Gay-Community in USA: "Affenpocken können jeden treffen"
Gay-Community in den USA:"Affenpocken können jeden treffen"
von Alexandra Hawlin
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Die USA sind zu einem Hotspot geworden. Besonders betroffen ist derzeit die Gay-Community. Wie sie mit der Angst vor dem Virus umgeht und gegen Diskriminierung kämpft.
Es ist ein Virus, das schon seit Jahrzehnten auf dem afrikanischen Kontinent auftritt. Dort wird es von Tieren auf Menschen und von Mensch zu Mensch übertragen, wann immer enger, intimer Hautkontakt besteht, wie es zum Beispiel zwischen Müttern und Kindern der Fall ist.
Nun haben sich die Affenpocken den Weg nach Nordamerika und Europa gebahnt und verbreiten sich aktuell besonders unter Männern, die Sex mit Männern haben. Als die ersten Fälle von Affenpocken im Mai in den USA kursieren, fühlen sich viele Betroffene nicht ernst genommen. Das Gesundheitssystem ist überfordert, der Impfstoff weltweit knapp.
Wie groß ist die Angst vor dem Virus und die Sorge vor Diskriminierung und Stigmatisierung in der Gay-Community? Stimmen aus San Francisco und New York City, den Hotspots für Affenpocken in den USA:
Julian Callis: "Amerika liebt es, einer Krankheit ein Gesicht zu geben"
Julian aus Harlem in New York City hat fünf Wochen lang auf seine Impfung gewartet. Dass Blacks und People of Color derzeit besonders von Affenpocken betroffen sind, liege nicht an der Impfbereitschaft oder daran, dass sie weniger vorsichtig seien, sagt er.
Julian Callis aus Harlem stellt fest, dass für Schwarze der Zugang zu Impfungen besonders schwierig ist.
Quelle: ZDF
"Weiße Männer sind einfach besser vernetzt. Es geht nicht um die Hautfarbe, es ist eine Frage des Zugangs und des Privilegs und ob man in Gebieten wohnt, wo es Impfangebote gibt. Amerika liebt es, allem ein Gesicht zu geben, das haben wir schon bei Covid gesehen. Damals waren es Chinesen, Asiaten, aber glauben Sie mir, es wird jeden treffen, wir müssen nur vorsichtig sein und wissen, welche Maßnahmen wir ergreifen müssen, bevor wir es alle bekommen."
Affenpocken sind eine Viruserkrankung, die vermutlich vor allem von Nagetieren auf den Menschen übertragen wurde. Übertragungen von Mensch zu Mensch sind vor allem bei engem Hautkontakt möglich. Affenpocken werden ausgelöst durch das Affenpockenvirus Orthopoxvirus simiae aus der Gattung Orthopoxvirus. Das Virus ist verwandt mit den Pockenviren und den ebenfalls als Zoonose bekannten Kuhpockenviren. Eine Affenpockenerkrankung verläuft bei den meisten Menschen mild und heilt in der Regel von alleine ab. Es können aber auch schwere Verläufe auftreten (insbesondere bei Kindern oder Personen mit geschwächtem Immunsystem).
Quelle: RKI
Henry Philyaw, 42: "Ich sollte nicht für eine Impfung durch die Hölle gehen müssen"
Henry arbeitet als Barkeeper und Freelance Writer. In seiner Freizeit hat er angefangen, sich in einem informellen Netzwerk zu engagieren und vermittelt über Social Media Impftermine in der Schwarzen queeren Community. Denn auch er hat nur über einen Kontakt einen Impftermin bekommen.
Henry Philyaw engagiert sich in der Schwarzen queeren Community und vermittelt Impftermine.
Quelle: ZDF
"Ich sollte nicht um eine Impfung betteln und dafür durch die Hölle gehen müssen. Ich verstehe, dass die Nachfrage hoch ist, aber es geht um den Zugang. Ich habe es mit einem geschwächten Immunsystem zu tun, mein HIV ist unter der Nachweisgrenze und unter Kontrolle, aber ich habe keine Zeit für dieses Virus. Ich müsste mehrere Wochen in Quarantäne verbringen und ich habe dann kein Einkommen. Ich kann meinen Job nicht von zu Hause aus machen, kann keine Drinks am Schreibtisch mischen und dafür Trinkgeld bekommen."
Jack Hebb, 23: "Die Regierung ist einfach hinter dem Steuer eingeschlafen"
Jack aus San Francisco ist froh in der "wohl schwulsten Stadt in den Vereinigten Staaten" zu leben, wie er sie nennt und dort nicht allzu viel Diskriminierung zu erleben. Aber die Politik habe zu spät gehandelt, sagt der 23-Jährige, der gerade von seiner Impfung kommt.
Jack Hebb bekommt vorerst keine zweite Impfdosis, da der Impfstoff knapp ist und San Francisco die erste Dosis priorisiert.
Quelle: ZDF
"Ähnlich wie in den 1980er Jahren mit HIV hat sich die Regierung viel zu lange nicht darum gekümmert. Es gibt ein Virus, das unsere Community unverhältnismäßig stark betrifft und die Regierung ist einfach hinter dem Steuer eingeschlafen. Zum Glück wird jetzt auf Bundesebene endlich etwas getan und das zeigt sich daran, dass ich heute für die Impfung nur 20 Minuten in der Schlange gewartet habe. Aber die Gesundheitsversorgung in diesem Land hat noch einen langen Weg vor sich."
