Interview
Raumfahrer bildet Nachwuchs aus:Gerst: "Großartige Zeit, Astronaut zu sein"
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Alexander Gerst ist Astronaut - und bildet junge Kollegen aus. Worauf es ihm dabei ankommt und welche Hoffnungen er für die europäische Raumfahrt hat, verrät er im Interview.
Alexander Gerst (Mitte) leitete die Gruppe angehender Astronauten.
Quelle: epa
Der deutsche Astronaut Alexander Gerst war bereits zwei Mal auf der Internationalen Raumstation ISS. Zurück auf der Erde war er 2022 an der Auswahl einer neuen Gruppe von europäischen Astronauten beteiligt, die im vergangenen Jahr ihr Basistraining am Europäischen Astronautenzentrum in Köln aufnahmen und am heutigen Montag ihre Zertifizierungen erhielten.
Gerst leitete die Astronautengruppe und spricht im Interview mit ZDFheute über seine neue Rolle, seine Wünsche für die europäische Raumfahrt und die Rolle, die sein Großvater für seinen Berufswunsch spielte.
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ZDFheute: Sie haben die neue Astronautengruppe geleitet. Sind Sie stolz darauf?
Alexander Gerst: Ja. Es ist ein großes Privileg. Nachdem ich von meiner letzten Mission zurückkam, wurde ich gefragt: Was machst du denn jetzt? Ich wusste, ich bin weiterhin Astronaut, auch aktiv im Training, aber ich wollte etwas machen, was nur mit meiner Erfahrung geht. Heute mache ich genau das.
ZDFheute: Was ist Ihnen dabei wichtig?
Gerst: Wir haben diese Gruppe aus 22.500 Menschen ausgesucht. Dass sie ihre Sache können, war klar. Worüber ich mir Gedanken gemacht habe ist, wie die als Gruppe zusammenfinden. Ich habe versucht, ein Klima der Freundschaft herzustellen. Dass sie sich nicht als Konkurrenten sehen.
ZDFheute: Was passiert in der Ausbildung?
Gerst: Es geht darum, dass man unter Stress trotzdem gut arbeiten kann, auch wenn es unbequem ist. Wir haben Rettungsübungen gemacht, wo wir zusammen ins Eiswasser gesprungen sind, um jemanden zu retten. Da mussten wir alle zusammenarbeiten. Ich war mittendrin. Da hat man auch gesehen: Es ist wirklich ein tolles Team geworden.
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ZDFheute: Wie sieht die Zukunft der Internationalen Raumstation aus?
Gerst: Wir wollen die ISS bis zum Jahr 2030 weiter betreiben. Das ist wichtig, weil wir jetzt die Zeit des "Return of Investment" haben. Wir haben viele Astronautinnen und Astronauten an Bord, die Hunderte Experimente pro Expedition durchführen. Das ist wichtig für Europa, auch für Deutschland, da muss man auch weiter investieren.
ZDFheute: Hinkt Europa in der Raumfahrt hinterher?
Gerst: Ja. Europa war in den letzten Jahrzehnten immer vorne dabei. Aber um im Club der großen Raumfahrtnationen zu bleiben, müssen wir mehr tun. Wir brauchen ein Vehikel, das Fracht in den Weltraum und wieder zurückbringen kann.
Ariane 6 füllt Lücken in unserer Kapazität, Fracht in den Weltraum zu bringen, aber wir müssen weiter denken. Wir müssen auch Menschen ins All und zurück bringen können. Das kann Ariane 6 nicht, da müssen wir an Nachfolgerinnen denken und dürfen nicht aufhören.
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ZDFheute: Ist Europa konkurrenzfähig?
Gerst: Um uns herum beschleunigen alle Weltraumagenturen ihre Investments. Wir haben bald vier Nationen, die Menschen in den Weltraum und zurückbringen können: Indien, China, Russland und USA. Und das heißt, wir als Europäer müssen uns aussuchen, ob wir damit bei dem Club dabei bleiben oder ob wir in Zukunft außen vor sind. Diese Entscheidung steht jetzt an, sonst ist es zu spät.
ZDFheute: Wie ist es, heute Astronaut zu sein?
Gerst: Es ist eine großartige Zeit, Astronaut zu sein, weil wir jetzt das Artemis Programm haben, wo Nationen zusammenkommen, um zum Mond zu fliegen. Es geht nicht mehr darum, dass man irgendwo eine Flagge aufstellt, sondern dass wir als Wissenschaftler*innen nachhaltig dorthin reisen.
Es gibt diesen achten Kontinent. Er ist nur ein paar Tage Reisezeit weg, wir wissen noch gar nichts über ihn. Meine Astronautenklasse ist ja auch noch da für solche komplexeren Flüge. Wir haben schon Erfahrung auf der Raumstation gesammelt, mit der Erfahrung kann man dann auch auf Flüge in Richtung Mond weiterreisen, wo die Missionen komplex sind und auch ein bisschen riskanter.
ZDFheute: Woher kam bei Ihnen diese große Raumfahrtbegeisterung?
Gerst: Mein Großvater hatte eine Riesenantenne auf dem Dach, er hat es geschafft, diese Antenne auf den Mond auszurichten. Ich konnte das Rauschen hören, ich wusste, das Rauschen kommt vom Mond. Irgendwann hat er es geschafft, das besser auszurichten. Ich habe in ein Gerät reingesprochen und 2,5 Sekunden später habe ich meine Stimme wieder gehört. Mein Opa hat gesagt: Deine Stimme war jetzt auf dem Mond - das hat was in mir ausgelöst.
Das Interview führte Susanne Freitag-Carteron.
Quelle: ZDF, ESA
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