16-Jähriger getötet: Maschinenpistole bei Polizei normal?

    Polizist tötet 16-Jährigen:Maschinenpistolen im Streifenwagen normal?

    von Julia Klaus
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    Ein Polizist hat einen 16-Jährigen, der mit einem Messer bewaffnet war, mit einer Maschinenpistole getötet. Der Fall in Dortmund wirft Fragen auf, auch über die Waffen der Polizei.

    Es mutet martialisch an, was sich am Montag in Dortmund abgespielt hat. Die Polizei wird zu einem Einsatz in eine Jugendhilfeeinrichtung gerufen. Ein Betreuer dort hatte den Notruf gewählt, weil sich ein junger Mann umbringen wollte - so wird es später der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) beschreiben.
    Der 16-Jährige, ein unbegleiteter Flüchtling, hat ein Messer bei sich - und lässt sich in einem "Stufenverfahren" nicht beruhigen, so schildert es Reul (CDU). Was die Beamten demnach getan hatten:
    • Ansprache durch Polizisten in Zivil,
    • Einsatz von Pfefferspray,
    • zweimaliger Einsatz eines Elektroschockers/Tasers
    Das alles habe nicht gewirkt, so Reul. Die Polizei ist da mittlerweile mit elf Beamten vor Ort. Der Jugendliche sei dann mit dem Messer "aggressiver auf die Polizisten zugerannt", so Reul im MDR. Dann fallen insgesamt sechs Schüsse aus der Maschinenpistole eines 30-jährigen Polizisten. Fünf davon treffen den Jugendlichen: in den Bauch, in den Kiefer, in den Unterarm und in die Schulter. Er stirbt.
    Der Fall wirft viele Fragen auf: Warum hat der Polizist mit einer Maschinenpistole geschossen? Warum mit sechs Schüssen? Und wie wird das alles nun aufgeklärt?

    Aufrüstung bei der Polizei: Maschinenpistole im Streifenwagen

    In Nordrhein-Westfalen gehört die Maschinenpistole zur Ausrüstung in Streifenwagen. Kritik daran übt der Polizeiforscher Rafael Behr. Gegenüber ZDFheute sagt er: "Die Aufrüstung der Polizei schreitet voran, ist aber keine Lösung." Nach Terrorlagen, wie etwa den Anschlägen von Paris 2015, werde zuverlässig über neues Gerät diskutiert und vielfach auch angeschafft, so Behr.

    Eine Maschinenpistole bei einem solchen Einsatz zu benutzen, scheint mir völlig unverhältnismäßig.

    Rafael Behr, Akademie der Polizei Hamburg

    Auch müsse man sich das Schussbild bei den Ermittlungen anschauen, so Behr. Es müsse geklärt werden, ob die Waffe im Automatik- oder im Einzelschuss-Modus war.

    ... ist Professor für Polizeiwissenschaft mit den Schwerpunkten Kriminologie und Soziologie an der Akademie der Polizei Hamburg. Er forscht unter anderem zu Polizeikultur, Racial Profiling und sozialer Kontrolle.

    Taser: "Herzkranker kann daran sterben"

    Zum Thema Aufrüstung passt auch der Taser. Den hatten früher nur Sondereinsatzkommandos, mittlerweile haben mehrere Länder die Elektroschockpistolen flächendeckend eingeführt oder planen dies. Dabei werden zwei Drähte abgeschossen, die sich wenige Millimeter tief in der Haut graben. Durch Stromschocks soll der Getroffene dann außer Gefecht gesetzt werden.
    Warum das bei dem 16-Jährigen nicht funktioniert hat, muss ermittelt werden. Laut Innenminister Reul habe der erste Taser-Schuss nicht getroffen und der zweite nicht gewirkt.
    Schon vor dem Vorfall hatte Nordrhein-Westfalen beschlossen, die Anzahl der Taser zu verdoppeln: auf insgesamt 1.200 Geräte.
    Polizeiforscher Behr sieht die breite Anschaffung kritisch:

    Wenn ein Herzkranker solchen Stromimpulsen ausgesetzt ist, kann er sterben. Wird ein Taser leichtfertig benutzt, sehe ich da eine große Gefahr.

    Rafael Behr, Akademie der Polizei Hamburg

    Laut dem Blog "Cilip" sind bereits sechs Menschen nach Taser-Einsätzen durch die Polizei gestorben. Erlebt Deutschland eine Militarisierung der Polizei wie in den USA? "Ich sehe noch keine US-amerikanischen Verhältnisse bei uns, aber ich sehe auch keine Tendenzen, bei den Geräten abzurüsten", so Behr.

    Wer ermittelt gegen den Polizisten? Die Polizei

    Gegen den Polizisten wird wegen des Verdachts auf Körperverletzung mit Todesfolge ermittelt - und zwar von der benachbarten Direktion aus Recklinghausen. In einem anderen, ähnlichen Fall wiederum ermitteln Dortmunder Beamten gegen solche aus Recklinghausen.
    Der Grund dafür: In Nordrhein-Westfalen gibt es ein System, bei dem fest zugewiesene Dienststellen in solchen Fällen ermitteln. Dass zwei davon nun zeitgleich auftreten, ist Zufall. Was aber auch wichtig ist: Die Polizei ermittelt zwar, federführend ist aber die Staatsanwaltschaft. Der für das Verfahren zuständige Staatsanwalt Carsten Dombert sagte ZDFheute:

    Ich habe vollstes Vertrauen in die Polizei Recklinghausen, dass diese unabhängig und ergebnisoffen ermittelt.

    Carsten Dombert, Staatsanwaltschaft Dortmund

    "37° Bunte Polizei - Einsatz mit Migrationsgeschichte": Kevin Sheikh, ein junger Polizist, steht neben einem Polizeiauto.
    Die Gesellschaft ist vielfältig geworden. Das stellt auch die Polizei vor neue Herausforderungen. Polizist*innen mit Migrationsgeschichte sind in Deutschland gefragt.12.12.2022 | 28:53 min

    Wie andere Staaten mit Vorwürfen gegenüber der Polizei umgehen

    Der Fall wirft erneut die Frage nach unabhängigen Stellen auf. Denn letztlich ermitteln Polizist*innen systemimmanent gegen andere. In anderen Staaten gibt es dagegen gut ausgestattete und von der Polizei unabhängige Behörden. Großbritannien hat seit 2018 das Independent Office for Police Conduct (IOPC), bei dem man sich über die Arbeit der englischen und walisischen Polizei beschweren kann und das dann eigenständig ermittelt.

    Deutschland braucht überall unabhängige Polizeibeauftragte, an die sich Bürger bei Diskriminierung und Vergehen durch die Polizei wenden können.

    Rafael Behr, Akademie der Polizei Hamburg

    In einigen Bundesländern gibt es die zwar schon, etwa in Rheinland-Pfalz. In Nordrhein-Westfalen aber soll die Stelle erst noch kommen.