An der Ostsee: Wieso Möwen am Strand so aggressiv sind

Möwen, oft besungen als Symbol für Fernweh. Doch mit der Realität hat das heute kaum noch etwas zu tun. Die Vögel gelten zunehmend als aggressiv und werden immer häufiger zur Plage.

Früher gab es weniger Möwenattacken, beklagen beispielsweise ältere Küstenbewohner. Seit mehreren Jahren sei der Pommes- und Fischbrötchenklau durch Raubmöwen mancherorts völlig normal geworden.

Experten nennen dafür verschiedene Gründe. So nimmt der Fischfang seit Jahren ab, Mülldeponien wurden geschlossen. Möwen müssen nach anderen Nahrungsquellen suchen. Möwenforscher Prof. Stefan Garthe aus Kiel gibt zu bedenken:

"Und das zu unterscheiden - Was ist eine Fütterung und was ist die Eistüte, die man vor sich herträgt? - ist für Möwen nicht zu differenzieren", so Garthe.

Dabei beobachtet man eine regionale Verlagerung des Tierverhaltens. Auf Helgoland habe man Anfang der 2000er-Jahre die Veränderung vermehrt beobachten können. Danach kam Sylt, dann die Ostsee-Küste, so der Möwen-Experte. "Das ist aber keine Attacke gegen den Menschen, sondern für Möwen ein natürlicher Nahrungserwerb."

Die schlauen Vögel schauen sich das Verhalten ab, lernen voneinander. Englands Möwen scheinen sich schon seit langem spezialisiert zu haben. Ganze "Möwengangs" überfallen dort an den Küsten Imbisse, verletzen kleine Hunde und sogar Kinder. Vor allem Silbermöwen sind darauf spezialisiert, Menschen anzufliegen und ihnen Lebensmittel zu stehlen.

Zugebaute Küsten, weniger Ruhezonen auf Inseln, volle Strände - bedingt durch den Lebensraumverlust weichen einige Möwen-Arten immer häufiger auf Dächer in Siedlungen aus, um zu brüten. Dort finden sie Ruhe und sind sicher vor Fressfeinden wie Füchsen und Mardern. Etwa die Dreizehenmöwe. Sie sucht zunehmend städtische Ersatzlebensräume auf.

In der Stadt Newcastle entlang des River Tyne im Nordosten Englands hat sich die größte lokale Dreizehenmöwen-Kolonie weltweit angesiedelt. Etwa 2.000 Paare der gefährdeten Art finden auf Brücken oder Lagerhallen optimale Brutbedingungen.

Die Wissenschaftlerin Helen Wilson von der Universität Durham sagt: "Die Möwen fordern uns wirklich sehr heraus, denn das Brüten geht mit viel Lärm und Schmutz einher. Es ist nicht besonders angenehm, mit ihnen zu leben. Sie nutzen unsere gesamte Infrastruktur, Straßenlaternen, Rohre. Wir müssen viel Aufklärung betreiben um eine Akzeptanz und Verständnis für die Möwen zu bekommen."

Eine bloße Vertreibung der Vögel sei kontraproduktiv, meint Helen Wilson, sie wichen dann einfach auf andere Dächer aus. Mit Wissenschaftlern und Architekten überlegte sie, wie man Brutplätze für Möwen stadtplanerisch miteinbeziehen kann.

Sie experimentierten mit so genannten Möwen-Hotels: auf neu gebauten, artgerechten Installationen können die Möwen abseits der Gebäude brüten. Ein Gemeinschaftsprojekt mit der norwegischen Stadt Tromsö zeigt gute Ergebnisse. Neu sind dabei mobile, dreibeinige Brut-Konstruktionen. Sobald die Möwen das neue Heim akzeptieren, können sie von ehemals belagerten Gebäuden weggezogen werden - die Möwen kehren in ihr "Hotel" zurück und verschonen Hausdächer.

Der Architekt Kjeld Nash findet es aufregend, für Tiere zu planen:

Und Helen Wilson ergänzt: " Es ist sehr wichtig, dass wir lernen müssen, mit Ihnen zu leben". Denn irgendwo müssen sie hin, die neuen Nachbarn.