30 Jahren laufen.

    Man bekommt diese großen Serien noch, aber eben nicht mehr langfristig.

    Jonas Eiden, Professor an der Hochschule Macromedia am Campus München

    ZDFheute: Das könnte man ja auch positiv sehen: Serien werden nicht nur wegen ihres kommerziellen Erfolgs immer weitererzählt, sondern enden, wenn der Erzählstoff ausgeht.
    Eiden: Absolut, das ist das Erfrischende daran. So entstehen immer wieder neue Formate. Aber die müssen sich auch immer wieder gegen die Erfolgsrezepte durchsetzen, die so ein Algorithmus der Produktion ausspuckt.
    Das Interview führte ZDFheute-Redakteur Torben Heine.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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