Die Studie zeigte: Die Jungen und Mädchen haben eine hohe Bindung zu ihren Pfadfinderstämmen - dies erschwere das Benennen von Missbrauch.
Quelle: dpa
Eine
Studie hat bei den Pfadfindern Dutzende Betroffene sexualisierter Gewalt ermittelt. Seit der Gründung des Verbands 1976 bis zum Jahr 2006 seien 36 Beschuldigte und 103 Betroffene identifiziert worden, teilten der Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) und Wissenschaftler in München mit. Insgesamt wurden durch die Studie Hinweise auf 74 Beschuldigte und 149 Betroffene generiert, hieß es.
Die Taten fanden vor allem in den 1980er- und 1990er-Jahren statt. Laut BdP ist die Untersuchung eine der ersten Studien, die sich auf einen Jugendverband bezieht.
Für die Studie haben das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) in München und das "Dissens - Institut für Bildung und Forschung" in Berlin 56 qualitative Interviews mit 60 Personen geführt - darunter waren 26 Betroffene und 22 Zeitzeugen sowie Experten. Außerdem sei Aktenmaterial aus BdP-Archiven gesichtet worden.
Forscher gehen von großem Dunkelfeld aus
Beziehe man auch Taten mit ein, die nicht dem BdP und nicht dem exakten Untersuchungszeitraum zugeordnet werden konnten, erhöhe sich die Zahl der Beschuldigten und Betroffenen nochmals. Zudem sei von einem großen Dunkelfeld nicht bekannt gewordener Taten auszugehen, so die Forscher.
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Betroffen von sexualisierter Gewalt waren den Forschern zufolge Jungen und Mädchen. Bei den fast ausschließlich männlichen Tätern hätten sich zwei "Prototypen" herauskristallisiert: Zum einen der ältere, erwachsene Pfadfinder, zum anderen der Jugendliche oder junge Erwachsene, der seine Stellung als Leitungsfigur in der Gruppe ausnutze, um Jüngere sexuell auszubeuten.
Starke emotionale Bindung an Gruppe
Als strukturelle Risikofaktoren haben die Forscher unter anderem mangelnde Kontrolle und Anleitung junger Führungspersonen und Machtasymmetrien identifiziert. Es habe sich innerhalb der Pfadfinderstämme eine hohe emotionale Identifikation in der Studie gezeigt, die ein Benennen von Missbrauch erschwert habe - etwa, weil dies als Verrat verstanden werden konnte.
Im Gegensatz zu anderen Institutionen, in denen bisher
sexueller Missbrauch durch Studien aufgearbeitet wurde, gebe es beim BdP eine Besonderheit: Junge Menschen hatten früh Verantwortung und zugleich waren teils selbst früher von Missbrauch betroffen.
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Verband "erschüttert"
Die Leitung der Pfadfinderschaft äußerte sich "erschüttert" darüber, an wie vielen Stellen es dem BdP in der Vergangenheit nicht gelungen sei, seine Mitglieder vor sexualisierter Gewalt und Missbrauch zu schützen. Oft hätten genau die Dinge, welche die Pfadfinder von anderen Jugendverbänden abheben, Bedingungen geschaffen, die sexualisierte Gewalt möglich gemacht oder ihre Aufdeckung verhindert hätten. Dies sei "schmerzhaft", befand der BdP.
Der BdP wurde 1976 gegründet und erreicht heute 30.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in ganz
Deutschland. Der BdP ist ein interkonfessioneller Pfadfinderverband mit Sitz im hessischen Immenhausen.
Quelle: AFP, epd