Germanwings-Absturz: "Keine Beweise für spekulative Thesen"

    Interview

    Jahrestag Germanwings-Absturz:Experte: Keine Beweise für spekulative Thesen

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    Warum ist das Germanwings-Flugzeug vor zehn Jahren abgestürzt? Verantwortlich war der Copilot, sagen die Ermittler. Wieso sich andere Theorien halten, erklärt ein Experte.

    Gedenken- Germanwings-Opfer
    Heute vor zehn Jahren ist der Germanwings Flug 4U 9525 in den Alpen abgestürzt. Der psychisch kranke Kopilot wollte Suizid begehen und riss 150 Insassen mit in den Tod. Angehörige gedenken der Opfer am Absturzort.24.03.2025 | 2:04 min
    Bereits kurz nach dem Absturz von Flug 9525 war klar, dass es sich dabei um einen erweiterten Suizid des Ersten Offiziers Andreas Lubitz gehandelt hatte. Parallel verbreiteten sich auch alternative Ideen zum Hergang an Bord des Airbus A320. Was ist dran an diesen Erklärungsansätzen?
    Gedenktafel in Haltern am See - in Erinnerung an die Opfer des Flugzeugabsturzes am 24. März 2015 in den Französischen Alpen.
    Es ist die größte Katastrophe in der Geschichte der deutschen Luftfahrt. Ein Rückblick.21.03.2025 | 6:14 min
    "Keine dieser alternativen Theorien zum offiziellen Untersuchungsergebnis hält einer tiefergehenden Prüfung stand", so der österreichische Luftfahrt-Experte Patrick Huber im Interview.

    Karte des Fluges von Germanwings 9525 von Barcelon nach Düsseldorf mit der Absturzstelle nördlich von Nizza
    Quelle: ZDF

    Germanwings 9525 war am 24.03. 2015 unterwegs von Barcelona noch Düsseldorf.

    Der 27 Jahre alte Co-Pilot Andreas Lubitz steuerte die Airbus-Maschine absichtlich in die Berge, um sich das Leben zu nehmen. Zu diesem Schluss kamen französische und deutsche Staatsanwälte sowie die französische Behörde für Flugunfälle.

    Die Auswertung der Flugschreiber hatte ergeben, dass Lubitz sich im Cockpit einschloss, nachdem der Pilot auf die Toilette gegangen war. Anschließend stellte der Copilot die Flughöhe auf nur 30 Meter ein - ein Manöver, das er bereits auf dem Hinflug so kurz getestet hatte, dass es nicht aufgefallen war. Als das Flugzeug sich im Sinkflug befand, erhöhte er mehrfach die Geschwindigkeit. Nördlich von Nizza prallte es in die Berge - 150 Menschen starben.

    Quelle: AFP

    ZDFheute: Können Sie die vielen Mythen und Theorien, die Ihnen in den letzten zehn Jahren zu dieser Katastrophe begegnet sind, eigentlich noch zählen?
    Patrick Huber: Es gab so einige Erklärungsansätze abseits der offiziellen Untersuchungsergebnisse, und manche begegnen mir auch heute noch.

    Andere hingegen waren so abstrus, dass sie heute kaum mehr verfolgt oder verbreitet werden.

    Die Behauptung, dass der Airbus von französischen Kampfflugzeugen abgeschossen wurde zum Beispiel, oder die Theorie von einem Tech-Angriff, der die Systeme des Flugzeugs aus der Distanz außer Kraft gesetzt hat. Beides war einfach nur abwegig und an den Haaren herbeigezogen.
    Grafikvideo zum Hergang des Absturzes starten
    Das Flugzeug mit 150 Menschen an Board geht viel zu früh in einen dramatischen Sinkflug und zerschellt in den französischen Alpen. Das Grafikvideo zeigt die Einzelheiten.24.03.2025 | 0:32 min
    ZDFheute: Bei der Suche nach Alternativen bleibt mancher aber hartnäckig. Gerade erst gab es eine Doku beim TV-Sender Sky, wonach es eben nicht Lubitz gewesen sein muss, dessen Verhalten zum Absturz führte. Gibt es vielleicht doch Zweifel an der offiziellen Darstellung des Tathergangs?
    Huber: Ganz klare Antwort meinerseits:

    Nein, so gut wie die gesamte Fachwelt sagt aus gutem Grund, dass die offizielle Darstellung korrekt ist.

    Nach dem gerade angesprochenem Mythos soll ja, als einer der Piloten das Cockpit verlassen hat, die auf dem Autopiloten eingestellte Flughöhe zufällig wegen eines technischen Problems auf 100 Fuß (ca. 30 m) gesprungen sein und außerdem gleichzeitig der andere Pilot handlungsunfähig oder sogar ohnmächtig geworden sein.
    Der sich zu diesem Zeitpunkt in der Kabine befindliche zweite Pilot habe nach dieser Theorie deshalb nicht ins Cockpit zurückgekonnt, weil das Keypad vor der Cockpittür für die Eingabe des Notfallcodes defekt gewesen sei.

