Umstrittene Therapie: Wenn Krebs zum Geschäft wird

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    Umstrittene Therapie:Wenn Krebs zum fragwürdigen Geschäft wird

    von S. Baumann, K. Belousova, L. Hruschka, E. Klotsikas
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    Eine Firma vermittelt Krebskranken für viel Geld eine angeblich nebenwirkungsarme Therapie. Eine ZDF-frontal-Recherche zum Geschäft mit der Hoffnung auf Heilung.

    Illustration, De Tijd
    Krebskranke Menschen suchen oft verzweifelt nach neuen Therapien, die Heilung versprechen. Das machen sich auch Firmen und Ärzte zunutze - und bieten fragwürdige Behandlungen an.08.10.2024 | 11:11 min
    Den Krebs von innen heraus besiegen, das verspricht die Firma Immucura. Sie vermittelt Krebspatienten in Deutschland und anderen europäischen Ländern eine Therapie, "schmerzfrei" und mit "geringen bis keinen Nebenwirkungen". Ein Angebot, das bei vielen Schwerkranken Hoffnung weckt - auch wenn es kostspielig ist: Etwa 40.000 Euro müssen Patienten für die Behandlungen bezahlen, je nach Fall unterschiedlich.
    Auf Spendenportalen sammeln Betroffene und Angehörige Geld für die Immucura-Therapien und berichten dabei von ihrem Kampf gegen den Krebs.

    Wirkung der Dendritischen Zelltherapie umstritten

    Die Behandlung, die das Unternehmen auch Patienten aus Deutschland anpreist, verspricht: Der Körper könne sich selbst heilen. Sogenannte Dendritische Zellen werden dafür aus dem Blut gewonnen und mit Tumor-Antigenen beladen. Diese werden Patienten als eine Art Impfung gegen den Krebs verabreicht.
    Doch der Therapieansatz ist umstritten. Experten kritisieren, für die Wirksamkeit gebe es keine ausreichenden Belege. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA warnt vor derartigen nicht regulierten Therapien, die für Patienten ein "ernstes Risiko für wenig oder gar keinen Nutzen darstellen" können.
    Laborszene
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    "Was im Moment angeboten wird im Internet, sind Methoden, wo wir häufig gar nicht genau wissen, was in diesen Kliniken oder Praxen gemacht wird und wo wir keine wissenschaftlichen Untersuchungen haben, ob das wirklich funktioniert", sagt Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie in Jena, im Interview mit ZDF frontal.
    Tatsächlich ist die Dendritische Zelltherapie in Deutschland nicht zugelassen. Es gibt aber eine rechtliche Grauzone: Im Rahmen eines "individuellen Heilversuchs" dürfen Ärzte Patienten damit behandeln.

    frontal
    Quelle: ZDF

    Mehr zu dem Thema sehen Sie am Dienstag bei frontal. Am 8. Oktober um 21 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek.

    Deutscher Gründer ist kein Arzt

    Gegründet wurde Immucura von einem deutschen Unternehmer, Johannes Schumacher, er lebt in Marbella. Über die Jahre hat er offenbar ein profitables Geschäft aufgebaut: Rund 4,5 Millionen Euro Umsatz machte Immucura im Jahr 2021, angeblich soll Immucura mehr als 1.000 Patienten vermittelt haben. Schumacher ist kein Arzt, aber hat ein Buch geschrieben, in dem er für seine Dendritische Zelltherapie wirbt. Er nennt es "Game-Changer - Was Ärzte Ihnen über Krebsbehandlungen verschweigen".
    In einem Anwaltsschreiben verweisen Schumacher und seine Firma auf "über 70.000 Publikationen allein in PubMed" sowie "über 10.000 klinischen Studien", die zeigten, dass die Dendritische Zelltherapie "sicher und wirksam" sei. Fest steht: 2011 gab es einen Nobelpreis für die Erforschung der Dendritischen Zellen für Immunforscher Ralph Steinman. Onkologin Hübner sagt aber, die "hohen Hoffnungen" hätten sich "nicht erfüllt".

