Herbert Grönemeyer schlägt Alarm: “Dieses System tötet die Künstler im unteren und mittleren Bereich. Täglich. Die können aufhören, die können nicht mehr von ihrer Musik leben!” Die Vielfalt der Kunst sei in Gefahr, sagt Deutschlands erfolgreichster Musiker im Gespräch mit Jo Schück. Das Problem: Bei der Umstellung von Tonträgern aufs Streaming seien die Weichen falsch gestellt worden. Auf Spotify verdienen ein Prozent der Künstler 90 Prozent des Geldes - der Rest bekommt nur Peanuts. Taylor Swift takes it all?
Dabei müsste eigentlich genug Geld für alle da sein. Die Musikindustrie wächst im neunten Jahr in Folge. Die Major Label Universal, Sony und Warner fahren Milliardengewinne ein. Was läuft also falsch? Für Grönemeyer ist es vor allem das "Pro-Rata"-System: Jeder gestreamte Song wird mit dem gleichen Betrag entlohnt, bei Spotify sind das etwa 0,3 Cent. Grönemeyer und viele andere Musiker fordern ein anderes System: Das "User Centric Payment" - Dabei wird das Geld, das ein User ausgibt, nur an die Musiker verteilt, die er oder sie auch hört. Das würde wahrscheinlich dazu führen, dass Künstler, die anspruchsvollere Musik machen und eher gezielt gehört werden, mehr Geld bekommen würden. Für Dauerschleifen- und Playlistqueens wie Taylor Swift bliebe weniger übrig.
Ist das Bezahlsystem der Streamingdienste ungerecht?
Gewinnen würden Artists, wie die deutsch-polnische Sängerin Balbina. Im Moment verdient sie nur etwa 300€ bis 400€ durch Streaming - im Jahr. Das reicht nicht mal, um einen Tag im Studio zu finanzieren. Ihre komplexe Popmusik, zuweilen aufwändig produziert, findet in einer kleinen, aber feinen Nische statt. Die Musik an die Algorithmen anzupassen, um mehr gestreamt zu werden, kommt für Balbina nicht in Frage. Streamingkompatible Musik, das würde bedeuten: Die ersten Sekunden müssen catchen, Ohrwurmqualität, keine langen Intros und möglichst auch keine langen Songs - denn damit ein Song bezahlt wird, muss er nur 30 Sekunden gehört werden, alles danach ist egal.
Die Digitalisierung hat aber auch großartige Seiten. Nicht nur, dass den Usern unfassbar viele Songs zur Verfügung stehen - 100 Millionen sind es alleine auf Spotify. Manchmal spülen die Algorithmen auch Künstler ins Rampenlicht, die früher im CD-Zeitalter nie so schnell erfolgreich geworden wären. Wie die 21-jährige Sängerin Luna: Als 17-jährige wurde sie mit einem Handyvideo aus ihrem Kinderzimmer im niederbayrischen Otterskirchen heraus zu einer TikTok-Berühmtheit. Ihr Trennungssong "Verlierer" berührte Millionen junger Menschen. Zwei Monate später hatte sie einen Plattenvertrag und landete auf Platz 3 der Charts - ein märchenhafter Aufstieg. Aber wie lässt sich an den Erfolg anschließen? Mit Jo Schück spricht Luna auch über die Erwartungshaltung auf TikTok und den Druck, ständig präsent zu sein.
Horrende Ticketpreise verschrecken die Fans
Popfans sind die Gewinner der Digitalisierung: Auf Social Media sind sie ihren Stars so nah wie nie. Durch Streaming ist Musik unendlich verfügbar und günstig - oder gar umsonst, wenn man Werbung in Kauf nimmt. Und: Die Musiker spielen häufiger live als früher - weil sie fast nur noch mit Konzerten und Merchandise Geld verdienen. Eines aber hat sich für die Fans zum Schlechteren verändert: Die Ticketpreise. Die steigen in horrende Höhen. Große Bands und Ticketanbieter wie Eventim und Ticketmaster haben jetzt das "Dynamic Pricing" entdeckt. Wenn ein Konzert fast ausverkauft ist, dann kosten die letzten Tickets das Doppelte oder Dreifache. "Hot Ticket" oder "Platinum-Ticket" heißt das dann - die Plätze sind aber genau wie die zum Normalpreis. Aber für Heroen wie zum Beispiel Depeche Mode sind viele Fans bereit, mehrere hundert Euro für eine Karte auszugeben.
Liegt hier eine Chance für kleinere Konzertorte? Im Gegenteil, sagt Pamela Schobeß, Betreiberin des Berliner "Gretchen" - ein Club, der schon häufig für sein gut kuratiertes Programm ausgezeichnet wurde. Auch die kleineren Venues mussten die Preise anheben. Und die Portemonnaies der Pop-Fans sind nicht unendlich tief: Wenn die großen Stars mehr verlangen, bleibt bei vielen nicht mehr genug Geld für die kleineren Konzerte übrig. Deshalb bringt Schobeß sogar eine staatliche Förderung für Clubs ins Spiel. Staatstheater gibt es ja auch - warum dann nicht auch "Staatsclubs"?
Popbranche im Wandel
Moderator Jo Schück blickt hinter die Kulissen der Pop-Industrie. Er besucht Youtuber, TikTok-Stars und Granden des Pop in ihren Studios, spricht mit Fans vor der Großarena und im kleinen Club. Die Popbranche ist im Wandel. Das ist beängstigend, faszinierend und vielversprechend zugleich.
Stab
- Moderation - Jo Schück