    Für keine einzige dieser spekulativen Thesen gibt es irgendeinen belastbaren Beweis.

    Patrick Huber im Cockpit.
    Quelle: ZDF

    ... ist ein österreichischer Fachjournalist für Luftfahrt und ein Luftfahrtfotograf. Der Flugsicherheitsexperte hat über den Absturz des Germanwings Flugs 9525 in den französischen Alpen ein Buch geschrieben.

    ZDFheute: Und was ist mit Behauptungen, ein Fume Event oder ein technischer Defekt am Airbus könnten eine Ursache für den Absturz sein?
    Huber: Ein Fume Event, also dass über das aus den Triebwerken gespeiste Zapfluftsystem toxische Stoffe ins Cockpit oder in die Passagierkabine eingedrungen sind, kann man nach allen vorliegenden Erkenntnissen ebenfalls ausschließen. Und auch technische Probleme als Ursache des Sinkfluges sind nirgendwo auch nur ansatzweise zu erkennen.
    ZDFheute: Haben Sie eine Idee, wie solche Mythen zustande gekommen sind?
    Huber: Psychologen haben dafür verschiedene Erklärungsansätze. Einer geht in folgende Richtung: Bei einem so monumentalen Ereignis, das man kaum begreifen kann, suchen Menschen nach einer Erklärung, die für sie plausibel ist.

    In diesem Fall ist es für manche eben so, dass sie Verschwörungstheorien plausibler finden als das Naheliegende.

    Und wir leben in der Zeit von Social Media, wo jeder alles in die Welt setzen kann - auch wenn es nicht den geringsten belastbaren Beweis dafür gibt. Das verbreitet sich dann wie ein Lauffeuer.
    ZDFheute: Muss heute, zehn Jahre nach dem Absturz der Germanwings 9525, noch etwas aufgearbeitet werden?
    Huber: Für die Fachwelt, für Pilotenverbände, für die Justiz ist der Fall abgeschlossen, seit es den Schlussbericht gibt. Aber wie gesagt: Wir leben im Zeitalter von Social Media - und Mythen sind gekommen um zu bleiben. Jetzt zum zehnten Jahrestag kocht es kurz wieder hoch. Die überwiegende Mehrheit sieht es so, wie es war: Ursache für den Absturz war der erweiterte Suizid eines psychisch Kranken.




    Das Interview führte Christian Thomann-Busse.

    Zehn Jahre Germanwings-Absturz: Was sich in der Luftfahrtbranche geändert hat

    Archiv: Ein Pilot sitzt am 24.02.2012 in Düsseldorf im Cockpit einer Boeing 737-800
    Quelle: dpa

    Lehren aus dem "Germanwings-Unglück":

    • Flugmedizinische Datenbank soll Ärzte-Hopping verhindern
    In der Datenbank haben die vom Luftfahrtbundesamt beauftragten Fliegerärzte Zugriff auf die Daten der sich vorstellenden Pilotinnen und Piloten. So soll verhindert werden, dass erkrankte Piloten immer wieder andere Ärzte konsultieren, um doch noch ein Tauglichkeitszeugnis zu erhalten.

    • Lufthansa verlangt zusätzliche Tauglichkeitszeugnisse
    Erkrankte Piloten brauchen nun bereits nach drei Wochen Arbeitsunfähigkeit zwingend ein neues Tauglichkeitszeugnis, auch wenn dies eigentlich nach Ablauf der Krankschreibung nicht notwendig wäre.

    • Verdachtsunabhängige Substanzkontrollen vor Flugantritt
    Die Crews werden stichprobenartig und verdachtsunabhängig auf Alkohol, Drogen und Medikamente (ADM) unmittelbar vor Flugeinsätzen kontrolliert.

    • Mehr Fragen nach psychischen Problemen
    Für die jährlichen flugmedizinischen Untersuchungen (Medical) hat die europäische Luftsicherheitsbehörde EASA zusätzliche Fragen zur psychischen Gesundheit verfügt.

    • Niedrigschwellige Hilfsangebote erweitert
    Die Airlines sind nach Europarecht verpflichtet, gefährdeten Piloten Anlaufstellen für Hilfe in einem geschützten Rahmen anzubieten.

    • Zwei-Personen-Regel wieder zurückgenommen
    Ziemlich schnell nach dem Absturz verfügte die europäische Luftsicherheitsagentur EASA, dass zu jedem Zeitpunkt eines Fluges zwei Personen im Cockpit sein müssen. In einer späteren Evaluation wurden aber dadurch zusätzliche Risiken festgestellt. Die Regel wurde im Einvernehmen zwischen dem Branchenverband BDL und dem Bundesverkehrsministerium wieder aufgehoben.

    Quelle: dpa

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