Interview
Schleppende Aufklärung:Das kriminelle Geschäft mit Corona-Tests
von Britta Spiekermann
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In der Corona-Krise schossen Teststationen wie Pilze aus dem Boden. Schnelle, kostenlose Tests wurden möglich. Aber auch Betrug. Geschätzter Schaden: bis zu zwei Milliarden Euro.
Corona-Teststationen: Eine stringente Betrugsverfolgung sei nicht zu erkennen, kritisiert das Deutsche Steuerinstitut.
Quelle: dpa
Es sind Geschichten vom schnellen Reichtum. Ein heute 39-Jähriger betrieb von März 2021 bis Mai 2023 ein Netz aus Corona-Zentren in Köln und Umgebung. Er rechnete massenhaft Tests ab, die gar nicht durchgeführt worden waren. Laut Staatsanwaltschaft war das Motiv für den Betrug: Streben nach Luxus. Bei einer Razzia waren ein Lamborghini und ein Ferrari sichergestellt worden. Das Urteil: fünfeinhalb Jahre Haft. Der Angeklagte habe eine pandemische Notlage ausgenutzt. Fast sechs Millionen Euro soll er ergaunert haben.
Nur durch einen Zufall kamen die Behörden dem Mann auf die Schliche. Ein Vater hatte Anzeige erstattet, nachdem seine Tochter ein Testergebnis erhalten hatte - der Test war aber gar nicht durchgeführt worden.
Steuerinstitut: Möglichst viel Steuergeld retten
Zu viel Zufall, zu wenig stringente Betrugsverfolgung, bemängelt das Deutsche Steuerinstitut - das Forschungsinstitut des Bundes der Steuerzahler - und spricht von einer "Aufklärung in Zeitlupe". Schließlich stünden bis zu zwei Milliarden Euro Schaden im Raum.
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Es gehe jetzt darum, möglichst viel Steuergeld zu retten, doch es fehle am politischen Willen des Bundesgesundheitsministeriums, kritisiert der wissenschaftliche Leiter des Instituts, Matthias Warneke.
Warneke fordert, der Bund müsse Metadaten erwerben, die bei den damals beteiligten privaten IT-Dienstleistern gespeichert worden seien. Dabei handele es sich beispielsweise um Informationen darüber, welche Kapazitäten ein Testzentrum hatte und wie viele Tests durchgeführt wurden. Laut Warneke könne man beim Datenabgleich schnell auf Unregelmäßigkeiten stoßen.
Spahn: Hatten Testinfrastruktur wie wenige andere Länder
Ab März 2021 gab es in Deutschland kostenlose Corona-Bürgertests für alle. An jeder Ecke eine Teststation, das Geld schien auf der Straße zu liegen. Allein die unentgeltlichen Bürgertests seit März 2021 kosteten acht Milliarden Euro.
Für die Kontrolle erklärte sich damals der Bund nicht zuständig, schob das Problem in Richtung der Länder, doch sowohl Kommunen als auch Gesundheitsämter und Kassenärztliche Vereinigungen winkten ab angesichts der drohenden Kontrollaufgaben.
Heute erklärt der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gegenüber ZDFheute: "Es ging damals darum, schnell Testmöglichkeiten bis ins kleinste Dorf aufzubauen. Das ist gelungen."
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Corona-Testzentren: Freifahrtschein für Betrug?
Für den Betrieb eines Testzentrum brauchte es keine fachlichen Voraussetzungen. Die Testzentren rechneten die Tests monatlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen ab, diese erhielten für die Bearbeitung vom Bund eine Servicepauschale von 2,5 Prozent der abgerechneten Summe. Das bedeutete: Je mehr Tests durchgeführt wurden, desto mehr profitierten die Kassenärztlichen Vereinigungen.
Diese erklären heute: Die Kassenärztlichen Vereinigungen "trugen nicht die Verantwortung für fehleranfällige Prozesse bei den ohnehin fraglichen Bürgertestungen". Man habe von Anfang an dem Gesetzgeber deutlich gemacht, dass "eine Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen oder der Qualität der einzelnen Testanbieter nicht möglich" sei. Nur bei erheblichen Auffälligkeiten meldeten sie Verdachtsfälle bei den Staatsanwaltschaften.
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Aufbewahrungsfristen sollen verlängert werden
Wohl auch auf Druck des Steuerinstituts soll die Aufbewahrungsfrist für Testabrechnungen bis 2028 verlängert werden. Laut Bundesgesundheitsministerium ist dies "in Arbeit". Eigentlich sollte die Frist schon im Dezember 2024 enden. Eine Betrugsverfolgung wäre dann nicht mehr möglich gewesen. Warneke spricht von einem nur ersten Schritt: Wichtig sei jetzt, alle Daten zusammenzubringen und mit Datenanalyseverfahren Betrugsindizien zu finden.
Das Bundesgesundheitsministerium erklärt gegenüber ZDFheute, es habe "ein großes Interesse daran, dass der Missbrauch von Steuergeldern verfolgt, aufgedeckt und auch geahndet wird". Es gebe jedoch keine Befugnis des Robert-Koch-Instituts (RKI), Daten von privaten Softwareanbietern zu bearbeiten. Weder das RKI noch das Bundesgesundheitsministerium seien Ermittlungsbehörden.
"Eine valide Schätzung zur Anzahl der Betrugsfälle und der dadurch verursachten Schadenshöhe ist uns nicht möglich." Auch zu den staatsanwaltschaftlichen Verfahren wisse man nichts.
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Handeln, bevor das Geld weg ist
Trotzdem habe man schon einige Erfolge erzielt: Als Ergebnis von Abrechnungsprüfungen (Stand: März 2024) seien rund 33 Millionen Euro über das Bundesamt für Soziale Sicherheit an die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zurückgeflossen, Rückzahlungsansprüche in Höhe von 165 Millionen Euro per Bescheid geltend gemacht worden und die Auszahlung weiterer 453 Millionen Euro auf Eis gelegt.
"Wie viel dann in diesen Fällen eingetrieben, gepfändet etc. werden kann, hängt sicherlich von jedem Einzelfall ab", bleibt Warneke skeptisch. Deswegen sei es so wichtig, möglichst schnell zu sein, bevor das Geld mehr oder weniger weg ist.
Schon Ende Juli erklärte der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, in der "FAZ", im Kampf gegen Corona sei die Staatsverschuldung um mehrere Milliarden Euro in die Höhe geschnellt. Die jetzige Regierung sei in der Pflicht, Schadensbegrenzung zu betreiben und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen.
Quelle: ZDF
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