Dritter Prozess gegen "Reichsbürger"-Gruppe um Reuß begonnen

    Reichsbürger-Prozess in München:Esoteriker, Schießübungen und Machtkämpfe

    Jan Henrich
    von Jan Henrich
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    In München ist der dritte Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Gruppe um Prinz Reuß gestartet. Die Verhandlung zeigt, wie unterschiedlich die Hintergründe der Akteure waren.

    Einer der Angeklagten betritt in München das Gericht im Reichsbürger-Prozess, er verdeckt sein Gesicht mit einer Zeitung.
    In München hat der dritte Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder einer Reichsbürger-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß begonnen. Sie sollen einen Staatsstreich geplant haben. 18.06.2024 | 1:40 min
    Ein kurzer Tumult gleich zu Beginn der Verhandlung. Eine Person aus dem Zuschauerraum brüllt in Richtung Bundesanwaltschaft. Beeindrucken lässt sich das Gericht davon nicht, das Wachpersonal steht parat und nach wenigen Sekunden geht es weiter im Programm.
    Zwei Stunden dauert an diesem Vormittag die Anklageverlesung. Detailliert beschreiben die Vertreter der Bundesanwaltschaft dabei aus ihrer Sicht die Ereignisse im Umfeld der Gruppe um Heinrich Prinz Reuß seit Sommer 2021. Mehrere hunderttausend Seiten umfasst das dazugehörige Ermittlungsmaterial.

    Militärischer Arm, Führungsrat und spirituelle Beratung

    Die Reichsbürger sollen konkrete Pläne zum Sturz der Bundesrepublik verfolgt haben. Auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens lautet der entsprechende Vorwurf, wie auch bei den bereits gestarteten Verfahren in Stuttgart und Frankfurt.
    Doch während die Verfahren dort jeweils einen Fokus auf Teilbereiche der Gruppe legen, zeigt der Prozess in München eine größere Bandbreite der Akteure. Vom promovierten Juristen, der die Außenpolitik Deutschlands nach dem Systemumsturz übernehmen sollte, über den Organisator von Schießübungen, bis hin zur spirituellen Beratung der Gruppe.
    Frankfurt am Main, 21.05.2024: "Reichsbürger"-Prozess startet
    Bereits im Mai war ein Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der "Reichsbürger"-Gruppe gestartet.21.05.2024 | 2:53 min

    Überprüfung der Mitglieder anhand des Geburtsdatums und Geburtszeit

    Zwei Angeklagte stechen bei dem Prozess in München hervor, Ruth L. und Thomas T. Ihre Aufgabe soll es gewesen sein, neue Rekruten "astrologisch zu überprüfen". Innerhalb der Organisationsstruktur der Gruppe habe es dafür eigens das Ressort "Transkommunikation" gegeben. Die beiden gelten als enge Vertraute von Prinz Reuß. Wer im sogenannten "Rat" mitmischen wollte, musste laut Bundesanwaltschaft vorher Geburtsdatum und Geburtszeit angeben.
    Das habe gelegentlich aber auch zu Unmut geführt und es scheint nicht der einzige Streit innerhalb der Gruppe gewesen zu sein, wie sich aus den Beschreibungen der Bundesanwaltschaft ergibt. Kurz bevor die Gruppe aufflog, soll es Machtkämpfe gegeben haben.

    Spiritualität als Mittel der Mobilisierung

    Dass auch Spiritualität in dem Komplex eine Rolle gespielt hat, ist für Rechtsextremismusforscher Jan Rathje keine Überraschung. Es sei ein Mittel des Milieus, um noch weitere Ressourcen zu mobilisieren. Man sollte sich allerdings nicht darauf versteifen, dass es sich um eine streng esoterische Gruppe handele, so Rathje. Andere Ideologien seien mit Blick auf die verfolgten Ziele zentraler gewesen.
    Heinrich XIII. Prinz Reuß bei seiner Verhaftung im Dezember 2022 ist vor dem Reichstagsgebäude als Hintergrund abgebildetet.
    Gegen neun mutmaßliche Mitglieder der Reichsbürger-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß beginnt der Prozess. Rechtsextremismus-Experte Speit analysiert die Struktur des Netzwerks. 21.05.2024 | 27:00 min

    Ermittlungen im Reichsbürgerkomplex noch nicht abgeschlossen

    Es ist ein Verfahren mit vielen Facetten, dessen Umfang noch wächst. In den vergangenen Wochen hatte es in mehreren Bundesländern weitere Durchsuchungen im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegeben. Unter anderem durchsuchten Beamte Wohnungen und Grundstücke in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt. Die Zahl der Beschuldigten ist mittlerweile auf rund 70 mutmaßliche Unterstützer und Mitglieder angewachsen.

    Es ist noch nicht vollständig aufgeklärt, wie groß das Unterstützerfeld ist.

    Jan Rathje, Rechtsextremismusforscher CeMAS

    Ein Grund für die Ausmaße des Netzwerks sei die Kommunikation, insbesondere über den Messenger-Dienst Telegram gewesen, so der Rechtsextremismusforscher. Der Dienst habe auch ermöglicht, in unterschiedlichen Milieus nach Unterstützung zu suchen, von der Reichsbürger-Szene über Rechtsextreme bis hin zu Esoterikern.
    Jan Henrich ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz

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