Hämophilie mit Gentherapie statt vieler Spritzen behandeln
Statt vieler Spritzen:Hämophilie behandeln mit Gentherapie
von Andreas Kürten
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Hämophilie-Betroffene müssen sich grundsätzlich regelmäßig Medikamente spritzen. Doch seit etwa sechs Monaten ist eine Gentherapie zugelassen, die mehr Unabhängigkeit verspricht.
Bleibt Hämophilie unbehandelt, kann das bei vielen Betroffenen zu dauerhaften Gelenkbeschwerden führen. (Symbolbild)
Quelle: Imago
Etwa zehntausend Menschen, vorwiegend Männer, leben derzeit in Deutschland mit der Bluterkrankung. Es gibt mehrere Formen, die unterschiedlich verlaufen. Am häufigsten sind Hämophilie A und B, bei denen jeweils ein Proteinbestandteil im Blut fehlt, der als Gerinnungsfaktor zur Blutgerinnung beiträgt. In der Folge kann das Blut nur schlecht oder gar nicht gerinnen.
Formen der Hämophilie
Ursache: Vererbung einer genetischen Veränderung auf dem X-Chromosom
Defekt: Gerinnungsfaktor VIII fehlt von Geburt an bei den 13 Eiweißen, die zur Blutgerinnung und Wundheilung beitragen
Verlauf: meist schwer
Betroffene in Deutschland: ca. 5.000
Ursache: Vererbung einer genetischen Veränderung auf dem X-Chromosom
Defekt: Gerinnungsfaktor IX fehlt von Geburt an bei den 13 Eiweißen, die zur Blutgerinnung und Wundheilung beitragen
Verlauf: meist leicht
Betroffene in Deutschland: ca. 5.000
Ursache: Tritt spontan auf, meist im hohen Alter
Defekt: Antikörper greifen körpereigene Gerinnungsfaktoren an
Verlauf: meist schwer mit lebensbedrohlichen Zuständen
Betroffene in Deutschland: ca. 150
Ohne Behandlung sind Konsequenzen für Bluter schwerwiegend
Ohne Behandlung können Blutungen bei Verletzungen nur langsam bis gar nicht gestillt werden, oder es kommt zu größeren Blutergüssen und Schwellungen.
Besonders gefährlich: Blutungen können das Gehirn oder die Muskeln beeinträchtigen. Blutungen in die Gelenke führen im Laufe des Lebens bei vielen Betroffenen zu dauerhaften Gelenkbeschwerden. Sie betreffen besonders häufig die Knie und Sprunggelenke, was in der Folge Operationen notwendig machen kann.
Umar Choudry leidet von Geburt an unter schwerer Hämophilie A. Wie es der 40-Jährige schafft, trotz seiner Gelenkbeschwerden möglichst aktiv zu leben.17.04.2023 | 5:37 min
Herkömmliche Behandlung von Hämophilie: Medikamente in Spritzenform
Die Hämophilie ist bisher nicht ursächlich heilbar. Betroffene müssen lernen, sich den fehlenden Gerinnungsfaktor regelmäßig selbst zu spritzen. Die entsprechenden Medikamente sind in Deutschland gut verfügbar.
Seit 2023 werden die Kosten in der Regel komplett von den Krankenkassen übernommen. Die Dosierung muss genau mit dem Arzt (meist Hämostaseologe) besprochen werden. Einige Präparate haben eine längere Halbwertszeit und müssen nicht mehr zwingend kühl gelagert werden. Das erlaubt Erkrankten speziell auf Reisen ein größeres Intervall zwischen den Spritzen und ein höheres Maß an Flexibilität.
Etwa ein Fünftel der Hämophilie-Patienten entwickelt eine Immunität. Der zugeführte Gerinnungsfaktor wirkt dann nicht mehr. Für solche Fälle gibt es mittlerweile zum Glück alternative Präparate.
Neue Hoffnung durch Gentherapie
Viele Betroffene hoffen aber auf Fortschritte bei der Behandlung durch eine Gentherapie. Das Prinzip: Der Körper wird mit einer einmaligen Infusion durch genetische Informationsträger dazu angeregt, den fehlenden Gerinnungsfaktor selbst zu bilden.
Damit kann die Krankheit zwar nicht geheilt werden, aber eine schwere Verlaufsform der Hämophilie kann so in eine mildere Variante umgewandelt werden. Es kommt zu einem Anstieg des bislang fehlenden Gerinnungsfaktors im Blut.
Die Betroffenen benötigen dadurch keine regelmäßigen Spritzen mehr. Nur bei Operationen oder großen Verletzungen sind sie nötig. Die Therapie ist mittlerweile in Deutschland jeweils mit einem Wirkstoff für Hämophilie A und B zugelassen worden. Johannes Oldenburg vom Institut für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Bonn sagt dazu:
Die Auswertung von Zweijahresdaten bei Betroffenen mit einem schweren Verlauf der Hämophilie A zeigt: Die entsprechende gentherapeutische Information (Gentherapievektor) geht dabei zunächst in die Leber der Erkrankten, um die fehlende Information zur Bildung von Gerinnungsfaktor VIII zu ersetzen. Das erforderte engmaschige Kontrollen von Blutwerten im nächsten halben Jahr mit Blick auf mögliche Nebenwirkungen. Das bisherige Resultat der Studie ist aber sehr positiv: Im Schnitt wiesen die Patienten im Anschluss an die Behandlung eine Aktivität von Faktor VIII von etwa 12 Prozent auf. Das entspricht nur noch einer leichten Hämophilie. Die jährliche Blutungsrate der Patienten sank um 84,5 Prozent. Trotz möglicher Nebenwirkungen durch eine dabei notwendige Behandlung mit Kortison (Diabetes, Osteoporose, Gewichtszunahme) werden die Studienergebnisse international als sehr erfolgreich bewertet.
Gentherapie bisher nur für Erwachsene zugelassen
Die Gentherapie gilt unter Wissenschaftlern als ein richtungsweisendes Verfahren für die zukünftige Behandlung der Hämophilie. Allerdings gibt es derzeit noch grundsätzliche Einschränkungen: Es muss zuerst überprüft werden, ob Betroffene für die Behandlung überhaupt in Frage kommen.
Denn: Die verabreichten Wirkstoffe können vom Immunsystem angegriffen werden und so ihre Wirkung verlieren. Außerdem ist die Behandlung in Deutschland zurzeit nur für Erwachsene zugelassen, nicht aber für Kinder.
Grunderkrankungen, zum Beispiel am Herzen, müssen vor einer möglichen Gentherapie ausgeschlossen werden. Darüber hinaus muss die Übernahme der Kosten für eine Gentherapie durch die Krankenkasse erst verbindlich geklärt werden.
Herkömmliche Therapien gegen Bluterkrankheit weiter benötigt
Der gemeinsame Bundesausschuss hat den Zusatznutzen der Gentherapie bislang noch nicht bewertet. Somit handelt es sich bei der Gentherapie gegen Hämophilie um ein Verfahren, das bei vielen Hämophilie-Patienten Hoffnungen weckt, das aber nach aktuellem Kenntnisstand keinen vollständigen Ersatz der herkömmlichen Behandlung bedeutet. Hämostaseologin Rosa Sonja Alesci vom Gerinnungszentrum Hochtaunus erklärt dazu: