Nutzen der alten Sprache:Latein lernen - lohnt sich das noch?
von Michael Kniess
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Hat die Sprache von Caesar und Cicero noch Zukunft oder ist ihr Erlernen Zeitverschwendung? Befürworter betonen, Latein sei mehr als eine Sprache. Kritiker sagen: alles Fiktion.
Lohnt es sich heute noch, Latein zu lernen?
Quelle: Imago
Latein hilft beim Erlernen anderer Fremdsprachen, fördert das logische Denken, öffnet die Tür zu den großen Denkern und Gedanken der Antike, die substanzielle Fragen des Lebens aufgreifen, die auch heute noch aktuell sind. So lauten die Argumente von Verfechtern des Lateinischen wie etwa Altphilologen. Kritiker entgegnen, es sei nie gelungen nachzuweisen, dass sich das Erlernen von Latein positiv auf die Intelligenz auswirke.
Mehr als Sprache oder alles nur Fiktion?
Auch Jürgen Gerhards von der Freien Universität Berlin ist zusammen mit Ulrich Kohler und Tim Sawert in einer Studie ("Des Kaisers alte Kleider: Fiktion und Wirklichkeit des Nutzens von Lateinkenntnissen") der Frage nachgegangen, welchen Nutzen Latein hat. Das Fazit des Soziologen: Die vermeintlichen Vorteile sind nur eine Fiktion. Die sogenannten Transfereffekte - dass Latein das logische Denken fördere oder das Erlernen anderer Sprachen erleichtere - zeigen sich auch dann, wenn man eine moderne Fremdsprache gelernt hat.
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Überhaupt ist das Argument, Latein helfe beim Erlernen anderer Sprachen, in der Wissenschaft umstritten. Selbst dazu geforscht hat Johannes Müller-Lancé. Der Inhaber des Lehrstuhls für Romanische Sprach- und Medienwissenschaft an der Universität Mannheim kommt zu dem Schluss, dass dies nur dann der Fall ist, wenn man Latein aktiv lernt, auch schreibt und womöglich spricht.
In Deutschland gibt es dafür nur zwei Möglichkeiten: Latein studieren oder als erste Fremdsprache ab der fünften Klasse erlernen. Das Gros jedoch lernt passiv, beschränkt sich auf das Lesen und Übersetzen.
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Auch mit Blick auf ein mögliches Studium sind mehrere Jahre Lateinunterricht für den Soziologen Jürgen Gerhards vor allem eines: Zeitverschwendung. "Nur wer ein Fach wie Kunstgeschichte oder Theologie studiert, braucht wirklich Latein, um die Quellen verstehen zu können."
Warum dennoch bei rund 30 Prozent aller Schüler an Gymnasien hierzulande Latein noch auf dem Stundenplan steht, obwohl es für immer weniger Studienfächer Zugangsvoraussetzung ist? Jürgen Gerhards sieht dafür einen anderen Grund. Latein gilt für viele Menschen - Logik hin oder her - als Zeichen einer humanistischen Bildung.
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Die Sprache werde vor allem von bürgerlichen Schichten verwendet, um sich gegenüber unteren Schichten abzugrenzen. Infolge einer extremen Bildungsexpansion seit den 1970er Jahren fühlten sich bildungsbürgerliche Gruppen unter Druck gesetzt:
Lateinlehrer: Sinnvolle Sprache für Maulfaule
Auch Johannes Müller-Lancé, selbst ausgebildeter Lateinlehrer, sieht in Latein das letzte Fach, das nur der Bildung dient. Für ihn ist damit jedoch ein Pluspunkt verbunden:
"Damit entfällt dieser Vorteil, den es bei anderen Sprachen gibt", so Müller-Lancé. "Auch Kinder aus ärmeren Familien können genauso mithalten und zeigen, dass sie gebildet sind, was oft gleichbedeutend mit sozialem Aufstieg ist."
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Für ihn gibt es neben den vielen, für die Latein reine Zeitverschwendung ist und den wenigen, für die an Latein kein Weg vorbeiführt, noch eine dritte Gruppe: Schüler, die nicht gerne kommunizieren. Ihnen komme Latein entgegen. Denn während der moderne Fremdsprachenunterricht darauf ausgelegt sei, möglichst schnell und möglichst viel zu sprechen, bringe sie die "tote Sprache" Latein, die niemand mehr als Muttersprache spricht, nicht in Verlegenheit.
Die Crux: Genau diese Schüler bräuchten später Latein eher nicht, weil sie oftmals technische oder naturwissenschaftliche Berufe ergreifen würden. Mit ihrem Latein sind sie schnell wieder am Ende.