Wie macht man eigentlich ein Fernsehspiel? Im ersten Schritt sollten sich alle wichtigen Beteiligten darauf einigen, was sie möchten, und im zweiten Schritt, die begrenzten Ressourcen so optimal miteinander kombinieren, dass in kreativer und kaufmännischer Hinsicht das bestmögliche Produkt entsteht. So einfach kann das in einer idealen Welt sein.
Ein Fernsehspiel zu produzieren, heißt aber im wahren Leben oft, einen Slalomlauf zwischen den sich auftürmenden Hindernissen zu bewältigen und dabei seine Vision nicht aus dem Auge zu verlieren, ein unterhaltendes, spannendes und qualitativ anspruchsvolles Stück zu produzieren. Und in ganz seltenen Fällen sind es gerade diese besagten Hindernisse, die dem Film am Ende eine besondere Note geben.
Schneereichster Winter
Die Dreharbeiten für "Racheengel - Ein eiskalter Plan" waren für Sommer 2009 geplant. Tatsächlich fanden sie dann im Februar 2010 statt. Mit jedem Tag, dem wir uns dem Drehstart näherten, wurde klarer, dass wir es im Februar 2010 nicht mit einem normalen Winter an der Ostsee zu tun hatten, sondern mit dem schneereichsten und kältesten Winter an der Ostsee seit vielen Jahren. Normalerweise versucht man, den Einfluss des Wetters auf die Dreharbeiten soweit wie möglich auszuschließen. Man plant Coversets, wetterunabhängige Motive, und wenn es gar nicht anders geht, wartet man auf das richtige Wetter.
Bei den Dreharbeiten zu "Racheengel - Ein eiskalter Plan" ist man nach ausführlichen gemeinsamen Diskussionen mit einem hohen, aber bewussten Risikoeinsatz einen anderen Weg gegangen. Wir wollten den eiskalten und schneereichen Winter bewusst in die Handlung integrieren.
Unterstreichende Farbdramaturgie
Wenn man ein Problem nicht verschwinden lassen kann, sollte man es zum Teil der Lösung machen. Und weil dieser eiskalte Winter nicht verschwinden wollte, ersannen der Regisseur Tim Trageser und der Kameramann Eckhard Jansen ein Konzept, welches sich der in Kälte erstarrten Natur bediente. Kühle blaue Außenaufnahmen unterstreichen die Thrilleratmosphäre und die skrupellose Zielstrebigkeit von Jennys tödlichem Plan. Dagegen wurden die warmen Innenaufnahmen von Tinas Heim gesetzt, das Schutz und Geborgenheit vermitteln soll.
Zugleich unterstreicht diese Farbdramaturgie aber auch Tinas Unfähigkeit, sich der eigenen schuldbeladenen Vergangenheit zu stellen, beziehungsweise sich der eigenen Familie zu offenbaren und um Hilfe zu bitten. Gleiches gilt für die warme Wohnlichkeit der Wohnung von Brederstein, in der sich der Kinderschänder eine Fassade bürgerlichen Wohlstandes geschaffen hat. Die monochrome Kälte außen und die Schein trügende Wärme innen, die auf einer Lüge basiert, wurden zum leitenden Gedanken der Farbdramaturgie.
Hohes Maß an Flexibilität
Die dramaturgische Entscheidung, während eines Jahrhundertwinters an der Ostseeküste zu drehen, ist das eine, die Umsetzung ist etwas ganz anderes. Die endgültige Entscheidung dazu wurde aber erst unmittelbar vor Beginn der Außendreharbeiten an der Ostsee getroffen. Bis dahin hatten wir uns mit mehreren Drehplanvarianten die Option offen gehalten, bei einem plötzlichen Wetterumschwung reagieren zu können. Dieses hohe Maß an Flexibilität hatte natürlich auch einen Preis, der in der Bereithaltung der Alternativen bis zum letzten Moment bestand.
Strahlende Kälte, erstarrte Schönheit
Glücklicherweise standen uns mit Gesine Cukrowski, Katharina Wackernagel und Matthias Koeberlin drei hervorragende und bestens aufgelegte Schauspieler zur Verfügung, die keine Sperrtermine in die Dreharbeiten einbrachten. Heutzutage eine Seltenheit. Die dramaturgischen Tag-/Nachtverhältnisse wurden den kurzen Drehtagen angepasst. Logistische Probleme, wie ein Drehteam bei minus 15 Grad warm zu halten, mussten gelöst, der Transport auf vereisten Straßen und Wegen mit entsprechenden Reserven geplant werden. Wie im ganzen Bundesgebiet kam es trotz Streusalz auch bei uns zu Stürzen. Erkältungen ließen sich trotz wärmster Kleidung nicht vermeiden. Technik, Kamera, Licht und Grip mussten winterfest gemacht werden.
Aber zum Drehen gehört auch immer ein Stückchen Glück, und manchmal wird ein Risiko zur Chance. Die Natur der Küstenregion präsentierte sich während der gesamten Dreharbeiten in strahlender Kälte, das Meer in erstarrter Schönheit. Und so kann man sicherlich behaupten, dass der Winter 2010 ein weiterer Hauptdarsteller in diesem Film geworden ist.