Bei einem Auftritt vor seinen Landsleuten in Berlin hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan um Stimmen bei der kommenden Präsidentschaftswahl geworben. Seine Rede am Dienstagabend wurde immer wieder durch Sprechchöre seiner Anhänger unterbrochen. Draußen protestierten Gegner Erdogans: Sie sehen Korruption, eine schleichende Islamisierung der Gesellschaft, den Umgang mit der Pressefreiheit und das harte Vorgehen gegen Protestanten kritisch. "Forum am Freitag"-Moderator Abdul-Ahmad Rashid beleuchtet mit Kenan Kolat von der türkischen Gemeinde Deutschland den Auftritt.
Bei der kämpferischen Rede vor mehreren tausend Türken im Berliner Tempodrom kündigte Erdogan an, sich keinem Druck zu beugen. "Wir bleiben aufrecht! Wir beugen uns nicht, seid euch dessen sicher! Wir beugen uns allein vor Gott."
Korruption oder Stabilität?
Ungeachtet der Turbulenzen seit dem Ausbruch des Korruptionsskandals Mitte Dezember versicherte Erdogan, sein Land werde weiter "in Stabilität, Ruhe und Frieden" wachsen. In der Türkei stehen im März Kommunalwahlen und im Sommer Präsidentschaftswahlen an, bei denen Erdogan womöglich selbst kandidieren wird. Für Erdogans islamisch-konservative Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die seit elf Jahren an der Macht ist, sind die Abstimmungen von großer Bedeutung. Die 1,5 Millionen türkischen Staatsbürger sind dabei ein wichtiges Wählerpotential für Erdogan. Hinzu kommen noch einmal ebenso viele türkischstämmige Deutsche. "Ich will, dass Ihr stolz seid, in Deutschland zu leben, aber ich will auch, dass Ihr stolz seid auf die Fahne der Türkei", rief Erdogan dem Publikum zu. "Ihr seid Kinder eines großen Landes. Durchtrennt nicht Eure Bande zur Türkei. Verhindert vor allem, dass die junge Generation den Glauben und die Wurzeln vergisst und zu Ausländern wird."
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Die Korruptionsvorwürfe gegen sich wies er zurück und warf stattdessen seinen Gegnern eine Verschwörung vor. Am 17. Dezember hatte die Justiz zahlreiche Manager und Politiker aus dem Umfeld der Regierung festnehmen lassen. Ihnen wurde die Verwicklung in einen weit verzweigen Korruptionsskandal vorgeworfen. In der Folge reichten vier Minister ihren Rücktritt ein. Erdogan ließ hunderte Polizisten und Staatsanwälte versetzen.
Kann dieses Land Teil der EU werden?
Gerade die EU beäugt mit Argwohn die jüngste Gewalt gegenüber Demonstranten, das Gebaren bei Polizei und Justiz, die undurchsichtigen Wege der Macht in der Türkei. Auch um die Meinungsfreiheit ist es dort nicht allzu gut bestellt. Sollte dieser Staat Mitglied der EU werden, die seit 2005 mit der Türkei Beitrittsverhandlungen führt? Die CDU von Angela Merkel sagt Nein. Die Kanzlerin selbst formuliert es etwas höflicher. Als sie nach einem Mittagessen gemeinsam mit Erdogan vor die Presse tritt, sagt sie, sie sehe eine Mitgliedschaft der Türkei skeptisch. Auch die rechtsstaatlichen Probleme in dem Land spricht sie in moderater Tonlage an. Merkel führt den türkischen Gast nicht öffentlich vor. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sie beim Essen etwas deutlichere Worte gefunden hat. Erdogan gibt sich indessen selbstbewusst: Nicht die Türkei brauche die EU, sondern die EU brauche die Türkei, sagte er während seines Berlin-Besuches.
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