GERMANIA Spezial zum Krieg in der Ukraine – Teil eins
Sie leben in ständiger Angst um Verwandte und Freunde. Für viele von ihnen war der Kriegsbeginn ein Schock, der völlig überraschend kam. Wie für die Musikerin Madeline Juno: "Dass es sich dann so nah angefühlt hat! Das war für mich auf jeden Fall das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, […] die Zeit des Friedens in Europa ist jetzt vorbei. Das hat schon viel mit mir gemacht." Die Fotografin Yekaterina Andruychshenko ist aus Odessa nach Berlin geflüchtet: "Ich habe vom Krieg aus einer SMS meiner Schwester erfahren. Ich habe ihr erst nicht geglaubt. Ich habe nie geglaubt, dass das passieren kann. Eine Woche später wurde mir klar: ich muss weg."
"Wir haben in den Apps geschaut: Ok, da kommt die Armee immer näher an Mariupol, an die Heimatstadt meiner Freundin", erzählt der in Kasachstan geborene Russland-deutsche Journalist Artur Weigandt. Der Regisseur und Aktivist Anton Dorokh ist schon vor sieben Jahren aus dem Donbass nach Berlin geflohen. Seitdem kämpft er um Heimatgefühl und Identität: "Einerseits würde ich gerne in die Ukraine zurückkehren. Andererseits möchte ich nicht das verlieren, was ich mir hier sehr mühsam aufgebaut habe. [..] Das macht mich sehr traurig, dass ich diese Entscheidung treffen muss", sagt er.
Die ukrainische Schauspielerin Diana Kiprach eröffnete vor zehn Jahren eine ukrainische Bar in Berlin, die gerade in diesen schweren Tagen Treffpunkt und Zufluchtsort ist. "Dass ich die Ukraine verlassen habe, das war der Ausdruck meiner Freiheit als Europäerin. Aber ich verheimliche nie meine ukrainische Identität."
Zwischen Angst und Hoffnung, Heimat und Zerrissenheit
Im ersten Teil des Spezials zum Krieg in der Ukraine spricht GERMANIA mit sechs Protagonist*innen, die einen persönlichen Bezug zur Ukraine, zu Russland oder postsowjetischen Ländern haben. Sie berichten von ihren Hoffnungen und Ängsten, davon wie sie die Situation bewältigen und wie wichtig Solidarität und Zusammenhalt ist, in Zeiten wie diesen.
"Ich arbeite an mir, weil ich weiß, ich werde zum schlechteren Menschen, wenn ich sage: 'Du kommst aus Russland, du bist mein Feind.' Aber bis die Wunden heilen, das braucht seine Zeit", sagt Diana Kiprach. Madeline Juno fügt hinzu: "Das ist Schmerz und sicherlich Wut. [...] Ich hoffe, dass die Menschen wieder zueinander finden können. Dass man einander vergeben kann." Was bleibt, ist die Chance auf Veränderung, oder in den Worten von Anton Dorokh: "Meine Heimat ist die neue Ukraine, die wir nach dem Sieg wieder aufbauen werden. Dann werde ich ohne Zweifel, ohne innere Konflikte sagen können: Das ist meine Heimat. Und ich habe sie selbst mit aufgebaut." Ihr Leben hat sich durch den Krieg radikal verändert. Davon zu erzählen, miteinander im Gespräch zu bleiben, einander zuzuhören, statt der Propaganda der Feindbilder zu verfallen, das ist jetzt das Wichtigste. Da sind sich alle sechs einig.