Gleitzeit an Schulen: Was ein späterer Schulstart bringt

    Gleitzeit an Schulen:Später Schulstart bringt nicht nur mehr Schlaf

    von Victoria Kunzmann
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    Siebtklässler am Gymnasium in Plochingen gehen zweimal die Woche zur dritten Stunde in die Schule. Das fördert Konzentration und Selbständigkeit - ist aber nicht leicht umzusetzen.

    Schule-Gleitzeit
    Sechs Wochen lang hat die Klasse 7a am Gymnasium Plochingen ein neues Gleitzeit-Modell ausprobiert. Der Unterricht beginnt spätestens um 9.00 Uhr, davor machen die Schüler eigenständig Aufgaben.16.05.2024 | 2:02 min
    Der Wecker klingelt erst um kurz nach acht, statt wie sonst um Viertel vor sieben Uhr: Der zwölfjährige Luis darf zweimal in der Woche ausschlafen. Er geht erst zur dritten Stunde in den Unterricht. Die Schulaufgaben aus den ersten beiden Stunden macht er am Nachmittag, wenn die Schule vorbei ist.
    Gleitzeit nennt sich das Modell, das die Klasse 7a am Gymnasium in Plochingen bei Stuttgart sechs Wochen getestet hat. An zwei Tagen in der Woche hatten die Schüler die Wahl, ob sie um 7:50 Uhr oder um 9:40 Uhr in die Schule kommen - zur ersten oder zur dritten Stunde.
    In den ersten beiden Stunden können sie ausschlafen, oder in der Schule die Aufgaben bearbeiten, die ihnen Lehrer Till Richter gegeben hat. Er ist in der Gleitzeit im Klassenzimmer und kann die Schüler beim Bearbeiten der Aufgaben unterstützen.

    Wie die Schüler das Gleitzeit-Modell finden

    Der zwölfjährige Luis hat die Gleitzeit genutzt und ausgeschlafen. Die Auswirkungen auf den Körper hat er sofort gespürt: Er müsse sich "kein Wasser mehr ins Gesicht machen" um aufzuwachen. "Manchmal wache ich sogar ohne Wecker auf."
    Luis' Sitznachbar Paul, 13 Jahre alt, spürt das spätere Aufstehen noch deutlicher:

    Ich habe weniger Stress mit dem Lernen und meine Noten haben sich verbessert.

    Paul, Schüler am Gymnasium in Plochingen

    Der zwölfjährige Manuel ist Frühaufsteher und ohnehin wach. Deshalb geht er trotz Gleitzeit um 7:50 Uhr zur Schule. "Ich bin so oder so wach. Was soll ich in der Zeit schon anderes machen?", sagt er.
    Auch Hannah lernt lieber in der Schule: "Dann kann man sich auch mit Freunden austauschen, wenn es ein Problem gibt. In der Schule werde ich weniger abgelenkt als zu Hause."

    Wie ein Lehrer die Gleitzeit bilanziert

    Nicht nur das Ausschlafen ist ein Grund für die Siebtklässler, später in die Schule zu kommen. Lehrer Till Richter sagt, er sei überrascht, wie "reflektiert" die Schüler mit der Gleitzeit umgehen würden. Die meisten würden wissen, ob sie in der Schule besser oder schlechter lernen könnten und ob sie den Schlaf am Morgen brauchen.
    So verhelfe ihnen das Projekt auch zu mehr Selbständigkeit. "Die Freiheit, die sie von uns bekommen, bedeutet eben auch Verantwortung", sagt Richter. "Freiheit heißt auch, dass sie ihre Aufgaben selbst machen müssen."
    Der Deutschlehrer beobachtet, dass die Motivation seiner Schüler hoch ist:

    Sie machen ihre Aufgaben zum Teil deutlich besser als sonst, weil sie motivierter und selbstbestimmter sind.

    Till Richter, Lehrer am Gymnasium in Plochingen

    Warum ein späterer Schulstart für viele Heranwachsende notwendig ist

    Der Wunsch, später mit dem Unterricht zu starten, kam von den Schülern der 7a selbst. Ihnen geht es wie vielen Jugendlichen: Viele gehen abends spät ins Bett und kommen morgens kaum aus dem Bett.
    Früher schlafen zu gehen hilft nur bedingt, sagt Professor Dieter Riemann, Schlafforscher an der Uniklinik in Freiburg im Breisgau. Der Biorhythmus stelle sich in der Jugend um.

    Viele Forschungsteams haben sich schon mit dem Schlafverhalten und von Kindern und Jugendlichen befasst. In einer Studie von Mary Carskadon mit ihrem Team 1998 kam heraus, dass ein zu früher Schulbeginn die Fähigkeiten von Heranwachsenden einschränkt: Er führt zu Leistungseinbußen, Gedächtnislücken und Stimmungsschwankungen.

    Professor Dieter Riemann, Schlafforscher an der Uniklinik in Freiburg im Breisgau, fand mit einem Forschungsteam (Loessl et al. 2008) heraus, dass die optimale Schlafdauer für die meisten Jugendlichen bei neun Stunden liegt. Auf diese Dauer kämen nur wenige Schüler unter der Woche.

    Doch die Frage des Schlafmangels sei auch eine politische, sagen die Forscher: Sie hänge ab vom Schulstart, der Dauer des Schulwegs und habe deutliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit. Bei kleinen Kindern kann mehr Schlaf zu einem besseren Ausdrucksvermögen und mehr Intelligenz führen, hat ein Team um Kathrin Guerlich 2022 herausgefunden.

    Viele Heranwachsende kommen nicht auf ihre optimale Schlafdauer, bei den meisten etwa neun Stunden. Das führe zu Schlafmangel. "Das geht einher mit Schläfrigkeit, Müdigkeit, Gereiztheit und natürlich auch Einschränkungen in der Konzentration", sagt Riemann.
    Studien zeigten, dass schon eine Stunde mehr Schlaf am Morgen einen positiven Effekt habe: "Was ganz deutlich gezeigt werden konnte, ist, dass bei solchen Maßnahmen die Müdigkeit abnimmt und dass die Konzentration positiv gefördert wird."

    Gleitzeit an Schulen - ein Zukunftsmodell?

    Bei allen positiven Aspekten - neben der Förderung der Konzentration etwa das Üben von Eigenverantwortung - lässt sich das Gleitzeitmodell nicht leicht umsetzen. In vielen Orten fahren keine Busse zur dritten Schulstunde. Viele berufstätige Eltern verlassen selbst morgens früh das Haus und wollen ihr Kind nicht allein zu Hause lassen.
    Auch der Lernerfolg in der Gleitzeit spielt eine Rolle. "Ich muss seitdem viel genauer darauf achten, dass ich wirklich keinen Schüler verliere", sagt Till Richter über die Gleitzeit.
    Derzeit wertet die Klasse 7a das Gleitzeit-Modell aus. Danach bespricht sie mit der Schulleitung, ob und wie das Modell fortgeführt werden könnte. Die Schüler stehen dem Projekt positiv gegenüber. Sie würden es gern wie bisher zweimal in der Woche fortführen.

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