Psychologie: Immer mehr Narzissten? Der Mythos bröckelt

    Amateur-Diagnosen im Netz:Der Narzissmus-Mythos bröckelt

    von Anna Vezirgenidi
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    Unsere Gesellschaft scheint voller Narzissten zu sein - besonders, wenn man TikTok-Diagnosen glaubt. Doch eine neue Studie widerlegt diesen Hype: Was hinter dem Mythos steckt.

    Frau schaut ihre Spiegelung an
    Alltagsdiagnosen zu Narzissmus sind schnell gestellt, besonders auf TikTok und Co. - häufig zu Unrecht, sagt ein Experte.
    Quelle: Getty Images

    Öffnet man die Apps TikTok oder Instagram, wird man oft von einer Flut an Videos begrüßt, in denen Nutzer vermeintliche psychische Störungen diagnostizieren - besonders beliebt ist das Abstempeln von Ex-Partnern als "Narzissten".
    Der Begriff, der sowohl eine Persönlichkeitseigenschaft als auch eine Persönlichkeitsstörung beschreibt, wird so inflationär verwendet, dass der Eindruck entsteht, Narzissmus sei ein allgegenwärtiges Problem in unserer Gesellschaft - eine regelrechte "Epidemie". Doch wie fundiert sind diese Annahmen wirklich?
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    Studie: Keine empirische Grundlage für Narzissmus-Anstieg

    Überhaupt nicht, sagen Psychologen der Universität Wien, deren Studie im Journal of Personality publiziert wurde.
    Mit Daten von rund 550.000 Menschen konnten sie ein umfassendes Bild über die Entwicklung des Narzissmus für den Zeitraum 1982 bis 2023 erstellen. Entgegen der weit verbreiteten Meinung ist demnach die zunehmende Ich-Bezogenheit in den letzten vier Jahrzehnten nicht angestiegen, sondern weltweit im Durchschnitt eher zurückgegangen.

    Diese unmäßig gehypte - und schon in den frühen 2000ern von vielen einschlägigen Forscherinnen und Forschern äußerst skeptisch betrachtete - angebliche Narzissmus-Epidemie hat keine empirische Grundlage.

    Dr. Jakob Pietschnig, Fakultät für Psychologie, Universität Wien

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    Worauf beruht der Narzissmus-Mythos?

    Die Annahme, dass ganze Generationen zunehmend selbstbezogen sind, beruht stark auf einer Studie von Jean Twenge und Kollegen aus dem Jahr 2008, die einen Anstieg narzisstischer Tendenzen bei US-Studierenden untersuchte.
    Kritiker argumentierten schon kurz nach ihrer Veröffentlichung, dass die Ergebnisse nicht verallgemeinert werden können. Trotzdem erreichte Jean Twenge mit ihren populärwissenschaftlichen Büchern ein großes Publikum, was ihre Thesen weitläufig verbreitete.
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    Mögliche Gründe für den Rückgang

    Laut Studienautor Dr. Jakob Pietschnig könnte der Rückgang des Narzissmus mit negativen Selbstvergleichen auf Social Media zusammenhängen: Sich ständig mit - oft "verschönerten" - Bildern anderer vergleichen zu müssen, würde in empirischen Studien oft mit geringerem Selbstwert bei Jugendlichen in Zusammenhang gebracht. Auch ihre Lebenszufriedenheit würde darunter leiden.
    Der gesellschaftliche Wandel, der einen stärkeren Fokus auf Akzeptanz und Toleranz legt, könnte zur Verringerung von Narzissmus beigetragen haben, fügt Pietschnig hinzu.
    Porträtaufnahme: Laura, eine junge Frau mit Locken und gelbem Pullover, sitzt vor schwarzem Hintergrund und schaut in die Kamera.
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    TikTok-Diagnosen sind keine richtigen Diagnosen

    Was die Diagnosen auf Social Media betrifft, kann Pietschnig nur das Offensichtliche betonen: Die Bedeutung der Begriffe folge in der allgemeinen Rede nicht immer seriösen wissenschaftlichen Definitionen. Im Internet werde zudem viel Verletzendes gepostet - Unterstellungen insbesondere gegenüber Ex-Partnern seien dem Psychologen zufolge schnell gemacht.
    Während in Einzelfällen tatsächlich eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliegen könnte, treffe dies in den meisten Fällen nicht zu, erklärt Dr. Pietschnig. In diesen Postings gehe es oft um pathologischen Narzissmus, "den jeder Mensch mehr oder weniger mitbringt" - was jedoch nicht mit subklinischem Narzissmus gleichzusetzen sei, der die schwerwiegendere Diagnose einer Persönlichkeitsstörung darstellt.

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