Götz George gehört zu den Schauspielern, die sich ihre Rollen nicht nur aussuchen können, sondern denen man diese regelrecht auf den Leib schreibt. Im Fernsehfilm "Papa allein zu Haus" spielt der Publikumsliebling einen 65-jährigen, frischgebackenen Rentner, der noch lange nicht zum alten Eisen gehören will. Im Folgenden reflektiert er über die Lebenshaltung seiner Figur und seine eigene privilegierte Situation als Schauspieler - ein Beruf, den er sehr ernst nimmt.
ZDF: Theo Winter ist ein 65-jähriger Zyniker mit ausgeprägtem Hang zu Plan, Struktur und Ordnung. Nach seiner Entlassung und dem Tod seiner Frau lässt er sich völlig gehen, und auch seine Wohnung verwahrlost. Können Sie seinen plötzlichen Wandel, sein auffälliges Verhalten nachvollziehen?
Götz George: Menschen sind sich so gleich und doch so unterschiedlich! Ich persönlich bin ein typischer Preuße und halte meine Sachen immer zusammen. Das bezieht sich auf viele Dinge, etwa auf Ordnung und Pünktlichkeit. Das kann manchmal aber auch zu einer gewissen Einengung führen. Ein wenig Bohémien täte mir hier und da sicher gut. Theo Winter hat nach dem Verlust seiner Frau und seines Jobs sicher zu viel davon, weil er mit seiner neuen Situation und mit seinem Alltag völlig überfordert ist.
ZDF: Haben Sie Bekannte oder Freunde, die in Rente gehen mussten, wie es Ihrer Figur Theo Winter passierte?
George: Mich umgeben fast nur Ältere, aber die meisten sind Künstler, und die wissen sehr genau, was sie mit ihrer Zeit anfangen können. Endlich sind sie frei von Terminzwängen und auch von Versagensängsten. Kreativ sein und das ohne Zwang, das steht bei ihnen auf dem Plan. Bekannte oder Freunde, die verpflichtet wurden, in Rente zu gehen, habe ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass das sicher nicht einfach ist, vor allem wenn man einen Beruf mit einer fast kindlichen Leidenschaft gelebt und geliebt hat, wie es meine Figur, Ampelliebhaber Theo Winter, tat.
ZDF: Empfinden Sie es als Privileg, einen Beruf zu haben, in dem Sie aufhören können, wann Sie mögen?
George: Dieser schöne Beruf hat eine Langzeitgarantie. Man muss allerdings gefragt sein, und der Kopf muss mitspielen. Man muss aber als Schauspieler auch ständig an sich arbeiten und darf die Zügel nicht locker lassen. Der große Einsatz - eine neue Rolle - kann immer, kann täglich kommen. Ich empfinde es natürlich als ein Privileg, selbst entscheiden zu können, wann ich aufhöre. Ebenso wie ich es als ein Privileg empfinde, frei entscheiden zu können, welche Rolle ich annehme und welche nicht.
ZDF: Das Mädchen, das Theo Winter betreuen muss, ist zunächst sehr spröde, trotzig und alles andere als zugängig. Erinnern Sie sich noch daran, wie Ihre eigene Tochter im Alter von 17 Jahren war?
George: Mit meiner Tochter hatte ich nur Glück. Sie war zu jedem Zeitpunkt belastbar und hat ihr Leben sehr früh selbstständig in die Hand genommen, ohne groß auszubrechen. Sie war immer sehr originell und liebenswert, voller künstlerischem Elan.
ZDF: Sie spielten in letzter Zeit häufig mit sehr jungen Schauspielern. Kann diese Zusammenarbeit auch noch einen erfahrenen Charakterdarsteller beflügeln?
George: Junge Kollegen beflügeln immer, wenn sie den nötigen Respekt vor diesem schwierigen Beruf mitbringen. Sie haben noch diese schöne Unbekümmertheit und diesen unendlichen Spieltrieb, der oft vorbildlich ist und auch jemanden wie mich durchaus mitreißen kann. Es gibt unter den jungen Leuten natürlich auch Schnellschüsse. Junge Menschen, die schnell oben, aber auch ebenso schnell wieder auf dem Boden landen können, wenn sie nicht ständig an sich arbeiten und den Beruf des Schauspielers als solchen nicht ernst nehmen. Das passiert leider gerade in unserer heutigen Zeit häufig. Die Zusammenarbeit mit Janina Stopper in unserem Film "Papa allein zu Haus" war wunderbar und hat mir in dieser Produktion sehr gut getan. Janina ist von einer großen beeindruckenden Ernsthaftigkeit.
ZDF: Eine Ernsthaftigkeit und Verletzlichkeit, die sie auch im Spiel, in ihrer Rolle des störrischen, schwer erziehbaren Mädchens, zeigte. War es die Einsamkeit, unter der Rentner Theo Winter und das von der Mutter verstoßene Kind Johanna litten, die die beiden auf eine letztlich anrührende Weise zusammenführte?
George: Einsame Menschen können sehr schnell verkümmern, wenn sie längere Zeit keinen Partner finden, der sie stabilisiert und aus der eintretenden Stumpfheit herausreißt. In unserem Film können sich beide langsam wieder aufbauen und Vertrauen gewinnen.