Bayern: Wurden Häftlinge in der JVA Gablingen misshandelt?

    "Geschlagen, nackt, ohne Licht":JVA Gablingen: Häftlinge schwer misshandelt?

    von Julian Schmidt-Farrent
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    Folter-Vorwürfe gegen die JVA Gablingen: Häftlinge sollen in dunkle Zellen gesperrt worden sein – nackt, ohne Bett, ohne Licht. Bayerns Justizminister will nichts gewusst haben.

    thomas-galli
    Die Augsburger Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf Häftlings-Misshandlung in einem der größten Gefängnisse Bayerns. "Es ist seit Jahren bekannt, dass in der JVA ein hartes Regime geführt wird", so der Jurist Thomas Galli. 01.11.2024 | 4:29 min
    Dichter Nebel liegt über München, als sich Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) mit nervöser Stimme vor die Kameras stellt. Er soll den Nebel jetzt lichten: Wie viel wusste die bayerische Regierung von den Zuständen in der JVA Gablingen?

    Vorwurf: Tagelang nackt in dunklen Kellerzellen

    Mehrere Häftlinge werfen der Justizvollzugsanstalt nahe Augsburg vor, während ihrer Haft misshandelt worden zu sein. Nackt habe man sie in dunkle Kellerzellen gesperrt, tagelang hätten sie da ohne Matratze auf dem kalten Betonboden geschlafen. "Da stehen Männer und schreien Sie an: 'Ich will hier raus!'", berichtet die ehemalige Gefängnisärztin Katharina Baur dem Bayerischen Rundfunk, den Tränen nahe. Die Männer hätten es nicht mehr ausgehalten.
    JVA Gablingen
    Nach Vorwürfen der Häftlingsmisshandlungen in der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen sind Verfahren gegen die beschuldigten Mitarbeiter eingeleitet worden. 29.10.2024 | 2:02 min
    Bereits vor einem Jahr hat die Ärztin deswegen das Bayerische Justizministerium informiert. Das stimmt, erklärt Minister Eisenreich bei der Pressekonferenz. Inzwischen habe er die Mail selbst gelesen - und sei erschüttert.

    Dass ich als Justizminister jemals klarstellen muss, dass Straftaten im Justizdienst nicht akzeptabel sind, hätte ich selbst nicht gedacht.

    Georg Eisenreich (CSU), Justizminister Bayern

    Was wusste die Politik?

    Im Fokus der Vorwürfe steht die stellvertretende Leiterin der Einrichtung. Unter ihrer Führung soll es zu den Misshandlungen gekommen sein. In den sogenannten "besonders gesicherten Haftzellen" seien Mindeststandards nicht eingehalten worden. Das sind Zellen, in denen Häftlinge zum Beispiel bei Suizidgefahr untergebracht werden können. Mindeststandards, das sind bei diesen Zellen Unterhosen aus Papierzellstoff - und eine Matratze.
    Gegenüber ZDFheute weist Alexander Stevens, der Anwalt der stellvertretenden Leiterin, die Vorwürfe zurück. Er würde noch auf die konkreten Anschuldigungen gegen seine Mandantin warten. Klar sei: Die Gefängnisführung würde sich immer mit Ärzt*innen und Vorgesetzten absprechen. Die Prüfung des Vorwürfe solle nun ein anderes Ministerium übernehmen – schließlich habe der Justizminister bereits eigene Fehler eingeräumt.
    Eisenreich zu JVA Augsburg-Gablingen
    Bayerns Justizminister Eisenreich zeigt sich schockiert von den möglichen Missständen in der JVA Gablingen.
    Quelle: dpa

    Der Ball kommt zurück ins Ministerium. Ein eigenes Fachreferat sei den Vorwürfen bereits im vergangenen Jahr nachgegangen, erklärt Justizminister Eisenreich. Die JVA sollte einen Bericht schreiben, die Ärzte habe man um eine Konkretisierung der Vorwürfe gebeten.

    Folterkommission war in JVA Gablingen vor Ort

    Die ging noch im Sommer von einem "eher nicht strafrechtlichem Verhalten aus", so der Minister weiter. Auch deshalb sei er nicht von seinem Haus über die Vorwürfe informiert worden. Dabei ging längst eine andere Organisation den Vorwürfen nach: Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter. Gleich zwei Jahre in Folge waren die Kriminolog*innen auf Kontrollbesuch in Gablingen - ungewöhnlich häufig. Die Stelle kümmert sich um rund 13.000 Einrichtungen in ganz Deutschland, normalerweise kommt eine solche Kontrolle nur alle paar Jahre vor.
    In einem hölzernen Stockbett liegen auf jeder Ebene und auf den Boden darunter Menschen eng nebeneinander.
    Verzweiflung, Frustration und Überlebenskampf auf engstem Raum: Das South Cotabato Jail auf der philippinischen Insel Mindanao ist stark überfüllt. Doch manche haben es besser.04.10.2024 | 40:16 min
    Nach dem zweiten Besuch der Folterverhütungsstelle in diesem Sommer habe es eine anonyme Beschwerde gegeben, so Minister Eisenreich. Der Tenor: Die Stelle wurde von der JVA getäuscht, die Vorgänge in der Einrichtung wurden vernebelt.

    Minister hält Täuschung für möglich

    Gegenüber ZDFheute bestätigt eine Person, die solche Besuche mehrfach erlebt hat: Das ist realistisch. Die Mitarbeitenden der Folterverhütungsstelle müssten bei den unangekündigten Kontrollen oft 30, manchmal 60 Minuten warten, bis sie durch die Einrichtungen geführt werden. In der Zeit könne eine leere Kellerzelle schnell verschönert werden.

    Tür auf, Matratze reinschieben, Tür wieder zu. Seit wann diese Matratze da liegt, das ist eine andere Sache.

    Insider, der nicht genannt werden will

    Dicht an dicht liegen dunkelhäutige Menschen auf dem Boden. Daneben stehen hölzerne Stockbetten, diese sind ebenfalls voll mit Menschen.
    Im Antanimora-Gefängnis auf Madagaskar einzusitzen, sei das Schlimmste, was einer Person passieren könne – das sagt der Gefängnisdirektor. Müllberge, Ratten, Krankheit und beklemmende Enge. 01.10.2024 | 41:09 min
    Und auch das Ministerium sei getäuscht worden - "möglicherweise", fügt Justizminister Eisenreich hinzu.

    Möglicherweise hat man hier im Haus auch die Dimension der Vorfälle unterschätzt.

    Georg Eisenreich (CSU), Justizminister Bayern

    Ab sofort steht die JVA Gablingen unter besonderer Beobachtung, im Ministerium sollen künftig alle Unterbringungen in den besonderes gesicherten Haftzellen erfasst werden.

    Die stellvertretende Leiterin der JVA Gablingen und mehrere Justizvollzugsbeamte wurden derweil freigestellt. Nachfragen ließ der Minister bei seiner Pressekonferenz nicht zu. Das Haus prüfe erst einmal mit Hochdruck die Vorwürfe - und so bleibt es auch nach der Pressekonferenz weiter neblig.
    Julian Schmidt-Farrent ist Redakteur im ZDF-Studio in München

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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