Mental Health am Arbeitsplatz:Grenzen im Job: Warum Nein sagen wichtig ist
von Julia Güth
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Grenzen setzen für mehr Wohlbefinden am Arbeitsplatz: Wieso es vielen so schwer fällt, aber doch so wichtig ist. Tipps von Wirtschaftsmediatorin und Coach Kirstin Nickelsen.
Schon Kleinigkeiten können etwas bewirken: "Streichen Sie eigentlich aus Ihrem Wortschatz, schon bekommen Sie ein gutes Gefühl, was Ihnen wirklich wichtig ist", rät Coach Kirstin Nickelsen.
Quelle: Colourbox.de
Schnelle Prozesse, mobiles Arbeiten und immer mehr Aufgaben für einzelne Arbeitnehmende. Jeder Zweite plagt sich mit Burnout-Sorgen, das Stresslevel steigt stetig. Eine aktuelle Arbeitgeber-Studie von Techniker Krankenkasse, dem Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) und dem Personalmagazin Haufe zeigt:
38,5 Prozent der befragten Geschäftsführenden, Gesundheitsverantwortlichen und Personalerinnen und Personaler geben an, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz wie Burnout, Überforderung und Depressionen bereits jetzt eine eher große bzw. große Bedeutung in ihren Unternehmen haben.
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Arbeitgeber-Studie
Durchschnittlich seien Krankheitstage je Erwerbsperson aufgrund psychischer Belastungen in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen. So waren es bei TK-versicherten Erwerbspersonen 2012 im Durchschnitt noch 2,46 Fehltage aufgrund einer psychischen Diagnose. 2022 waren es bereits durchschnittlich 3,33 Fehltage. Ein Anstieg von gut 35 Prozent.
Quelle: dpa
Im Jahr 2015 gaben 40 Prozent der Erwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren an, einer hohen Arbeitsintensität ausgesetzt zu sein.
Männer waren dabei mit 44 Prozent etwas stärker betroffen als Frauen (36 Prozent).
Insgesamt ist die Belastung durch Termindruck etwas höher als durch Arbeitstempo.
Während 31 Prozent der Erwerbstätigen über ein sehr hohes Arbeitstempo berichteten, betrug der Anteil der Erwerbstätigen mit starkem Zeitdruck 33 Prozent.
Diese Tendenz zeigt sich auch bei getrennter Betrachtung der Geschlechter. "Die Ergebnisse zeigen, dass sehr hohes Arbeitstempo und Termindruck häufig gemeinsam auftreten."
Quelle: Statistisches Bundesamt, Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen (EWCS)
Nicht selten fühlen sich Arbeitnehmer ausgelaugt und überfordert. Das Setzen von Grenzen am Arbeitsplatz ist daher unverzichtbar. Umso wichtiger ist es, einen Weg zu finden, sich vor Überlastungen zu schützen.
Grenzen setzen: Eine Wirtschaftsmediatorin gibt Tipps
Warum klare Grenzen notwendig sind, welche Methoden es gibt, und wie Sie auch in schwierigen Situationen souverän bleiben, ganz ohne Schuldgefühle oder schlechtes Gewissen, verrät Wirtschaftsmediatorin Kirstin Nickelsen:
"Grenzen zu setzen, heißt nicht zwangsläufig aus- oder abgrenzen. Es heißt besonders: schützen und bewahren. Die eigenen Werte, Bedürfnisse und Wünsche mindestens genauso wichtig zu nehmen wie die anderer Menschen. Grenzen setzen und 'Nein' sagen heißt also auch zu wissen, was mir wichtig ist, was mich zu viel Energie kostet und wie ich meine Zeit verbringen möchte."
"Die meisten Menschen erkennen ihre Grenzen erst, wenn sie überschritten wurden. Es ist sinnvoll, sich aktiv mit ihnen auseinanderzusetzen, nicht erst bei Überlastung. Wir werden selten dazu erzogen, für uns selbst einzustehen, schon früh bekommen wir beigebracht, wann wir wie zu funktionieren haben und was von uns erwartet wird und richten uns danach."
"Viele Menschen werden sich ihrer Grenzen bewusst, wenn die eigenen Batterien schon sehr leer sind. Ihnen wird klar, wo sie Zeit investiert haben, ohne dies wirklich zu wollen, und sie erkennen, dass sie zu viele Aufgaben und Verpflichtungen auf ihren Schultern tragen. Ein guter Hinweis kann auch das Wort 'eigentlich' sein. 'Eigentlich möchte ich dieses Wochenende alleine sein…' - heißt nichts anderes, als 'Nein' zum Kaffeetrinken mit der Verwandtschaft zu sagen. Streichen Sie eigentlich aus Ihrem Wortschatz, schon bekommen Sie ein gutes Gefühl, was Ihnen wirklich wichtig ist."
