Mord an Polizei-Spitzel: Wussten Ermittler von Drogendeals?

    Folter-Mord an Polizei-Spitzel:Vernichteten Frankfurter Beamte Beweise?

    von Nils Metzger, Timo Schober
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    Der Mord an einem Informanten der Frankfurter Polizei wirft neue Fragen auf: Schauten Ermittler bei Drogendeals ihrer Quelle womöglich weg und vernichteten gar Beweise?

    Schild vor dem Eingang zum Polizeipräsidium in Frankfurt am Main
    Das Polizeipräsidium in Frankfurt am Main: Schauten Ermittler bei Drogengeschäften ihres Spitzels weg? (Archivbild)
    Quelle: dpa

    An Armen und Beinen gefesselt, den Kopf mit Plastik umwickelt, stundenlang gefoltert und schließlich mit zwei Kugeln hingerichtet. So starb Aleksandar K., Spitzname Goran, im Juni 2022 in einer Ferienwohnung im spanischen Marbella.
    Der Mord im Drogen-Milieu birgt Sprengstoff auch für deutsche Behörden - denn K. war Informant der Polizei Frankfurt. Als Polizei-Spitzel, Vertrauensperson (VP) im Behördendeutsch, soll er mindestens seit 2018 immer wieder Informationen aus internationalen Drogengeschäften an hessische Ermittler weitergegeben haben.

    Drogentransporte ins Rhein-Main-Gebiet

    Neue Recherchen von ZDF frontal, dem "Spiegel" und dem Recherchenetzwerk OCCRP rekonstruieren nun erstmals im Detail, wie es zu dem Mord kam. Grundlage sind Gerichtsunterlagen, interne Polizei-Akten, Chats und Gespräche mit Insidern.
    Kurz vor seiner Hinrichtung berichtete die VP Goran demnach seinen VP-Führern der Frankfurter Polizei von Tolga S., einem Mitglied der Rockergruppe Hells Angels und dessen mutmaßlichen Drogengeschäften. Die Informationen waren für die Ermittler so spannend, dass sie ihren Polizei-Spitzel auf den Gangster ansetzten. Er sollte vor Ort in Spanien Informationen über S. mutmaßliche Transporte von Hunderten Kilo Marihuana ins Rhein-Main-Gebiet sammeln.
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    Beamte wussten von Spanien-Reise und Treffen mit Drogen-Boss

    Am Tag vor seiner tödlichen Reise nach Spanien hatte Goran seine Polizei-Kontakte noch informiert, dass er dort den Drogen-Gangster S. treffen werde. Besondere Vorsichtsmaßnahmen trafen die Beamten offenbar nicht. Sie fragten offenbar weder wann und wo das Treffen stattfinden sollte, noch ob er ihn alleine treffen werde - so schildern es die Beamten selbst in einer internen Untersuchung nach dem Mord an ihrem Informanten.
    Darin stellen die VP-Führer die Reise ihres Kontakts nach Spanien als rein "privat" dar. Dass das verhängnisvolle Treffen mit dem Tod von K. enden würde, hätte man sich nicht vorstellen können, gibt eine Beamtin zu Protokoll. So steht es in internen Akten, die ZDF frontal vorliegen. Zuerst hatten WDR und NDR über den Mord an dem Polizei-Spitzel berichtet.
    Das Hells-Angels-Mitglied S. und drei weitere Personen werden nun verdächtigt, die VP der Frankfurter Polizei an jenem Abend in Marbella ermordet zu haben. Über das Handy von S. wurden etwa Bilder und Videos des gefesselten Goran verschickt. Nach einer zwischenzeitlichen Flucht in die Türkei sitzt S. derzeit in Spanien in Untersuchungshaft. Sein Anwalt teilte ZDF frontal lediglich mit, dass die deutsche Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen seinen Mandanten eingestellt habe. Auf eine Reihe inhaltlicher Fragen ging er nicht ein. Die spanischen Behörden ermitteln weiter, es gilt das Tatortprinzip.
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    Ein Krimineller als Vertrauensperson der Polizei

    Dass eine V-Person auffliegt und ermordet wird, ist für die im Frankfurter Polizeipräsidium zuständigen Beamten ein doppeltes Desaster: Warum konnten sie ihre Quelle nicht schützen? Die monatelange Recherche wirft auch die Frage auf, ob die verantwortlichen Polizisten bei den Drogengeschäften ihres Spitzels ein Auge zudrückten, um sich eine wertvolle Quelle im Milieu zu erhalten. Zu beiden Vorwürfen will sich die Polizei nicht äußern und verweist auf laufende Ermittlungen und Verfahren.
    K. alias Goran beschaffte nicht nur Informationen, sondern zweigte wohl auch Drogen für sich selbst ab. Er war bei mehreren Deals maßgeblich am Transport aus Spanien beteiligt. Teils soll er bereits Komplizen an die Polizei verpfiffen haben - womöglich solche, bei denen er Schulden angehäuft hatte. All das ein absolutes No-Go für V-Personen. Nach Ansicht von Experten hätte die V-Person K. angesichts ihrer kriminellen Aktivitäten längst nicht mehr als Informant geführt werden dürfen.
    Eine Expertenkommission des Deutschen Richterbundes schreibt in einem Gutachten für das Bundesjustizministerium klar:

    [Es] muss sichergestellt werden, dass die Vertrauenspersonen sich trotz der Nähe zum kriminellen Milieu nicht selbst an Straftaten beteiligen.

    Expertenkommission zum Einsatz von V-Personen

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    Drohungen wegen riesiger Schulden im Milieu

    Was K. wohl schließlich zum Verhängnis wurde, waren seine Schulden bei kriminellen Geschäftspartnern, darunter wohl auch Tolga S. Es waren sogar Suchteams aufs K. angesetzt, um Geld einzutreiben. Es soll um mehrere hunderttausend Euro gegangen sein. Auch bei der Konfrontation in der spanischen Ferienwohnung soll es zunächst nur um Schulden gegangen sein, bis die Killer auf K.s Handy Chatnachrichten mit der Polizei fanden - sein Todesurteil.
    Schulden im Milieu und eigene Drogendeals hätten Gründe sein können, eine Beschäftigung als V-Person zu stoppen. In den Akten, die dem Rechercheteam vorliegen, stellen die verantwortlichen Beamten K. hingegen als zuverlässige und vertrauenswürdige Quelle dar. Es sind zwei Bilder der gleichen Person, die nicht miteinander vereinbar sind.

    Das Fiasko um den ermordeten V-Mann Aleksandar K. bestärkt jene, die strengere Regeln für den Einsatz von Informanten und verdeckten Ermittlern fordern. Die Ampel-Koalition bereitet aktuell ein Gesetz vor, das erstmalig bundesweit einheitliche Vorgaben machen soll. Nicht nur soll das Wirrwarr der verschiedenen Polizeibehörden wegfallen, auch sollen die Regeln insgesamt strenger werden. Der Entwurf sieht etwa vor, dass jeder Einsatz von V-Personen nicht nur mit Staatsanwaltschaften abgeklärt, sondern auch von einem Richter genehmigt werden muss. Und: "Für Einsätze Verdeckter Ermittler und von V-Personen werden Berichtspflichten eingeführt."

    Seit Monaten hagelt es dagegen Kritik aus den Ländern und von manchen betroffenen Berufsverbänden. Sie fürchten deutlich mehr Bürokratie und wegen der Dokumentationspflichten eine erhöhte Gefahr der Enttarnung von V-Personen. "Ein notwendiges und wirksames Instrument der polizeilichen Kriminalitätsbekämpfung würde stark beeinträchtigt", klagt ein VP-Führer aus einem anderen Bundesland gegenüber Frontal.

    Mögliche Beweise von Polizei-Handy gelöscht

    Laut spanischen Ermittlerkreisen solle K. noch kurz vor seiner Ermordung angeblich einen deutschen Ermittler angerufen haben - doch der habe einfach aufgelegt. Ob es solch ein Gespräch tatsächlich gab, ist unklar.
    Es ist nicht die einzige offene Frage mit Blick auf die Rolle des Frankfurter VP-Führers. Der setzte am 5. Juli 2022 - wenige Tage nach dem Mord - sein Diensthandy zurück und löschte somit sämtliche Inhalte. Also auch seine Kommunikation mit dem von ihm geführten Spitzel. So steht es in einem technischen Untersuchungsbericht.
    Interne Ermittler hatten später versucht, das Handy ihres Kollegen auszuwerten. Sollten so potenzielle Beweise vernichtet werden? In einem internen Verhör erklärte der Beamte den Lösch-Vorgang allgemein mit Datenschutz und verweigerte konkrete Aussagen, unter Verweis auf sein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen.
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    Polizei Frankfurt will sich nicht äußern

    Außerdem steht ein weiterer Verdacht im Raum: Haben Frankfurter Beamte womöglich versucht, ihren Spitzel K. vor Strafverfolgung zu schützen? Klar ist: Bereits im Frühjahr 2021 erwirkten sie die zeitweise Einstellung eines Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft Gießen wegen Drogenhandels unter anderem gegen Polizeispitzel K.. Über die Identität von K. als V-Person ließ die Polizei Frankfurt die Gießener Kollegen bis zu seinem Tod im Unklaren. Zuerst hatten WDR und NDR darüber berichtet.
    Fest steht: Hinweise des Polizeispitzel K. waren für die Ermittler in Frankfurt wertvoll. Sie trugen zu langjährigen Verurteilungen bei. Die internen Ermittlungen zum "Spitzel-Mord" an VP Aleksandar K. müssten auch die Frage klären: Waren Polizeibeamte möglicherweise bereit, über die kriminellen Aktivitäten ihrer Quelle hinwegzusehen? Für einen Rechtsstaat wäre das ein untragbarer schmutziger Deal.
    Auf Nachfrage von frontal und "Spiegel" wollte sich der VP-Führer nicht zu den Vorgängen äußern. Auch bei einem weiteren Drogenprozess vor dem Landgericht Gießen, für den Hinweise K.s eine zentrale Rolle gespielt haben, verweigerte er die Aussage. Und die Pressestelle der Polizei Frankfurt gibt sich ebenfalls zugeknöpft: Man könne Fragen mit Blick auf derzeit anhängige Gerichtsverfahren sowie laufende Ermittlungen nicht beantworten.

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