Goethe - echt jetzt? So hat sich das Dichter-Bild geändert
275. Geburtstag:Dichtergott Goethe - was taugt er heute noch?
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Das Interesse am deutschen Nationaldichter Johann Wolfgang von Goethe war schon mal größer. Kann ein alter weißer Intellektueller denn noch was beitragen zu aktuellen Debatten?
"Alles Goethe": Influencer Damian Mallepree mit seinem Idol in Form einer Puppe.
Quelle: dpa
Als die Bundeskunsthalle vor ein paar Jahren eine große Ausstellung zu Johann Wolfgang von Goethe organisierte, standen dort am Anfang zwei einfache Holzlatten, eine lange und eine kurze. Auf der langen stand "Goethe", auf der kurzen "Im Vergleich dazu irgendein Scheißer". Der Künstler Georg Herold spielte mit diesem Werk darauf an, dass man sich neben Johann Wolfgang Superstar schnell sehr klein fühlen kann.
Zu seinem 275. Geburtstag stellt sich allerdings die Frage, ob das überhaupt noch so ist. Denn Goethe wird weniger gelesen und weniger gespielt. Ist er überhaupt noch relevant?
Schon zu Lebzeiten eine internationale Celebrity
Lange wäre eine solche Frage undenkbar gewesen, denn wenn in Deutschland jemand auf einem ganz hohen Sockel stand, dann Goethe. "Des deutschen Volkes besseres Selbst" wurde er genannt. Schon zu Lebzeiten war der Dichter, Naturforscher und Italien-Freund ein internationaler Star.
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Am 2. Oktober 1808 wurde er in Erfurt sogar von Napoleon empfangen, der damals auf dem Höhepunkt seiner Macht stand und den Großteil Europas beherrschte. Der Kaiser saß gerade beim Frühstück, blickte auf und begrüßte Goethe mit den berühmt gewordenen Worten: "Vous êtes un homme!" ("Sie sind ein Mann"). Was er damit genau meinte, ist unklar, vielleicht so etwas wie "Wir können uns von Mensch zu Mensch unterhalten", vielleicht aber auch: "Sie sind ein Kerl, von Ihnen hab' ich schon viel gehört!" Oder aber, es fiel ihm nichts besseres ein.
Quelle: Imago/Gemini Collection
Im Jahr 1774 erschien Johann Wolfgang von Goethes erstes Meisterwerk: "Die Leiden des jungen Werther". Der Roman machte ihn quasi über Nacht berühmt und löste einen neuen Modetrend aus. Alle wollten sich wie der Star der Geschichte "Werther" kleiden: mit blauem Frack, gelber Weste und dazu Lederstulpen.
Quelle: ard
Goethe spricht mit den Dialekt seiner Geburtsstadt Frankfurt, also quasi Hessisch. Auch deshalb reimen sich manche seiner Verse wohl nur, wenn man sie auf Hessisch ausspricht:
Original: "Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen und sich die goldenen Eimer reichen"
Auf Hessisch ausgesprochen: "Wie Himmelskräfte auf und nieder steische und sich die goldenen Eimer reichen"
Quelle: ZDF/John Will
Gruselalarm! Goethe hat sich nach dem Tod seines Freundes Friedrich Schiller dessen Schädel bringen lassen, um ihn zu untersuchen. Goethe interessierte sich nämlich neben der Literatur auch für Naturwissenschaften. Heute wäre so etwas nicht möglich, solche Untersuchungen dürfen nur Fachleute machen.
Die Gen Z würde an der Stelle ein anerkennendes "Slay!" raushauen. Sogar Napoleon diskutierte mit "Monsieur Göt" über sein Werk, vor allem über seinen Bestseller "Die Leiden des jungen Werther".
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Mit Bestseller "Werther" gleich berühmt
Die "Leiden des jungen Werther" war schon 1774 erschienen und hatte Goethe - damals noch ein junger Mann von 25 Jahren - auf einen Schlag in ganz Europa berühmt gemacht. Dass sich die Hauptperson am Ende aus Liebeskummer umbringt, soll andere junge Männer in ähnlichen Situationen ebenfalls dazu verleitet haben, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Ob es diesen "Werther-Effekt" wirklich gegeben hat, ist unter Experten umstritten.
Endgültig seit seinem Ableben 1832 im damals hohen Alter von 82 Jahren schwebte Goethe gottgleich über Deutschland. Mitunter wurde er zwar auch kritisiert - als Klassenfeind, Sexist, Antisemit und alles Mögliche andere, doch das konnte seinem Status nie wirklich etwas anhaben.
Die Altstadt von Wetzlar lockt mit ihren uralten Fachwerkhäusern und kleinen Gässchen, hier kann man hessische Gerichte genießen und auf Goethes Spuren wandeln. Doch Wetzlar ist auch Stadt der Optik und Ausgangspunkt für Kanuwanderer auf der Lahn.14.09.2019 | 5:13 min
Interesse an Goethe scheint abzunehmen
Aber in den vergangenen Jahren ist nun etwas passiert, was es so vielleicht noch nicht gegeben hat: Das Interesse an Goethe scheint abzuebben - sowohl an Schulen wie auch an deutschen Bühnen.
"Der Hauptgrund ist meiner Meinung nach, dass ein alter, intellektueller weißer Mann bei den derzeitigen Diskursen nicht unbedingt als Hauptfigur taugt", analysiert Detlev Baur, Chefredakteur der Fachzeitschrift "Die Deutsche Bühne". Was die Schullektüre betreffe, habe Georg Büchners gesellschaftskritisches Drama "Woyzeck" dem "Faust" den Rang abgelaufen. Das derzeit meistinszenierte Drama an den Theatern ist ebenfalls "Woyzeck".
Neue Wege zum deutschen Dichter-Gott
Ein Goethe-Influencer aus dem Ruhrgebiet geht neue Wege Vielleicht sind Lesekreise und Drei-Stunden-Vorstellungen im 21. Jahrhundert aber auch einfach nicht mehr das zeitgemäße Mittel, um sich dem Dichter anzunähern. Damian Mallepree (38) aus Essen-Kettwig erprobt seit vier Jahren eine andere Herangehensweise: das Instagram-Format "Alles Goethe!". Sein Ziel ist es, "über Goethe und seine Zeit miteinander im Gespräch zu bleiben".
Dafür plaudert der Goethe-Influencer mitunter mehrmals pro Woche mit Menschen, die sich ebenfalls für den Dichter interessieren oder irgendeinen Bezug zu ihm oder seiner Epoche haben. Und immer wieder werden erstaunliche "Fun Facts" zum Weimarer Geheimrat enthüllt: Zum Beispiel gibt es in Südkorea und Japan einen Milliardenkonzern mit dem Namen "Lotte" - nach der Lotte aus den "Leiden des jungen Werther". Firmengründer Shin Kyuk-Ho war von dem Roman so begeistert, dass er sein Unternehmen nach der weiblichen Hauptfigur benannte.
Quelle: ZDF
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