Aufräumarbeiten beginnen: Schockstarre im Hochwassergebiet
Aufräumarbeiten beginnen:Schockstarre im Hochwassergebiet
von Jasmin Astaki-Bardeh
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Die Aufräumarbeiten im Rems-Murr-Kreis beginnen. Tausende Helfer sind im Dauereinsatz, in Schorndorf kommt für zwei Menschen jede Hilfe zu spät. Eine Reportage.
Klaffenbach, ein Ortsteil von Rudersberg: Hochwasserschäden an Häusern und Brücke.
Quelle: dpa
Sie wollen hier in Schorndorfs wohl traurigster Straße keine Kamerateams sehen. Winken uns ab. Dann sind sie doch zum Gespräch bereit. Sie stehen wie unter Schock vom Tod der Nachbarn. Ein Mann und eine Frau, die vermutlich im eigenen Keller ertrunken sind.
Viele kleine Gemeinden in Baden-Württemberg und Bayern sind vom Hochwasser betroffen. Die Helfer kämpfen pausenlos gegen die Fluten.03.06.2024 | 15:49 min
Die Nachbarn in der Stadt in Baden-Württemberg beschreiben, mit welcher Wucht das Wasser kam: Innerhalb von Minuten, 90 Zentimeter in 20 Minuten. Der Pegel stieg und stieg. Esther Weresch und Jürgen Heinrich rannten in die Garage und versuchten zu retten, was sie in die Finger bekamen. In der Nacht hörten sie die Schreie vom Nachbarhaus:
Autostapel und schlammige Möbel
Die Polizei und auch der Bürgermeister von Schorndorf bestätigen, dass Mutter und Sohn wohl Opfer des Hochwassers sind. Auch in den Nachbargemeinden hat der Starkregen Verwüstung hinterlassen. In Rudersberg stapeln sich Autos übereinander - mitgerissen von den gewaltigen Wassermassen.
Die Hochwasser-Lage ist in Teilen Bayerns weiter kritisch. In Regensburg, wo der Katastrophenfall ausgelöst worden war, mussten am späten Abend 200 Menschen ihre Häuser verlassen.04.06.2024 | 1:26 min
Schlammüberzogene Habseligkeiten türmen sich vor den Häusern, deren Besitzer unentwegt ausräumen. Die Müdigkeit spricht aus ihren Gesichtern. Norbert Grychnk sagt, er habe seit Samstag kein Auge zubekommen und erzählt, wie er von den Fluten überrascht wurde.
Das Wasser habe alles kaputt gemacht, erzählt Grychnk weiter. Er sei seit Sonntagmorgen wach und ihm seien Gedanken durch den Kopf gegangen: Was kommt noch? Wie weit steigt es? War's das jetzt?
Seit 40 Jahren lebt er in der Gemeinde, Hochwasser gab es schon einmal - ein solches Ausmaß ist ihm jedoch neu. Er wünscht sich, trotz seines Schlafmangels, endlich ein Aufwachen aus diesem Albtraum.
Vollgelaufene Keller und verschlammte Wohnungen: Starke Hochwasser sorgten zuletzt vermehrt für Schäden an Gebäuden. Sollte eine Versicherung für Elementarschäden Pflicht werden?03.06.2024 | 2:45 min
Arztpraxis im Schlamm versunken
Auch für den Hausarzt Alexander Beck ist eine Welt untergegangen. Erst vor vier Jahren hatte er seine Praxis im Zentrum von Rudersberg komplett renoviert.
Durch eine zerplatzte Glastür schreitet er über die Scherben in das, was von seinen Behandlungsräumen noch übrig ist: Teure Mess- und Ultraschall-Geräte, verdreckt wie aus dem Seegrund geborgen, zerbrochenes Glas, versiffte Armaturen. Der Abdruck des Wassers ist an den Wänden allzu deutlich erkennbar. Fast so hoch, wie der Doktor groß ist. Beck schaut nachdenklich über die Überbleibsel seiner beruflichen Existenz.
Wut auf Leugner des Klimawandels
Beck sei gestern Nacht um elf noch hier gewesen, habe versucht Dinge zu retten. Er ärgert sich über die späte Warnung, andernfalls hätten noch wichtige medizinische und technische Geräte gerettet werden können. Klimaleugner wolle er jetzt nicht mehr sehen, schimpft er, es wäre an der Zeit alles zu tun, um solche Katastrophen in Zukunft zu verhindern.
Das Hochwasser hat Möbel und andere Habseligkeiten zerstört. In Rudersberg liegen sie unbrauchbar geworden am Straßenrand.
Quelle: dpa
In der Ladenstraße vor Becks Haus wird angepackt. Hunderte Helfer schaufeln Schlammmassen zur Seite. Viele sind aus den umliegenden Ortschaften zu Hilfe geeilt. In diesen Stunden muss man zusammenhalten, so wirkt ihr Schaffen. Darauf haben sie sich offenbar stillschweigend geeinigt.
In Baden-Württemberg ist das Wasser an den meisten Stellen abgeflossen - für viele wird das Ausmaß der Katastrophe erst jetzt richtig sichtbar. Anna Gürth und Anita Theis haben das große Aufräumen am Bodensee begleitet. 04.06.2024 | 1:57 min
Anwohnerin: Hochwasserschutz war nie Thema
Martina Ochmann wurde von ihrer Mutter Sonntagnacht angerufen. Nachts konnte sie wegen des Wassers nicht kommen. Seit den frühen Morgenstunden hilft sie ihrer Mutter, schleppt die alten Habseligkeiten vor die Tür.
Sie ist enttäuscht von der Kommune. Hochwasserschutz hätte eine viel größere Priorität benötigt. In den Bebauungsplänen der Stadt habe die Frage nach potenziellem Hochwasser so gut wie keine Rolle gespielt. Dabei ist Rudersberg eine Tiefebene, gefährdet genau durch solchen Starkregen, wie er in der Nacht über die Ortschaft hineinbrach.
Bis die Schäden wirklich beseitigt sind, wird es noch lange dauern. Was bleiben wird, ist die Trauer über den Verlust der beiden Bewohner von Schorndorf.