"Schule der Zukunft" in RLP: Chance oder Risiko?

    Bildung in Rheinland-Pfalz:"Schule der Zukunft": Chance oder Risiko?

    von Holger Müller
    |

    Aufbrechen klassischer Unterrichtsformen und -methoden wird als "Schule der Zukunft" immer beliebter. Das Projekt ruft aber auch Kritiker wie den Philologenverband auf den Plan.

    In einem Klassenzimmer stehen ein Schüler und eine Lehrkraft im Hintergrund an der Tafel, im Vordergrund steht ein Tablet auf dem Tisch.
    Das Konzept "Schule der Zukunft" soll das traditionalle Schulkonzept umkrempeln. Die Meinungen hierzu fallen unterschiedlich aus.
    Quelle: dpa

    Der Trierer Stadtteil West gilt als Problemviertel: Überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, soziale Spannungen und ein hoher Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Das hat auch Folgen für die Kurfürst-Balduin-Realschule plus, die mitten im Viertel liegt. Kinder und Jugendliche aus etwa 30 Nationen lernen hier an der "Kuba West", wie sie ihre Schule nennen.

    Abschied vom festen Lernkorsett

    Mit dem pädagogischen Prinzip der "Schule der Zukunft" - gewollt und gefördert vom Mainzer Bildungsministerium - fährt man sehr gut, ist der kommissarische Schulleiter Michael Marx überzeugt. Im dritten Jahr nach der Einführung könne man so die Anforderungen einer immer komplexer werdenden Welt deutlich besser bewältigen.
    Schülerinnen und Schüler einer vierten Klasse einer Grundschule nehmen am Unterricht teil, eine Schülerin meldet sich.
    Für den Bildungsweg von Kindern ist das Elternhaus oft mitentscheidend. Viele Kinder haben es schwer, sich an die Herausforderungen des Schulalltags anzupassen. 23.08.2024 | 1:39 min
    Aber wie sieht die "Schule der Zukunft" in Trier konkret aus? Besonders wichtig ist für Marx, dass es kein festes Lernkorsett mehr gibt. So können die Schüler morgens entscheiden, welches Fach sie am Tag belegen. Zum Beispiel haben sie die Möglichkeit, ein so genanntes Lernbüro Mathematik zu wählen, in dem die Lehrer individuell auf ihre Bedürfnisse eingehen.
    Der Vorteil liegt für den Schulleiter auf der Hand: Die Lehrkräfte könnten sich gerade mit den Schülern, die besondere Hilfe brauchen, beschäftigen. "Das kommt sehr gut an", ist Marx überzeugt.

    "Lehrergeleiteter Unterricht ist wichtig"

    Beim Philologenverband Rheinland-Pfalz hat man einen kritischeren Blick auf die "Schule der Zukunft". Vorsitzende Cornelia Schwartz sieht hier eine "Graswurzelbewegung, die die Unzufriedenen sammelt". Wo Marx "mehr Selbsterfahrung, mehr Selbstbewusstsein und mehr Eigenverantwortung" der Schüler als Gewinn betrachtet, sieht Schwartz eine Gefahr in der Vereinzelung und Auflösung der traditionellen Klassengemeinschaft.
    "Lehrergeleiteter Unterricht ist wichtig", so die Philologin und verweist auf entsprechende Erfahrungen aus skandinavischen Ländern wie Dänemark oder Finnland, wo Konzepte wie "Schule der Zukunft" gescheitert seien.
     Refiye Ellek (l.) und Antonia Lilly Schanze (r.) gehen der Frage auf den Grund "Wer wappnet unsere Kinder für die Zukunft?"
    Viele Kinder können nach dem Ende der Grundschule nicht richtig lesen, rechnen oder schreiben. Unser Schulsystem braucht dringend eine Verjüngungskur. Dann könnte Lernen wieder Spaß machen.07.12.2023 | 29:45 min

    "Massive Beunruhigung"

    In Rheinland-Pfalz sind mittlerweile 97 Schulen als "Schule der Zukunft" vom Bildungsministerium zertifiziert. Dabei gibt es jedoch beachtliche Unterschiede - auch was Noten und Leistungsprüfungen angeht, die manche Schulen abgeschafft haben. "Das wollen wir hier in Trier definitiv nicht", bekräftigt Marx und bekommt zumindest in dieser Frage Unterstützung von Schwartz.
    "Noten geben Sicherheit. Der Leistungsgedanken ist gesellschaftlich wichtig", betont sie. Die Tendenz, mit den Noten sogar das Klassenzimmer als Ort des gemeinsamen Lernens abzuschaffen, wäre fatal und führe beim rheinland-pfälzischen Philologenverband zu "massiver Beunruhigung"

    • 20 Grundschulen
    • 31 Realschulen plus
    • 19 Gymnasien
    • 7 Berufsbildende Schulen
    • 16 Integrierte Gesamtschulen
    • 4 Förderschulen

    Moderator Jo Schück steht mit seinen sechs Gästen auf dem 13-Fragen-Spielfeld.
    Wie erreichen wir endlich eine Chancengleichheit in der Bildung?04.09.2024 | 34:07 min

    Risiko "Rundum-Digitalisierung"

    "Schulen können nicht mehr so stattfinden wie vor 30 Jahren", glaubt aber der Schulleiter der Kurfürst-Balduin-Realschule plus. Heutzutage sei der Lehrer eher Coach in einer digitalen Umgebung. Für Schwarz liegt aber genau hier ein weiteres Problem.
    Die "Rundum-Digitalisierung" führe zu einer einseitigen Fokussierung auf kleine Tablets, was wiederum zu Augenproblemen der Kinder und Jugendlichen führt. Ob die "Schule der Zukunft", wie sie sich die Mainzer Bildungspolitik vorstellt, wirklich zukunftsfähig ist, wird sich also noch zeigen müssen.

    Ifo-Bildungsbarometer
    :Deutsche geben Schulen die Note drei

    Zu wenig Förderung von Kindern und zu wenige Lehrer: Die Deutschen stellen ihren allgemeinbildenden Schulen ein mittelmäßiges Zeugnis aus. Viele wünschen sich, dass angepackt wird.
    Typical: Quereinsteiger an Schulen
    mit Video

    Eine Person hält ein Smartphone in der Hand. Darauf ist der WhatsApp-Channel der ZDFheute zu sehen.
    Quelle: ZDF

    Sie wollen stets auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie bei unserem ZDFheute-WhatsApp-Channel genau richtig. Egal ob morgens zum Kaffee, mittags zum Lunch oder zum Feierabend - erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Mini-Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Melden Sie sich hier ganz einfach für unseren WhatsApp-Channel an: ZDFheute-WhatsApp-Channel.

    Mehr zum Thema Schule