Gestrandet auf der ISS: "Teil des Astronauten-Berufs"

    Interview

    Gestrandet auf der ISS:"Das ist Teil des Astronautenberufs"

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    Im Interview spricht Astronaut Reinhold Ewald über die Situation der gestrandeten Astronauten auf der ISS und warum auch Space X und Co. sie nicht so einfach herunterholen können.

    NASA, Astronauten Butch Wilmore und Suni Williams an Bord der ISS
    Die Nasa-Astronauten Butch Wilmore und Suni Williams an Bord der ISS. (Archivbild)
    Quelle: epa

    Die beiden US-amerikanischen Astronauten Butch Wilmore und Suni Williams sollten eigentlich schon wieder zurück auf der Erde sein. Wegen Problemen mit den Starliner verzögert sich ihre Rückreise von der Internationalen Raumstation ISS nun aber bis ins Jahr 2025.
    Wie es sich anfühlt, rund 400 Kilometer von der Erde entfernt zu sein, weiß Reinhold Ewald. Er war 1997 auf der russischen Weltraumstation Mir im Einsatz.
    ZDFheute: Wie ergeht es Butch Wilmore und Suni Williams mit der neuen Situation auf der ISS wohl gerade?
    Reinhold Ewald: Trotz der Verlängerung der Mission geht es ihnen gut, glaube ich. Beide waren ja schon jeweils zwei Mal auf der ISS und sind mit ihr vertraut. Sie können Aufgaben übernehmen, die die Crew da oben nun eben erledigen muss.
    Die Astronauten Suni Williams und Barry Wilmore auf der ISS
    Sie bleiben noch länger auf der ISS - zwangsläufig: Die Astronauten Suni Williams und Barry Wilmore können erst 2025 zurück zur Erde gebracht werden.24.08.2024 | 0:23 min
    ZDFheute: Was für Aufgaben sind das?
    Ewald: Im Wesentlichen die täglichen Arbeiten: Forschen, Putzen, Essen vorbereiten und so weiter.
    ZDFheute: Gibt es auf der ISS genug Vorräte für solche Fälle?
    Ewald: Definitiv. Es gibt ja immer die Möglichkeit, dass ein Frachtraumschiff mal nicht ankommt. Nur bei der Kleidung wird es möglicherweise etwas knapp, denn natürlich hatten die Astronauten nicht Kleidung für ein halbes Jahr an Bord ihrer Starliner-Mission. Essensvorräte gibt es aber genug - wenn auch vielleicht nicht das Lieblingsessen der beiden.

    Die beiden Astronauten Berry "Butch" Wilmore und Sunita Williams sind Anfang Juni mit dem Raumsschiff "Starliner" zur ISS geflogen. Wegen technischer Probleme beschloss die Nasa jedoch, Wilmore und Williams nicht wieder damit zur Erde zu schicken.
    Der vom Hersteller Boeing gefertigte "Starliner" machte bereits vor diesem ersten bemannten Flug mit einer langen Liste von Pannen von sich reden: Es gab Probleme mit der Software, dem Design und Streitigkeiten mit Zulieferern.