"Indem Sie sich klar machen, in welche 'Ja-Fallen' Sie tappen. Das können unterschiedliche Aussagen sein, z.B. das 'Du machst das immer so perfekt!' der Kollegin oder das theoretische Lob des Vorgesetzten: 'Sie wissen ja, ohne Sie bin ich aufgeschmissen.' Machen Sie sich klar, dass das der, meist erfolgreiche, Versuch ist, Sie für Aufgaben einzuspannen.
"Das Arbeitsverhältnis ist bereits beeinträchtigt, wenn ein Kollege oder eine Kollegin Grenzen ständig überschreitet. Geben Sie der Person und sich selbst also die Chance, die Beziehung wieder zu verbessern und erklären, was Sie nicht mögen, welche Bedürfnisse oder Wünsche nicht erfüllt werden und bitten darum, etwas zu unterlassen oder suchen gemeinsam nach einer Veränderung. Bleiben Sie klar und ruhig, rechtfertigen sich nicht und gehen nicht unnötig in den Kampf-Modus. Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie Grenzen überschreiten.
Bei subtilen Überschreitungen ist es ähnlich. Machen Sie Ihrem Gegenüber klar und bestimmt deutlich, was Sie nicht möchten. Wenn Sie allein unsicher sind, bitten Sie einen Kollegen oder eine Kollegin oder eine vertraute Person um Unterstützung. Und vergessen Sie nicht: Es gibt keine falschen oder richtigen Grenzen. Das, was Sie nicht möchten, ist absolut richtig für Sie. Ihr Gegenüber muss das nicht verstehen, aber akzeptieren. Und die meisten Menschen freuen sich, wenn sie auf ihr Verhalten aufmerksam gemacht werden."
Grenzüberschreitungen mit schwerwiegenden Folgen
Schwerwiegende Belastungen treten oft auch in Grenzüberschreitungen durch Kolleg*innen und oder Vorgesetzte auf.
Körperliche Gewalt,
sexuelle Belästigung und
Mobbing
führen zu Stress und psychischen Belastungen. Die Betroffenen leiden nicht nur individuell, sondern auch in ihrer Leistungsfähigkeit und dem Selbstwertgefühl. Diese Formen von Belästigung können schwerwiegende Folgen haben.
Wie sich Grenzen auf unser Selbstvertrauen auswirken
"Wir benötigen Selbstvertrauen, um Grenzen zu setzen. Wir müssen verstehen, dass unsere Gefühle richtig sind, dass wir sie ernst nehmen und dass wir uns um uns selbst kümmern, wenn es uns nicht gut geht", sagt Wirtschaftsmediatorin Kirstin Nickelsen.
Das möge banal klingen, aber:
Wenn Sie sich selbst sehr viel weniger hinterfragen und wahrnehmen, wann Ihnen etwas nicht guttut, haben Sie schon einen großen Schritt gemacht.
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Kirstin Nickelsen, Wirtschaftsmediatorin
Der zweite Schritt sei, all das zu kommunizieren, damit das Gegenüber eine Chance bekomme, sein Verhalten zu verändern.
Klein anfangen
auf Vorgesetzte verweisen, dessen Aufgaben derzeit Priorität haben
auf andere, mit ähnlicher Expertise verweisen und auch neuen und/oder jungen Kolleg*innen Chancen anbieten
erklären, warum derzeit keine Kapazitäten bestehen
klare, selbstbewusste Körpersprache, feste Stimme und Augenkontakt
wichtig ist, dass Sie auf Ihre Bedürfnisse achten und diese offen und klar kommunizieren.
Grenzen in Alltagssituationen setzen
Wir verbringen viel Zeit am Arbeitsplatz und geraten dabei oft in Situationen, die das Setzen von Grenzen und Prioritäten erfordern. Das deutliche Ablehnen von Anfragen ist unerlässlich, jedoch oft schwierig.
Psychologin und Bestsellerautorin Stefanie Stahl im Gespräch bei "Volle Kanne" darüber, wie wichtig es ist, auf seine Psyche zu achten.03.04.2023 | 35:30 min
Häufig steht die Angst vor der Konsequenz eines Neins im Vordergrund. Wir können uns schuldig fühlen oder die Angst vor Ablehnung kann aktiviert werden, was schnell zu Problemen führen kann. Wie also Grenzen setzen, ohne das Arbeitsverhältnis zu beeinträchtigen?
Diese Fragen können helfen zu entscheiden, ob man Anfragen annimmt:
Wer hat die Anfrage gestellt?
Worum handelt es sich und kann das überhaupt von mir geleistet werden?
Habe ich derzeit Kapazitäten, mich dieser Anfrage zu widmen? Psychische und physische Erschöpfung spielen dabei genauso eine Rolle wie zeitliche Möglichkeiten.
Entspricht die Anfrage meinen Werten und Zielen?
Hilft auf lange Sicht eine Zu- oder Absage eher weiter?
Ist dem Unternehmen geholfen, wenn ich diesen Auftrag übernehme oder kann sich das eher negativ auf die Leistung anderer im Büro auswirken?
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