Affäre um Seipel: NDR hat Putin-Biograf "über Jahre hofiert"

    Affäre um Hubert Seipel:NDR: Putin-Biograf wurde "über Jahre hofiert"

    von Hans Koberstein, Marta Orosz, Christian Rohde
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    ZDF und Spiegel hatten enthüllt, dass Filmemacher und Putin-Biograf Hubert Seipel Hunderttausende Euro aus Russland kassierte. Nun präsentiert der NDR seinen Untersuchungsbericht.

    Hubert Seipel, Archivbild
    Hubert Seipel kassierte Geld aus Russland. (Archivbild)
    Quelle: Karlheinz Schindler/dpa-Zentralbild/dpa

    Die gute Nachricht aus Sicht des Norddeutschen Rundfunks (NDR) setzen die Autoren an den Anfang ihres 38 Seiten starken Untersuchungsberichts: Die Aufklärung habe "keinerlei Hinweise" zutage gefördert, dass Mitarbeiter des NDR von Zahlungen aus Russland an Hubert Seipel wussten oder "gar selbst Geld angenommen" hätten.
    Doch der ARD-Sender "muss sich vorwerfen lassen, sich von Seipels exklusiven Stoffen mitreißen lassen zu haben." Man habe Seipel "über die Jahre zu viel hofiert und zu wenig kritisch hinterfragt. Als Kreml-Versteher auch in der ARD insgesamt." So schreiben es Steffen Klusmann, Ex-Chefredakteur des "Spiegel" und NDR-Chefjustiziar Michael Kühn, die die Untersuchung führten. Seipels Werke hätten "falsche Informationen durch falsche Narrative und Verzerrungen der Wirklichkeit" verbreitet.
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    Der Film von ZDF frontal zur Recherche über Seipel und "Cyprus Confidential".14.11.2023 | 40:51 min

    Enthüllung über russische Zahlung an Seipel

    Im November hatten ZDF frontal, "Spiegel", der österreichische "Standard" und die Schweizer Tamedia-Gruppe in Zusammenarbeit mit dem internationalen Recherchenetzwerk ICIJ aufgedeckt, dass Seipel über die Jahre Hunderttausende Euro vom Putin-nahen Oligarchen Alexei Mordaschow kassiert hatte.
    Die heimlichen Zahlungen aus Russland hatte Seipel nicht nur verschwiegen, sondern bis zur Enthüllung Ende vergangenes Jahr vehement bestritten. Seine Werke "Ich, Putin" (2012) und "Putin - das Interview" (2014) wurden in der ARD zur besten Sendezeit ausgestrahlt, erhielten Anerkennung und Preise. Jahrelang durfte Seipel als "Putin-Kenner" in Talkshows seine Sicht auf Russland und Wladimir Putin präsentieren.

    NDR-Intendant sieht kein redaktionelles Versagen

    Bei der Vorstellung des Seipel-Berichts sagte Klusmann am Donnerstag: "Putin, so wirkt es, hat in Seipel einen Einzelkämpfer gefunden, der es ermöglicht hat, im wichtigen deutschen Markt eine gewogene Berichterstattung zu bekommen." Trotz aller Warnungen von kritischen Korrespondenten vor Ort in Moskau und Fachleuten in Deutschland.
    Zur Wahrheit gehört auch, dass die Verantwortlichen beim NDR und der ARD berauscht gewesen sein müssen von den exklusiven Bildern und Einblicken, die Seipel lieferte. Im Bericht heißt es: Nach der Veröffentlichung des Films "Ich, Putin" habe sich beim NDR "durch alle Hierarchien eine regelrechte Seipel-Begeisterung breit gemacht". Seipel sei "wie ein Star behandelt worden, keiner habe ernsthaft hinterfragt, ob er womöglich die nötige Distanz verloren habe".

    "Wunsch nach Harmonie und Aussöhnung mit Russland"

    NDR-Intendant Joachim Knuth mag darin heute dennoch kein journalistisches Versagen sehen: "Nein, das finde ich nicht" sagt er auf Nachfrage.

    Man kann das schon in die Zeit hineinkontextualisieren.

    Joachim Knuth, NDR-Intendant

    Als Seipels Werke ausgestrahlt wurden, habe es "durchaus auch einen Wunsch nach Harmonie und Aussöhnung mit Russland" gegeben. Deshalb seien die Produktion von Seipel "auch im Sinne einer Diversität und Pluralität ein Kontrapunkt gewesen." Knuth spricht von "genauer Exegese des Berichts" und will "mehr Sorgfalt" einfordern.
    Darauf hätte der Sender schon vor Ausstrahlung der Seipel Werke kommen können, folgt man der extra berufenen NDR-Gutachterin Gesine Dornblüth.

    Expertin Dornblüth: "Von Propaganda durchzogene Filme"

    Um zu klären, wie "wertvoll Seipels Filme für den pluralistischen Diskurs" waren, stützt sich der NDR auf Dornblüth. Sie gilt dem Sender als ausgewiesene Russland-Kennerin. Sie berichtet seit Anfang der 90er-Jahre aus und über Russland und war von Anfang 2012 bis Anfang 2017 Moskau-Korrespondentin für das Deutschlandradio.
    Dornblüths Fazit kommt einer Bankrotterklärung für die Beteiligten an Seipels Werken nahe. Seine Filme seien "von Propaganda durchzogen". Der angebliche Putin-Kenner habe "Positionen Putins übernommen, ohne diese kritisch zu hinterfragen, obwohl dies problemlos möglich gewesen wäre", heißt es in dem Gutachten.
    Der Kreml habe das zu "Selbstbespiegelung" genutzt. Insofern habe sich Seipel von Putin "missbrauchen oder einspannen" lassen. Und dann sagt Dornblüth einen Satz, den auch NDR-Intendant Knuth hören konnte: "Journalismus darf der Lüge nicht weiter einen Platz einräumen, der gleichberechtigt neben Recherche steht."
    Russland-Expertin Gesine Dornblüth
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