Nick Large, 32: "Das Virus beeinflusst, wie du Spaß haben kannst"
Auch Jacks Mitbewohner Nick Large ist nun geimpft - zumindest einmal. Aus Angst vor der Erkrankung hat er sein Sozialleben in den vergangenen Wochen extrem eingeschränkt. Er geht nicht mehr auf Partys und ist beim Dating extrem vorsichtig.
Nick Large hat aus Angst vor einer Erkrankung sein Sozialleben stark eingeschränkt.
Quelle: ZDF
"Jetzt fragen dich Leute vor einem Date, ob du gegen Affenpocken geimpft bist oder ob du Symptome hast. So beeinflusst dieses Virus gerade, wie du Spaß haben kannst in dieser Welt. Die ersten Fälle wurden kurz vor vielen Pride-Events bekannt und viele haben dann nicht daran teilgenommen, manches wurde abgesagt oder eingeschränkt und natürlich nervt das, gerade nach Corona.
Auf der Dating-App Grindr geben viele an, dass sie gegen Corona und Affenpocken geimpft sind, andere veröffentlichen Informationen oder sogar freie Impftermine in ihren Profilen. Viele sind einfach sehr vorsichtig und sagen: 'Gut, dann habe ich lieber überhaupt keinen Sex mehr.'"
Jason: "Es kann jeden treffen"
Die Freunde Jason und Mikeaus Boston verbringen das Wochenende in New York City. Jason sorgt sich aktuell nicht so sehr darum, dass die queere Community diskriminiert wird, sondern dass das Virus als "Gay-Krankheit" abgestempelt werde.
Jason (links) und Mike machen wegen der Affenpocken vorerst keine Partys.
Quelle: ZDF
"Mike ist gerade extrem vorsichtig, weil er eben den vollen Impfschutz noch nicht hat. Er wird heute Abend keine Jungs küssen. Was mir Sorgen bereitet sind die Menschen, außerhalb der schwulen Community, die die Viruserkrankung zu wenig ernst nehmen. Weil die Sache ist, es kann jeden treffen. Mach ich mir Sorgen um Diskriminierung? Nein, nicht wirklich, aber ich finde, das ist eine Krankheit, die jeder wirklich ernst nehmen sollte."
Quelle: ZDF
Dr. Peter Hotez vom Baylor College of Medicine ist ein amerikanischer Wissenschaftler, Kinderarzt und Experte für Impfstoffentwicklung und Virologie.
Nach jetzigem Stand gibt es bei den Affenpocken nicht viele asymptomatische Personen. Im Vergleich dazu wiesen bei Covid-19 etwa die Hälfte der Infizierten überhaupt keine Symptome auf. Das machte die Kontaktnachverfolgung sehr schwierig. Die meisten Menschen, die an Affenpocken erkranken, haben sichtbare Anzeichen. Das macht die Ermittlung von Kontaktpersonen einfacher.
Das Virus ist keine sexuell übertragbare Krankheit, sondern verbreitet sich durch engen, intimen Hautkontakt. Die Aerosol-Übertragung ist nicht so umfangreich wie bei Corona. Aus all diesen Gründen ist es also höchst unwahrscheinlich, dass wir eine Pandemie gleichen Ausmaßes erleben wie bei Corona. Dennoch ist es immer noch eine ernstzunehmende Erkrankung. Was uns Sorgen macht, ist, dass die Fälle weiter ansteigen werden, wenn wir sie nicht durch Impfung aufhalten können.
Da der Impfstoff knapp ist, ist die Empfehlung derzeit, den Impfstoff in die Haut statt unter die Haut zu verabreichen - das nennt man intradermale Immunisierung. Bei dieser Methode kann man fünfmal weniger Impfstoff als bei der subkutanen Immunisierung verwenden. In einer Studie erwies sich diese Methode als ebenso wirksam. Das Problem ist, dass es sich um eine Studie mit 500 Personen handelt. Idealerweise würde man das bei Tausenden von Menschen reproduzieren, nicht nur, um die Wirksamkeit zu erforschen, sondern auch die Sicherheit und mögliche Nebenwirkungen.
Das Virus hätte in jede beliebige Ausgangspopulation gelangen können, hat sich aber zufälligerweise zunächst in dem Netzwerk von Männern ausgebreitet, die enge intime Beziehungen mit mehreren Partnern haben. Die überwiegende Mehrheit der registrierten Fälle in den USA entfallen derzeit auf Männer, die Sex mit Männern haben, aber es gibt keinen Grund, warum sich das Virus nicht auch auf andere Bevölkerungsgruppen ausbreiten könnte, wann immer es Arten von Haut- oder Mundkontakt gibt, wie etwa bei Kindern.
Wir müssen damit rechnen, dass die Krankheit auf die Allgemeinbevölkerung übergreift, es sei denn, wir finden heraus, wie wir sie schnell eindämmen können. Mittlerweile wird das Virus in den USA auch im Abwasser nachgewiesen. Das bedeutet, dass sich das Virus in der Umwelt ausbreitet. Die Sorge ist, dass es auch in die Tierpopulation eindringt, wie es auf dem afrikanischen Kontinent bereits passiert. Wenn es auch Übertragungen zwischen Tieren und von Tieren auf Menschen gibt, besteht die Gefahr, dass sich Affenpocken in Europa und der westlichen Hemisphäre fest etablieren. Das ist für mich ein wichtiger Grund, sich dafür einzusetzen, dass so viele Menschen wie möglich geimpft werden.