    Es gibt bisher meines Wissens nach keine Studie, die wirklich zeigt, dass - angewandt beim Patienten - dendritische Zellen gegen Krebs wirksam sind.

    Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie, Universität Jena

    Recherchen von ZDF frontal, dem "Standard", der belgischen Zeitung "De Tijd" und "El País" aus Spanien zeigen: In Spanien wurde Immucura bereits mehrfach von Behörden sanktioniert. Die Firma sei ohne die erforderlichen Genehmigungen im Gesundheitssektor tätig gewesen, teilte die andalusische Gesundheitsbehörde auf Nachfrage mit.
    Das Medikament Anastrozol zur Bekämpfung von Brustkrebs.
    Mit dem Medikament Anastrozol soll das Brustkrebsrisiko gesenkt werden. Die Zulassung ist jedoch in Deutschland beschränkt, da die Arznei starke Nebenwirkungen verursachen kann.04.02.2024 | 1:31 min

    Deutsche Ärztinnen werben für Immucura

    Auf der Immucura-Webseite werben drei Ärztinnen aus Deutschland als Expertinnen für die Therapie, alle Allgemeinmedizinerinnen mit Schwerpunkt Naturheilkunde. Behandeln sie auch Patienten in Deutschland mit der Dendritischen Zelltherapie? Auf einen ZDF-Fragenkatalog will keine von ihnen antworten, eine von ihnen bestätigt aber mündlich, sie sei bei Immucura "aktiv". Immucura äußert sich dazu nicht.
    Fraglich bleibt auch, in welchen Laboren Immucura die Dendritischen Zellen für die angepriesene Therapie herstellen lässt​. Die Firma warb in der Vergangenheit damit, das Zellvakzin in Deutschland produzieren zu lassen. Doch für die Herstellung bräuchte ein Labor in Deutschland eine spezielle Erlaubnis. Das Paul-Ehrlich-Institut weiß nur von vier Einrichtungen hierzulande, die Dendritische Zelltherapien herstellen dürfen. Alle vier versichern auf Anfrage schriftlich, nicht mit Immucura zusammenzuarbeiten.
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    Wird die Immucura-Therapie womöglich ohne Erlaubnis hergestellt?

    Zugleich gibt es Hinweise, dass die Firma möglicherweise mit einem Labor in Süddeutschland zusammengearbeitet hat, das keine Arzneimittel herstellen darf. Mehrere Laboranalysen von Immucura-Patienten tragen die Unterschrift eines der Geschäftsführer jenes Labors. Sie weisen unter anderem die Gesamtzahl Dendritischer Zellen im Blut aus. Auf Anfrage heißt es vom Geschäftsführer, die Herkunft solcher Dokumente sei ihm "unklar", er werde dem nachgehen. Zwar habe die Firma in der Vergangenheit Aufträge von Immucura bearbeitet. Dendritische Zelltherapien hätte das Labor aber nie hergestellt.
    Immucura wiederum will ZDF frontal gegenüber nicht beantworten, wo genau das Arzneimittel produziert wird. Die Firma begründet das mit dem Schutz von Betriebsgeheimnissen, Laborkapazitäten seien sehr begrenzt. Aber: In Deutschland befinde sich kein Labor zur Herstellung der Dendritischen Zelltherapie. Darüber hinaus teilt Immucura mit, man betreibe generell weder Kliniken noch behandle man Patienten.
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    In Spanien hätten zwei behördliche Inspektionen ihrer Büroräume dies bestätigt. Aufgrund ihrer Vermittlerrolle bedürfe Immucura in den Ländern, in denen Patienten behandelt würden, selbst keine Erlaubnis. Die Labore und Kliniken, mit denen man zusammenarbeite, würden aber über die erforderlichen Zulassungen verfügen. Man arbeite gesetzeskonform.
    Anders als in Spanien hatten die deutschen Behörden bislang offenbar keine Informationen zu Immucura: "Das Unternehmen Immucura Ltd. und diesbezügliche arzneimittelrechtlich relevante Aktivitäten in Deutschland sind dem Paul-Ehrlich-Institut bisher nicht bekannt", heißt es auf Anfrage von ZDF frontal.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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