1 (-) Großstädter blicken oft mit einer Ambivalenz auf das Landleben: Sie beneiden die Ruhe, romantisieren die Naturerfahrung, verurteilen die Praktiken der konventionellen Landwirtschaft. Uta Ruge ist eine, die zwischen den Welten vermitteln kann: Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Kreis Cuxhaven, arbeitete sie als Journalistin in Berlin. Nun kehrt sie zurück auf den Hof ihrer Jugend, den inzwischen ihr Bruder übernommen hat. Sie zeigt, wie das Weltgeschehen das Leben auf dem Land verändert – und wie groß die mentale Kluft zwischen Stadt und Land inzwischen ist. 58 Punkte
2 (-) "Was ändert sich in Ethik und Politik, wenn wir in unserem Denken vom Körper statt vom Geist ausgehen?", fragt die Philosophin Corine Pelluchon. Der Körper braucht Nahrung, er friert – und er will berührt, will geliebt werden. John Locke und Thomas Hobbes haben in ihren Gesellschaftsverträgen über Freiheit und Gleichheit sinniert, die Frage, wovon wir überhaupt Leben, aber übersehen. Pelluchons Materialismus soll den Blick erweitern – hin zu einer Existenzialphilosophie, die auch Tierwohl und Umweltschutz mitdenkt. 51 Punkte
3 (-) Mehrere Jahre saß der Lyriker Tobias Roth an seinem Sammelband über die italienische Renaissance. Er hat 350 zeitgenössische Texte zusammengetragen, übersetzt und eingeordnet. Noch nie gab es ein so vollständiges Gesamtpanorama über die Geburtsstunde des modernen Europas. Mit dabei: Die ein oder andere Kuriosität – wie obszöne Briefe von Niccolò Machiavelli oder die "Geschlechtsteilforschung" des Dichters Antonio Vignali. 44 Punkte
4 (-) Der Liberalismus steht im Ruf, seiner Zeit hinterherzuhinken. In einer gewissen Regelmäßigkeit versuchen Autoren deshalb, den alten Herren wieder rüstig zu bekommen. Der Rechtsphilosoph Christoph Möllers wählt diesmal eine Analogie aus der Mechanik: Die Freiheitsgrade. Je mehr es von ihnen gibt, desto größer ist das Bewegungsspektrum eines Körpers. Nicht um das überstrapazierte Verhältnis von Individuum und Gesellschaft geht es Möllers also – sondern um Ergebnisoffenheit politischer Prozesse. 36 Punkte
5 (2) "Lasst das Licht der öffentlichen Debatte dazu beitragen, ein rationales Urteil über den jüdischen Staat zu fällen", sagt der israelische Philosoph Omri Boehm. Er unterscheidet in seinem Buch zwischen Selbstbestimmung und Souveränität in Bezug auf Israel: Das israelische Volk habe ein Recht auf Selbstbestimmung, aber keines auf eine Souveränität, die Minderheiten oder andere Völker unterdrücke. Boehm benennt demokratische Defizite – und das ohne Polemik. 31 Punkte
5 (-) Er reise im Namen derer, die nicht reisen konnten oder wollten, sagt Johny Pitts, britischer Radiomoderator und Sohn eines Afroamerikaners. In Paris, Berlin, Amsterdam oder Brüssel sucht Pitts seine eigene Identität als Dunkelhäutiger im postkolonialen Europa. Eine Frage treibt ihn dabei besonders um: Wie lässt sich eine solche Identität definieren, ohne Klischees zu reproduzieren? 31 Punkte
7 (1) Viele rufen heute den Untergang der deutschen Demokratie herbei. Aber ist es wirklich so ernst? Die Historikerin Hedwig Richter reist in die Vergangenheit, erzählt die Geschichte der deutschen Demokratie als eine Chronologie von Fehlern, Zufällen und Lernprozessen, in deren Zentrum der Zivilisationsbruch des Holocaust steht. Ein Buch, das trotz aller Fehler sehr viel Hoffnung erkennt. 26 Punkte
8 (-) Affe, Närrin, Clown, böser Geist, Hexe, Spionin, Kannibale. Die Namen, die die Ethnologin Heike Behrend von den "Subjekten" ihrer Forschung in Afrika bekommen hat, sind wenig schmeichelhaft. Jetzt betreibt Behrend in ihrer Autobiografie Feldforschung an sich selbst: Was lernen wir über uns, wenn die Konfrontation mit dem Fremden unser eigenes koloniales Selbstverständnis erschüttert? 25 Punkte
8 (-) Ob Black Lives Matter, Fridays for Future oder Frauenrechte: Aus Sicht der Philosophin Eva von Redecker sind die Ziele der großen Protestbewegungen der Gegenwart nur auf den ersten Blick verschieden. Tatsächlich verbinde allesamt das Ziel, Leben zu retten – gegen einen angeblich lebensfeindlichen Kapitalismus. Rassismus, Klimakatastrophe oder Geschlechterungleichheit würden sich somit auf die alte Eigentumsfrage herunterbrechen lassen. Folgerichtig hofft Von Redecker auf eine Revolution, hin zu einer "Gemeinschaft der Teilenden". 25 Punkte
10 (-) Auf rund 900 Seiten hat der US-amerikanische Schriftsteller Benjamin Moser wohl alles zusammengetragen, was es über die New Yorker Intellektuelle Susan Sontag an Material gibt. Dafür gewann er dieses Jahr den Pulitzer-Preis. Dabei ist Moser in der Bewertung der 2004 verstorbenen Ikone alles andere als zimperlich: "Sie entsprach (…) fast bis zur Karikatur der psychologischen Beschreibung erwachsener Kinder von Alkoholikern, in all ihren Schwächen – wie in all ihren Stärken", schreibt er. 24 Punkte
Jedes Jury-Mitglied der Sachbuch-Bestenliste vergibt monatlich an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Die Jury der Sachbuch-Bestenliste: René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur), Peter Arens (ZDF), Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur), Ralph Bollmann (F.A.S.), Stefan Brauburger (ZDF), Alexander Cammann (DIE ZEIT), Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel), Heike Faller (DIE ZEIT), Marlen Hobrack (DIE ZEIT), Daniel Fiedler (ZDF), Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch), Manuel J. Hartung (DIE ZEIT), Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur), Kim Kindermann (Deutschlandfunk Kultur), Inge Kutter (DIE ZEIT), Hannah Lühmann (DIE WELT), Ijoma Mangold (DIE ZEIT), Tania Martini (taz), Susanne Mayer (DIE ZEIT), Christoph Möllers (HU Berlin), Catherine Newmark (Deutschlandfund Kultur), Jutta Person (freie Literaturkritikerin), Bettina von Pfeil (ZDF), Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung), Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur), Anne Reidt (ZDF), Anna Riek (ZDF), Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte), Hilal Sezgin (freie Autorin), Catrin Stövesand (Deutschlandfunk), Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)
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