Hamburger Stadtpark:Gruppenvergewaltigung: Urteil zu milde?
von Moritz Flocke
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Eine Richterin wird im Internet massiv angefeindet, weil ihre Strafkammer ein angeblich zu mildes Urteil gefällt habe. Gegen die Täter wurden Jugendstrafen verhängt.
In dem Prozess wurden zehn junge Männer im Alter von 19 bis 23 Jahren wegen Vergewaltigung verurteilt.
Quelle: dpa
"Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen" - so steht es im Grundgesetz. Ein Urteil gilt, egal was der Einzelne darüber denkt, denn es ergeht "im Namen des Volkes". Das ist die Einleitung bei Verkündung eines Urteils.
Bei einem Teil des Volkes sorgte eine Entscheidung des Hamburger Landgerichts kürzlich für so viel Unmut, dass im Internet gegen die Vorsitzende Richterin gehetzt wurde. Doch was ist passiert?
Die Tat: Vergewaltigung im Hamburger Stadtpark
Im September 2020 wurde eine 15-jährige Jugendliche von mehreren Tätern im Stadtpark in Hamburg vergewaltigt. Nach anderthalbjährigem Prozess verurteilte die Jugendkammer neun Angeklagte zu Haftstrafen. Ein zehnter Angeklagter wurde freigesprochen, wie schon ein ursprünglich elfter Beschuldigter.
Die Jugendstrafen von ein bis zwei Jahren für acht Angeklagte setzte die Kammer zur Bewährung oder der sogenannten Vorbewährung aus. Nur ein 19-Jähriger bekam eine härtere Strafe. Das Gericht verurteilte ihn zu zwei Jahren und neun Monaten Haft ohne Bewährung.
Richterin: Täter ohne Bedauern
Von den zehn Angeklagten haben nach Angaben eines Gerichtssprechers fünf die deutsche Staatsangehörigkeit, unter den übrigen sind ein Syrer, ein Montenegriner, ein Kuwaiter, ein Afghane und ein Armenier.
Alle seien lange genug in Deutschland sozialisiert worden, um das Unrecht ihrer Taten zu verstehen, erklärte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring. Sie kritisierte zugleich das Verhalten der jungen Männer im Prozess:
Das Urteil: Gericht verhängt Jugendstrafen
Dass das Urteil so ausgefallen ist, sorgt bei vielen für Unverständnis. Sie empfinden es als zu milde. Der Grund für die vergleichsweise niedrigen Strafen liegt im Jugendstrafrecht. Dort steht die Resozialisierung der Täter im Mittelpunkt.
"Tatsächlich ist das Urteil der Hamburger Strafkammer für eine Jugendstrafe keine Ausreißerentscheidung nach unten. Kommt Jugendstrafrecht zur Anwendung, ist eine Freiheitsstrafe die Ausnahme", erklärt Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt.
Und weiter: "Das Gericht hat bei seinem Strafmaß ausdrücklich berücksichtigt, dass keiner der jetzt verurteilten Täter vorher zu einer Jugendstrafe verurteilt worden ist oder wegen Sexualdelikten aufgefallen war."
Auch eine sogenannte Vorbewährung kann einschneidend sein. Denn bei ihr stellen Gerichte die Entscheidung über die Vollstreckung der Strafe, also den Gang ins Gefängnis zurück. In diesem Zeitraum wird der Jugendliche engmaschig einem Bewährungshelfer unterstellt und muss Auflagen und Weisungen erfüllen.
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Die Folgen: Hasswelle gegen Richterin
Nach dem Urteil brach eine Welle des Hasses los. Dieser richtete sich insbesondere persönlich gegen die Vorsitzende Richterin. Der Hamburger Richterverein verurteilt die Anfeindungen scharf.
Heike Hummelmeier ist Vorsitzende des Hamburgischen Richtervereins. Sie äußert, dass in den sozialen Medien derzeit nicht hinnehmbare persönliche Angriffe gegen die Vorsitzende Richterin der Kammer stattfinden würden.
Ob Hetze gegen eine Richterin im Internet strafbar ist, hängt vom Einzelfall ab. Jahn argumentiert, dass die persönliche Bedrohung der Hamburger Richterin, je nach dem konkreten Inhalt, Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren nach sich ziehen könne. Daneben könnten durch Hass und Hetze weitere Delikte, wie beispielsweise Beleidigungen, verwirklicht werden.
Die Entscheidung des Gerichts kann noch angefochten werden.
Moritz Flocke ist Referendar in der Fachredaktion Recht & Justiz des ZDF.
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