"Schiege" laut Evolutionsbiologe: "Evolutionäre Sackgasse"

    Interview

    "Evolutionäre Sackgasse":Mischwesen "Schiege": Mama Schaf, Papa Ziege

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    Die letzte "Schiege" wurde 2014 vermeldet. Nun soll in Schleswig-Holstein wieder eine geboren sein: "Flumo". Ein Interview mit dem Evolutionsbiologen Prof. Axel Meyer.

    Schaf-Mama "Selma" (l), die junge Schiege "Flumo" und Ziegenbock "Rune"
    Schaf-Mama "Selma" (links), die junge mutmaßliche Schiege "Flumo" und Ziegenbock "Rune" (rechts)
    Quelle: dpa

    Vieles deutet daraufhin, dass "Flumo" eine Kreuzung aus Schaf und Ziege ist. Die Geburt wurde Mitte August von einem Hof an der Flensburger Förde gemeldet. So etwas gibt es nur in absoluten Ausnahmefällen, wie der Evolutionsbiologe Axel Meyer erklärt.
    ZDFheute: Eine echte Schiege in Norddeutschland, das wäre doch eine kleine biologische Sensation, oder?
    Professor Axel Meyer: Ja, Hybride aus Schaf und Ziege, das passiert sehr selten, nur alle paar Jahre. Üblicherweise sterben die Babys vor der Geburt. Sie sind nicht lebensfähig, weil sie genetisch nicht kompatibel sind. Schafe und Ziegen unterscheiden sich in der Anzahl der Chromosomen, Schafe haben 54 Chromosomen, Ziegen 60. Das ist in den allermeisten Fällen eine tödliche Kombination.

    ... ist Professor für Zoologie und Evolutionsbiologie an der Universität Konstanz.

    Es ist verwunderlich, dass das Tier lebt. Ich bin gespannt, ob es durch die Pubertät kommt, ob es geschlechtsreif wird. Ich würde erwarten, dass es nicht so weit kommt.
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    Hund Minon lebt wie ein Schaf in einer Herde. Der pyrenäische Berghund hat die Aufgabe seine Herde im Fall eines Wolfangriffs zu beschützen. 17.07.2023 | 1:30 min
    ZDFheute: Die meisten Medien sind vorsichtig und schreiben, dass "mutmaßlich" eine Schiege in Schleswig-Holstein geboren wurde. Wie könnte man das denn mit Sicherheit sagen? Müsste man dem Ziegenbock eine Locke abschneiden, so wie beim Vaterschaftstest beim Menschen?
    Meyer: Nein, das ist deutlich komplizierter. Man kann zuerst schauen, wie das Tier ausschaut. Bei den Fällen, die bekannt sind, hatte das Tier struppiges Fell wie eine Ziege und weiches Unterfell wie ein Schaf also Merkmale von beiden Eltern. Diese Mixtur würde darauf hindeuten, dass es zwischen diesen beiden Arten entstanden ist.
    ZDFheute: Der Besitzer sagt, "Flumo" habe weißes Fell mit braunen Flecken. Und der einzige Schafbock in der Herde habe dunkles Fell. Und blöken beziehungsweise meckern würde der Kleine auch wie der Papa.
    Meyer: Um sicher zu sein, könnte man als nächsten Schritt das Genom sequenzieren: Welcher Teil kommt von der Mutter, welcher vom Vater? Das ist aber sehr aufwendig.
    Liger
    Ein "Liger" - eine Mischung aus Tigerin und Löwe
    Quelle: imago

    ZDFheute: Bei der Recherche sind mir auch andere hybride Tiere begegnet: Liger (Kreuzung aus Löwe und Tiger), das Zorse (Zebra und Pferd) oder ein Prizzly (Polarbär und Grizzly). Seltene Einzelfälle. Die meisten hybriden Tiere schaffen es nicht, sich fortzupflanzen, oder?
    Meyer: Ja, das ist eine evolutionäre Sackgasse. Denken Sie an Esel und Pferde. Maultiere sind ja Hybride zwischen diesen beiden Arten. Sie sind in den meisten Fällen nicht fortpflanzungsfähig. Sie verbinden Eigenheiten von Eseln und Pferden, sind sehr nützlich und stark und ausdauernd, aber müssen immer wieder neu gezüchtet werden. Es ist also ein bemerkenswertes Phänomen, aber nicht von evolutionärer Konsequenz.
    Zonkey
    Auch andere Tier-Hybriden existieren: Hier ein "Zonkey", eine Mischung aus Esel und Zebra.
    Quelle: imago

    ZDFheute: Wenn Sie von evolutionärer Konsequenz sprechen, dann meinen Sie, dass das einfach so passiert? Wir Menschen gehen ja immer davon aus, dass alles zielgerichtet und effizient geschieht.
    Meyer: Richtig, die Evolution hat kein Ziel. Natürlich sind in der künstlichen Zucht auf dem Bauernhof bestimmte Ziegenrassen oder Schafrassen gezüchtet worden, die für bestimmte Umstände wie Hochgebirge günstige Eigenschaften haben. Hier in diesem Fall zwischen Schaf und Ziege sind die Unterschiede zu groß. Die gemeinsamen Vorfahren haben vor vielleicht vier oder fünf Millionen Jahren gelebt und die sind heute einfach zu weit genetisch entfernt voneinander.
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    ZDFheute: Also geht es in der Natur letztlich immer darum, ob man sich fortpflanzen kann?
    Meyer: Genau. Die Währung der Natur ist Fitness und Fitness bedeutet, möglichst viele Nachfahren zu haben. Es geht um das Überleben des eigenen Erbguts.
    Das Interview führte Winnie Heescher, Korrespondentin im Landesstudio Schleswig-Holstein.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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