Giftige Altlasten in der Arktis

    Interview

    Industriemüll bedroht Umwelt:Giftige Altlasten in der Arktis

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    Im Boden der Arktis schlummern teils hochgiftige Industrie-Altlasten. Der Klimawandel könnte sie nun freisetzen. Die Gefahr ist groß, sagt Forscher Moritz Langer.

    Permafrostboden in der Arktis
    Durch den Klimawandel droht auch der Permafrostboden in der Arktis aufzutauen
    Quelle: Alfred-Wegener-Institut

    Dass das ewige Eis in der Arktis einmal schmelzen könnte, war für viele über Jahrzehnte hinweg kaum vorstellbar. Permafrostböden waren stabil und tauten bestenfalls im Sommer oberflächlich ab. Entsprechend sorglos wurden vor allem bei Öl- und Gasbohrungen Industrieabfälle in Gruben oder auf Halden entsorgt.
    Die Erderwärmung ändert das jetzt und die Giftstoffe werden zur Gefahr für Menschen und Ökosysteme. Seit Anfang August klärt ein Expeditionsteam unter der Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), wie groß das Problem tatsächlich ist.
    permafrostkanal
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    Das Team hat im Norden Kanadas Boden- und Wasserproben entnommen, um mögliche Leckagen zu identifizieren und die Ausbreitung giftiger Stoffe abzuschätzen. Mithilfe von geoelektrischen Messungen haben sie außerdem ins Innere von Deponien geblickt. Die Daten werden in den kommenden Monaten ausgewertet.
    ZDFheute: Hochgiftige Industriealtlasten im Permafrost der Arktis. Von welchen Mengen reden wir?
    Moritz Langer: In den arktischen Permafrostgebieten gibt es insgesamt zirka 4.500 Industriestandorte und bis zu 20.000 kontaminierte Flächen.
    Wir wissen aus offiziellen Datenbanken aus Alaska und Kanada und aus wissenschaftlichen und anderen Publikationen bei einigen kontaminierten Standorten, welche Substanzen dort vorgefunden wurden. Diese reichen von Schwermetallen, organischen Schadstoffen bis zu in Einzelfällen radioaktiven Stoffen.

    Dr. Moritz Langer, AWI
    Quelle: AWI

    … beschäftigt sich am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), mit dem heutigen und früheren Zustands des Permafrosts. Langer leitete die Expedition ins Mackenzie-Delta im Nordwesten Kanadas. Sie ist Teil des Verbundprojektes „ThinIce“ (Thawing industrial legacies in the Arctic - a threat to permafrost ecosystems).

    Eine Einschätzung der Mengen ist jedoch auf der Grundlage der uns zur Verfügung stehenden Daten nur an wenigen Standorten möglich. Aus diesem Grund arbeiten meine Kollegen und ich an einer Datenbank, in der wir angefangen haben, die zugängliche Informationen zusammenzutragen, um somit in Zukunft eine bessere Einschätzung liefern zu können.
    ZDFheute: Permafrost in der Arktis galt lange Zeit als stabil und als unüberwindbare Barriere für Giftstoffe. Was hat sich geändert? 
    Langer: Seit Ende des letzten Jahrtausends steigen die Temperaturen der Arktis rapide an - im Schnitt zwei- bis dreimal stärker als im globalen Durchschnitt. Dadurch kommt es zum Auftauen des Permafrosts. Es entstehen hydrologische Verbindungen, die dazu führen, dass Schadstoffe zum Beispiel aus Deponien ausgewaschen werden und so weitere Bereiche des Ökosystems kontaminieren können.

    Man kann sich das wie eine kaputte Teichfolie vorstellen, die dann das Wasser nicht mehr im Teich hält, sondern dieses seitlich und in den tieferen Untergrund sickert.

    Moritz Langer, AWI

    Nur, dass es sich bei der Deponie eben nicht um sauberes Wasser handelt. Außerdem spielt der teilweise hohe Eisgehalt im Permafrostboden eine große Rolle - da es durch das Auftauen zu Absackungsbewegungen kommt, die eine Beschädigung der Deponie verursachen und ein Aussickern der Schadstoffe zur Folge haben könnte. 
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    ZDFheute: Sie haben in den letzten Wochen die Schlammgruben im Mackenzie-Delta im Norden Kanadas besonders unter die Lupe genommen. Welcher Schaden droht dort?
    Langer: Bohrschlammgruben entstehen bei der Exploration, also der Bohrung, nach Gas und Öl. Um im Permafrost bohren zu können, werden spezielle Bohrflüssigkeiten eingesetzt, die verschiedene Schadstoffe enthalten können. Zusammen mit dem erbohrten Sediment- und Gesteinsmaterial entsteht eine schlammige Mischung, die in Gruben gesammelt wird.
    Nach Abschluss der Bohrung werden diese Gruben mit Bodenmaterial abgedeckt. Aufgrund der tiefen Temperaturen sind diese eingefroren und so durch Permafrost eingeschlossen.

    Durch die Klimaerwärmung wird diese Frostkapsel zunehmend dünner und hat eventuell schon Schaden genommen.

    Moritz Langer, AWI

     ZDFheute: Welche Giftstoffe machen Ihnen am meisten Sorgen?
    Langer: Die meisten Bohrungen und Bohrschlammgruben im Mackenzie-Delta stammen aus den 70er und 80er Jahren. Zu dieser Zeit wurden entweder salz- oder kerosinbasierte Bohrflüssigkeiten eingesetzt - die genaue Zusammensetzung ist in den allermeisten Fällen jedoch unbekannt.
    Außerdem wurden neben den Bohrflüssigkeiten eventuell auch andere Abfälle, die bei der Bohrung entstehen, in den Gruben eingelagert. Wir haben deshalb detaillierte Boden- und Wasserproben an und im Umkreis von Gruben entnommen, um erst einmal die tatsächlichen Schadstoffe festzustellen.
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    ZDFheute: Gibt es denn überhaupt Möglichkeiten, diese Giftstoffe zu beseitigen? Wie groß wäre der Aufwand?  
    Langer: Eine Möglichkeit wäre natürlich eine Beseitigung der Gruben und die Einlagerung der Bohrschlämme in Deponien, die unabhängig vom Auftauen des Permafrosts eine sichere Verwahrung der Bohrschlämme gewährleisten.
    Der Aufwand wäre sicher groß, da es sich um zirka 230 Bohrschlammgruben, verteilt in der ganzen Deltaregion, handelt. Mit zunehmendem Auftauen des Permafrosts könnte sich der Aufwand eventuell noch erhöhen.
    Das Interview führte Mark Hugo aus der ZDF-Umweltredaktion.

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