    ZDFheute: Wie anspruchsvoll ist ein so langer Aufenthalt im All für den Körper?
    Ewald: Bei den Langzeit-Missionen braucht der Körper Unterstützung. Um die Muskeln zu erhalten und die Knochen nicht allzu sehr abbauen zu lassen, macht man dann Sport an den Geräten auf der Raumstation.
    ZDFheute: Wie muss man sich das vorstellen: Ist die ISS dann mit einem ganz normalen Fitnessstudio ausgestattet?
    Ewald: Sunita Williams dürfte daran aber ihren Spaß haben - sie ist bei ihrem ersten Flug sogar den Boston-Marathon auf dem Laufband der ISS mitgelaufen. Mit dem Unterschied, dass sie in drei Stunden die Erde zwei Mal umrundet hat. Als medizinische Testobjekte taugen die beiden wohl trotzdem nicht. Weil man auf einen so langen Aufenthalt nicht vorbereitet war, dürften die Vorflug-Daten fehlen.
    Das Boeing Starliner-Raumschiff bereitet sich darauf vor, zum ersten Mal an der Internationalen Raumstation anzudocken.
    Die erste bemannte "Starliner"-Raumkapsel von Boeing ist erfolgreich an der internationalen Raumstation ISS gelandet. Zwei Nasa-Astronauten bleiben rund eine Woche an Bord der ISS - hieß es damals noch. 07.06.2024 | 0:19 min
    ZDFheute: Da plant man, für wenige Tage in den Weltraum zu fliegen und hängt dann plötzlich monatelang fest. Ist diese Situation nicht auch psychisch sehr belastend?
    Ewald: Speziell dafür wird man nicht ausgebildet, aber da zieht das Grundtraining. Die beiden sind Profis. Eine solche Situation nehmen sie als Herausforderung an. Diese Mentalität braucht man als Explorer, als jemand, der Neuland betreten will. Ich denke, für die beiden ist das keine Katastrophe, sondern Teil des Astronautenberufs.
    ZDFheute: Gibt es Risiken, die sich durch diesen längeren Aufenthalt ergeben?
    Ewald: Ich würde sagen, keine außer denen, die man im Weltall immer hat. Dazu gehören beispielsweise Situationen, bei denen man die Raumstation schnell verlassen muss: Feuer oder ein Meteoriteneinschlag zum Beispiel. Momentan wäre das wegen der Probleme mit dem Starliner natürlich kritisch.
    ZDFheute: Mittlerweile gibt es auch mehrere private Raumfahrtunternehmen. Kann nicht eines von denen die beiden zurückholen?
    Ewald: Die sind ja nicht wie der ADAC dauernd unterwegs. Auch sind diese Raumschiffe jeweils für sehr spezielle Aufgaben ausgerüstet. Da spielen auch heute noch Wetter und Technik eine Rolle. Man kann nicht einfach ein Raumschiff hochschicken, das auf diese Mission nicht vorbereitet ist.

    Prof. Dr. Reinhold Ewald, Astronaut
    Quelle: Imago

    ...war 1997 Teil der Besatzung der russischen Raumstation Mir bei der deutsch-russischen Mission "Mir 97". Der promovierte Physiker hat seine Doktorarbeit über Radioastronomie geschrieben und war nach seiner Rückkehr aus dem All unter anderem als Crew Operations Manager der ESA für die ISS- und Sojus-Raumflüge der europäischen Astronauten und Astronautinnen  zuständig.
    Wegen seiner Verdienste für die Forschung und Raumfahrt erhielt Ewald russische Orden und Auszeichnungen, die er derzeit niedergelegt hat. Ewald ist außerdem Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse und des Landesverdienstordens des Landes Nordrhein-Westfalen.
    Bis zum Eintritt in den Ruhestand in diesem Jahr hatte er einen Lehrstuhl an der Universität Stuttgart inne, als Professor für Astronautik und Raumstationen am Institut für Raumfahrtsysteme.

    ZDFheute: Ist es das erste Mal, dass eine Besatzung im Weltall strandet?
    Ewald: Im Jahr 2022 gab es den Fall, dass es ein Leck an der russischen Sojus-Kapsel gab. Auch da entschied man sich dafür, die Kosmonauten lieber nicht damit zurückfliegen zu lassen, sondern mit einem Ersatzraumschiff. Dadurch blieb die Crew mehr als ein Jahr auf der ISS.
    Eine externe Palette mit ausgedienten Nickel-Wasserstoff-Batterien wurde vom Canadarm2-Roboterarm der Internationalen Raumstation ISS freigegeben.
    Ein Batterieblock der Internationalen Raumstation nimmt Kurs auf die Erde. Experten geben aber Entwarnung – das Objekt wird bei Eintritt in die Atmosphäre wohl verglühen.08.03.2024 | 1:41 min
    ZDFheute: Ist es eigentlich leicht, von da oben Kontakt zu Freunden und Familie zu halten?
    Ewald: Da gibt es natürlich mittlerweile einen großen Fortschritt gegenüber der Mir-Station, auf der ich meinen Einsatz hatte. Wir hatten gerade mal Kontakt zu den Funkstellen, wenn wir über Russland waren. Die ISS ist über Satellit mit Internet, Video- und Sprachanrufen bestens ausgestattet.
    ZDFheute: Wie verbringt man denn sonst seine Zeit auf der ISS - wird es da oben nicht langweilig?
    Ewald: Wie gesagt, herrscht auch dort ein normaler Arbeitsalltag. Das bisschen Freizeit am Abend verbringt man dann damit, Filme zu schauen oder Nachrichten zu lesen. Es wird auch gerne aus der Cupola-Kanzel fotografiert. Die Zahl der Fotos aus der ISS nähert sich inzwischen drei Millionen. Und das Spannendste ist ja auch immer noch, aus dem Fenster zu schauen und die Erde von oben zu betrachten.
    Das Interview führte Anna Grösch.

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

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