mit Video
Interview
Ermittlungen von Polizei und Co.:Bremst der Datenschutz die Sicherheit?
|
Wie viel dürfen Sicherheitsbehörden über Bürger wissen? Im ZDFheute-Interview erklärt Staatsrechtler Markus Ogorek, warum die Frage Gerichte vor Herausforderungen stellt.
Wie weit dürfen Sicherheitsbehörden den Datenschutz übergehen, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Eine schwierige Frage, auch für die Gerichte.
Quelle: dpa
Der Umgang mit großen Datenmengen gehört mittlerweile zum Alltag moderner Polizeiarbeit. Doch die Befugnisse, wie viele Informationen der Staat über seine Bürger zum Zweck der Strafverfolgung und Terrorismusabwehr speichern darf, stehen immer wieder auf dem Prüfstand. Gerichte müssen zwischen Freiheit und Sicherheit abwägen, und es kommt häufig auf Detailfragen an. Staatsrechtler Markus Ogorek über die Gratwanderung zwischen Datenschutz und Sicherheit.
ZDFheute: Ist der Datenschutz ein Hindernis für die moderne Polizeiarbeit?
Markus Ogorek: Tatsächlich sehen wir hier eine gewisse Zuspitzung. Die Sicherheitsbehörden können heute anders als früher weit im Vorfeld konkreter Gefahren tätig werden. Also bereits bei ersten Anhaltspunkten für einen relevanten Vorgang, zum Beispiel bei einem drohenden terroristischen Anschlag. Und dann geht es meist um informationelle Maßnahmen: Man versucht herauszubekommen, wer der Täter ist, mit wem er in Kontakt steht oder wo Materialien beschafft werden.
"Was das Thema Cybersicherheit angeht, haben wir immer ein mulmiges Gefühl", so Claudia Plattner, Präsidentin beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.19.07.2024 | 4:33 min
Bei all diesen Bereichen spielen große Datenmengen und dementsprechend auch Datenschutz eine Rolle. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen:
Dieser Trend wird sich sicherlich weiter verschärfen durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz.
Quelle: Universität zu Köln
... ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln. Sein Forschungsschwerpunkt liegt insbesondere im Recht der Nachrichtendienste, zu dem er auch Regierungs- sowie parlamentarische Stellen berät.
ZDFheute: Warum ist es so schwierig, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den Sicherheitsauftrag des Staates in Einklang zu bringen?
Ogorek: Der Kernkonflikt liegt darin, dass das Grundgesetz ein hohes Maß an Schutz aller persönlichen Daten garantiert. Gleichzeitig legt der Sicherheitsauftrag in einer vernetzten Welt nahe, nicht nur zielgerichtet auf einzelne Systeme zuzugreifen, sondern auch in größerem Umfang Informationen zu sammeln und zu verknüpfen.
Nach dem islamistischen Terroranschlag in Solingen steht fest: Geht es nach der Ampel, sollen Strafverfolgungsbehörden mehr KI einsetzen dürfen. Wie ändert sich die Polizeiarbeit?14.09.2024 | 9:29 min
Den Datenabgleich führt Deutschland teils selbst durch. Da wir aus nachvollziehbaren Gründen aber keine "strategische Aufklärung" im Inland betreiben, sind wir bei der Erhebung oft auf Hinweise von Partnern angewiesen, die genau das tun - ein Zustand, der alles andere als ideal ist.
ZDFheute: Welche Rolle spielt dabei das Bundesverfassungsgericht?
Markus Ogorek: Eine sehr zentrale Rolle. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt in der Vergangenheit den rechtlichen Rahmen abgesteckt für Überwachungsmaßnahmen von Polizei und Nachrichtendiensten. Zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung, Onlineüberwachung oder Ortung von Handys. Und das Gericht hat schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass es keine belanglosen Daten gibt. Die Verwendung personenbezogener Informationen bedarf also so gut wie immer einer Abwägung.
Terrorismus-Experte Hans-Jakob Schindler sieht die Diskussion über Waffenverbotszonen oder schärfere Gesetze kritisch. Für ihn muss die Radikalisierung im Internet gestoppt werden24.08.2024 | 3:24 min
ZDFheute: Wie streng sind die Richterinnen und Richter in Karlsruhe?
Markus Ogorek: Insbesondere aus den Nachrichtendiensten höre ich manchmal die Frage, wo im Grundgesetz sich denn die Herleitung für exakt diese oder jene neue Vorgabe noch festmachen lässt. Neue Hürden aus Karlsruhe sorgen auch dafür, dass Ermittlungsinstrumente faktisch unbrauchbar werden.
Aber natürlich will das Bundesverfassungsgericht nicht die Arbeit der Sicherheitsbehörden beeinträchtigen, sondern erkennt vor allem an, dass es aufgrund der Digitalisierung heute unzählige Formen von Grundrechtseingriffen gibt. Zu welchem Zweck werden Daten gesammelt? Wie lange werden sie gespeichert? Und an welche Behörden übermittelt?
Bundespräsident Steinmeier hat sich im ZDF-Sommerinterview für eine Stärkung von Sicherheitsbehörden ausgesprochen. Es soll ein besserer Schutz vor Angriffen gewährleistet werden. 25.08.2024 | 1:11 min
ZDFheute: Und dennoch scheint es in Deutschland häufig vorzukommen, dass das Bundesverfassungsgericht bei Sicherheitsbefugnissen einschreitet. Sind andere Länder in dem Bereich großzügiger?
Markus Ogorek: Das stimmt. Andere EU-Staaten wie beispielsweise Frankreich stellen in der Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit den Schutz der Bürger stärker in den Vordergrund. Der Datenschutz genießt in Deutschland eine hohe Bedeutung. Das ist sicherlich nachvollziehbar, man muss sich dann allerdings auch im Klaren darüber sein, dass unsere Sicherheitsbehörden nicht immer so leistungsfähig sein dürfen, wie sie könnten.
Das Interview führte Jan Henrich aus der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
Quelle: ZDF
Sie wollen stets auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie bei unserem ZDFheute-WhatsApp-Channel genau richtig. Egal ob morgens zum Kaffee, mittags zum Lunch oder zum Feierabend - erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Mini-Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Melden Sie sich hier ganz einfach für unseren WhatsApp-Channel an: ZDFheute-WhatsApp-Channel.
Mehr zu Datenschutz
Upskirting, Downblousing und Co.:Unbefugte Fotos: Was ist strafbar?
von Laura Kress
Daten bei Facebook und Instagram:Meta und KI: Was sich beim Datenschutz ändert
von Luisa Herbring
Bei allgemeiner Kriminalität:EuGH: Ja zu Vorratsdatenspeicherung
von Jan Henrich