Die meisten Christen werden es nicht wissen: Auch im Koran wird von der Kreuzigung Jesu berichtet. "...während sie ihn doch weder erschlugen noch den Kreuzestod erleiden ließen. Sie haben keine Kenntnis davon, sondern folgen bloß einer Vermutung." (Sure 4,157) Nach islamischer Überzeugung ist Jesus nicht am Kreuz gestorben. Es "schien ihnen nur so", so sagt der Koran, eine Kreuzigung zu sein, doch in Wirklichkeit sei niemand gekreuzigt worden, stattdessen habe Gott Jesu zu sich geholt. "Forum am Freitag"-Moderator Abdul-Ahmad Rashid befragt dazu die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi.
Es gab also nach der Aussage des Korans, wie sie von der überwältigenden Mehrheit der islamischen Kommentatoren interpretiert wird, keine Kreuzigung und keinen Tod am Kreuz, sondern eine Himmelfahrt Jesu. Ob er jedoch vor der Erhebung in den Himmel gestorben sei, darüber sind sich die Muslime nicht einig. Einige Kommentatoren meinen, er sei nach der Errettung aus den Händen seiner Feinde gestorben, kurz danach wieder von den Toten erweckt und in den Himmel erhoben worden. Andere verlegen den Tod Jesu in die Endzeit. Andere Kommentatoren wiederum behaupten, es sei nicht Jesus, sondern ein "Ersatzmann" gekreuzigt worden. Wie Jesus gestorben ist, bleibt im Koran offen. Doch wenn der Koran den Tod Jesu am Kreuz verneint, so will er damit sagen, dass zwar sein Leib getötet worden ist, nicht aber sein Geist und seine Botschaft.
Kein Sohn Gottes
"Er sagte: Ich bin der Diener Gottes. Er hat mir die Schrift gegeben und mich zu einem Propheten gemacht." (Sure 19:30) Der Koran äußert sich an vielen Stellen über Jesus Christus, sein Leben und Wirken und stellt ihn mit den großen Propheten der Religionsgeschichte in eine Reihe. Mehr noch als ein einfacher Prophet ist Jesus als Religionsstifter von Gott gesandt. Der Koran zählt Jesus zu den großen Gesandten Gottes, verneint aber seine Gottessohnschaft. Nach dem Koran ist Jesus neben Noah, Abraham, Mose und Mohammad eine der größten Persönlichkeiten der Prophetengeschichte. Gott hat ihn auserwählt, um ihn zum Propheten zu machen. "Und gedenke der Zeit als Wir den Propheten ihr Gelübde abnahmen ebenso wie von dir und von Noah und Abraham und Moses und Isa, dem Sohn der Maria, und Wir nahmen ihnen ein feierliches Gelübde ab." (Sure 33)
Jesus gilt im Koran als echter Nachkomme Ibrahims (Abrahams) und zugleich als sündenloser Mensch mit außergewöhnlichem Charakter und besonderen Fähigkeiten. Mit der Jungfräulichkeit Marias wird auch seine göttliche Herkunft anerkannt (Sure 3, 45-48). Muslime glauben zwar an die jungfräuliche Empfängnis Marias und die Geburt Jesu durch einen Akt von Gottes Geist, aber nicht daran, dass Jesus Gottes Sohn sei. Für Muslime stellt die christliche Vorstellung von der Trinität Gottes als Vater, Sohn und Heiligem Geist eine Art von Polytheismus dar, die der Islam als monotheistische Weltreligion ablehnt. Daher sieht der Koran Jesus nicht als Sohn Gottes (Sure 9, 30; 19, 36). Nach islamischer Überzeugung war Jesus nur einer in der langen Reihe rechtgeleiteter Propheten - allerdings steht er als Prophet des Islam in seiner Bedeutung hinter Mohammad. Jesus vollbrachte auch Wunder. Als einzige Gestalt des Koran habe er Vögel aus Lehm gemacht, Aussätzige geheilt, sei auf dem Meer gewandelt und habe Tote auferweckt.
Keine Erbsünde
Weil Muslime nicht an die christliche Lehre von der Erbsünde glauben, besteht auch keine theologische Notwendigkeit für das stellvertretende Opfer Jesu Christi am Kreuz zur Erlösung aller Sünder und somit für die Kreuzigung Jesu und seine Auferstehung. Muslime glauben, dass jedes einzelne Individuum sich vor Gott für seine Taten verantworten muss. Die Vorstellung einer Schuldübernahme ist hier theologisch ausgeschlossen: Jeder Gläubige muss sich am Ende selbst vor Gott verantworten, somit ist auch jeder für sein eigenes Heil verantwortlich.
Während Muslime den gerechten Lebenswandel und die Verantwortung vor Gott als gemeinsame Lehre Abrahams, Jesu und Mohammeds betonen, wird der Gedanke an Jesu Selbsthingabe für die Menschheit, an die darin begründete Vergebung, Barmherzigkeit und Gnade Gottes kaum erwogen.
Messias und Mystiker
Jesus besondere Stellung im Islam wird auch dadurch deutlich, dass er sogar "Mahdi" (Messias) genannt wird (Sure 5, 76.79). Er wird am Ende der Zeit, so die Islamische Tradition, als Messias wiederkommen. Seine Wiederkunft leitet die Endzeit ein und kündigt das Endgericht an. Islamische Theologen wie die iranische Theologin Hamideh Mohagheghi sehen darin sogar einen Vergleich mit dem im Zwölfer-schiitischen Islam verehrten letzten und zwölften Imam Mahdi. Dieser nach Zwölfer-schiitischer Tradition verborgene Imam wird eines Tages als Messias auf die Erde zurückkehren.
Im Koran erhielt nur Isa (Jesus von Nazareth) den Titel Mahdi oder Messias. Auch in der islamischen Mystik spielt Jesus eine Rolle, indem er nämlich als "Weisheitslehrer" und Vorbild für Armut und Askese dient. Den Sufis gilt Jesus als der Prophet der Liebe, der die Menschen zur Gottesliebe führt. Manche islamische Reformtheologen sehen in ihm auch einen Sozialreformer, der ähnlich wie Mohammed gerechte Verhältnisse gelehrt und Armenfürsorge begründet habe.
Maria im Koran
Die einzige biblische Frau, die im Koran namentlich erwähnt wird, ist Maria (Maryam), die Mutter Jesu. Sure 19 ist nach Maria benannt. Sie empfing ihren Sohn durch einen göttlichen Schöpfungsakt oder durch das Einhauchen des Geistes. Gegen die Vorwürfe, sie habe einen unehelichen Sohn zur Welt gebracht, nimmt sie sowohl Jesu öffentlich in Schutz, indem er auf seine göttliche Sendung hinweist als auch der Koran, der Maria ausdrücklich gegen eine "gewaltige Verleumdung" verteidigt und Maria als die, "die sich keusch hielt", bezeichnet.
Damit unterstreicht der Koran die jungfräuliche Geburt Jesu. Nach dem Glauben vieler Muslime ist auch Maria in den Himmel aufgefahren. Sie gilt allgemein als eine der vier hervorragendsten Frauen der Menschheitsgeschichte neben den Frauen des Propheten Mohammed, Chadidscha und Aisha und der Prophetentochter Fatima.