Gewalt an Schulen:Wenn Lehrer zur Zielscheibe werden
von Lukas Wagner und Isabel Handrich
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An vielen Schulen ist Gewalt gegen Lehrkräfte alltäglich - und trotzdem häufig ein Tabu-Thema. Warum die Gewalt entsteht und wie das Problem bekämpft werden kann.
Immer wieder werden Lehrer zum Ziel von Beleidigungen, Verleumdungen und sogar körperlicher Gewalt. (Symbolbild)
Quelle: imago
Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer ist Alltag an Schulen: In den letzten zehn Jahren lag die Zahl der bundesweiten Straftaten gegen Lehrkräfte laut Kriminalstatistik jeweils über 1.600. Die Situation sei "kritisch", sagt Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE).
Gewalt an Schulen Alltag in ganz Deutschland
Der VBE ließ im vergangenen Herbst eine Studie zu Gewalt gegen Lehrkräfte durchführen - mit bundesweitem Fokus. Dabei berichteten 32 Prozent der befragten Schulleiter von körperlichen Angriffen gegen Lehrerinnen und Lehrer an ihrer Schule in den vergangenen fünf Jahren.
Gewalt gegen Lehrer an Schulen
ZDFheute Infografik
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Statistik: Gewalt findet in allen Schulformen statt
Dass psychische und körperliche Gewalt in allen Schulformen auftritt, zeigt die vom Beamtenbund und Tarifunion (dbb) beauftragte und nun veröffentlichte Umfrage der Universität Gießen aus dem Herbst 2022 für Hessen.
So berichten zum Beispiel 56 Prozent der befragten Grundschul-, 52 Prozent der Haupt-, Real- sowie Gesamtschul- und 26 Prozent der Gymnasiallehrer, innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Umfrage beschimpft oder beleidigt worden zu sein.
Brand: Schutz der Beschäftigten benötigt oberste Priorität
VBE-Chef Brand kritisiert einen "Deckmantel des Schweigens", der oft über dem Thema schwebe. Lehrkräfte äußerten sich dazu nur ungern - und wenn, dann vor allem gegenüber vertrauten Kollegen, sagt Brand.
Schulleitungen, die sich dem Problem stellten, hätten oftmals mit einem Reputationsverlust zu kämpfen, da der Eindruck entstehe, es käme nur dort zu Gewalt, sagt Brand - doch es sei ein "generelles Problem".
Gewaltforscher: Soziales Umfeld der Kinder Teil des Problems
Gewaltforscher Andreas Zick von der Universität Bielefeld sieht das ähnlich: Wegen eines möglichen Imageschadens für die Schule nicht hinzusehen oder Gewalt nicht zu benennen, sei zwar nachvollziehbar, "aber ein Teil des Problems".
Laut Zick sind Gewalttendenzen aus dem sozialen Umfeld der Schüler ein Grund, warum die Kinder aggressiv in die Schule kommen. "Sie teilen Hassbilder, Vorurteile, bekommen im Elternhaus eine Rechtfertigung durch missachtende und respektlose Bilder des Lehrpersonals oder bauen in ihren Gleichaltrigengruppen ein herabwürdigendes Bild auf", erklärt Zick.
Auch für die Kultusministerkonferenz (KMK) ist es eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe", das Problem anzugehen. Gewalt im schulischen Alltag könne "nicht allein durch eine gute pädagogische Arbeit an Schulen oder den Ausbau von schulpsychologischen Angeboten" verhindert werden, erklärt ein Sprecher gegenüber ZDFheute.
Hat die Corona-Pandemie zu mehr Gewalt geführt?
Die Corona-Pandemie könnte als zusätzlicher Verstärker gewirkt haben. Private Krisen vermischten sich mit fehlenden Präventionsmaßnahmen gegen Gewalt. Bei vielen jungen Menschen sei wohl auch der Eindruck entstanden, "dass der Schule und Gesellschaft eh nicht wichtig ist, was sie fühlen, denken und tun", erklärt Zick.
Der Anteil stieg im Vergleich zur vorherigen Befragung aus dem Jahr 2018 um sechs Prozentpunkte, Anfang 2020 war er mit zwei Prozentpunkte noch etwas höher.
Dass ein Gewaltproblem teils hausgemacht ist, legt die bereits erwähnte VBE-Umfrage nahe. Während körperliche Gewalt gegenüber Lehrkräften im Jahr 2022 vermehrt von Schülerinnen und Schülern ausgeübt wurde, waren im Fall der psychischen Gewalt sogar häufiger Eltern verantwortlich.
Zick: Datenlage grundsätzlich mangelhaft
Generell lasse die Datenlage allerdings zu Wünschen übrig, erklärt Gewaltforscher Andreas Zick.
Es gebe keinerlei Langzeitstudien oder systematische Erhebungen, die die Facetten der Gewalt - physischer als auch psychischer Natur - erheben, vielmehr seien es meist Einzelfallberichte.
VBE fordert mehr Unterstützung für Lehrkräfte
Da man bisher nicht genau wisse, zu wie vielen Vorfällen es an Schule komme, fordert der VBE, dass "Gewalttaten gegenüber Lehrkräften verpflichtend dokumentiert und anonymisiert in öffentlich zugängliche Statistiken überführt werden".
Außerdem brauchten von Gewalt in der Schule betroffene Lehrkräfte "unabhängige und niedrigschwellig" Anlaufstellen für juristische und psychologische Unterstützung, um Gewalterfahrungen aufzuarbeiten.
Wie viel Gewalt gibt es an Schulen, und was wird dagegen getan? Schulen in Berlin und Hamburg zeigen, wie sie mit dem Problem umgehen.27.01.2018 | 3:55 min
Wie kann Gewalt gegen Lehrer verhindert werden?
Um Gewalt gegen Lehrkräfte bekämpfen zu können, fordert Gerhard Brand, mehr Schulpsychologen oder Sozialpädagogen an Schulen zu etablieren. Lehrkräfte sollten Wissen vermitteln und die Kinder auf die Zukunft vorbereiten, "sie können sich aber nicht zusätzlich um alle Sorgen kümmern", sagt Brand.
Dagegen könnten die geforderten "multiprofessionellen Teams" - die bisher selten an Schulen seien - Schülern bei Sorgen und Nöten helfen und damit beispielsweise auch dazu beitragen, Aggressivität zu verhindern, bevor sie entstehe.
Brand: Viel Arbeit gegen Gewalt an Schulen notwendig
Gewaltforscher Andreas Zick fordert "mehr Beratungsstellen für Lehrpersonal" und Schüler - unter letzteren gebe es ebenfalls Opfer. Auch brauche es "eine umfassende Studie und Bestandsaufnahme aller Formen der Gewalt" sowie verstärkte Anti-Aggressions-Trainings und mehr Weiterbildung für Lehrkräfte, damit diese besser deeskalieren könnten.
Gerhard Brand sieht noch viel "Überzeugungsarbeit", um Lehrkräften einen offenen Umgang mit beruflichen Gewalterfahrungen zu ermöglichen und damit zur Lösung des Problems beizutragen.