"Die Neue" behandelt den Konflikt zwischen einer engagierten Lehrerin und ihrer neuen Schülerin.
Was hat Sie am Drehbuch überzeugt?
Iris Berben: Mich hat vor allem die Thematik interessiert. Das Thema des "Kopftuches" wird seit längerer Zeit diskutiert und steht dabei ja als Metapher für sehr viel mehr. Wie dieses Thema im Drehbuch behandelt wird, fand ich sehr überzeugend und realitätsnah. Wenn man eine Rolle spielt, befindet man sich plötzlich in dem Kosmos einer anderen Person. Das führt zu ganz neuen Fragen, Denkanstößen und Überlegungen, anders als wenn man sich demselben Thema von außen nähern würde. Das hat mich bei diesem Drehbuch gereizt und mich sehr schnell gefangen genommen.
Ava Celik: Es gibt ja mehrere Filme, die sich mit dieser oder einer ähnlichen Thematik befassen. Was "Die Neue" allerdings von ihnen unterscheidet, ist die Darstellungsweise. Denn mit Sevda haben wir es mit einer jungen Frau zu tun, die sich aus eigenen Stücken für das Kopftuch entschieden hat und ganz wichtig – auch dabei bleibt. Der Film gibt verschiedene Erklärungsansätze für ihren Entschluss, versucht aber nicht, ihn zu rationalisieren. Dieser Zustand des Nichtwissens kommt dem der Realität nahe: Man muss die einzelnen Beweggründe für religiöse Überzeugung und die damit verbundenen Praktiken nicht verstehen, um sie zu akzeptieren. Der Film macht diese Einsicht in Inhalt und Form verständlich, das fand ich neu und interessant.
Wie haben Sie sich dem Thema angenähert?
Iris Berben: Es waren natürlich einmal die Gespräche, die ich mit der Regisseurin Buket Alakus geführt habe. Dass sie eine türkischstämmige Regisseurin ist, die beide Seiten kennt, ist für den Film wichtig. Buket Alakus ist eine Frau, die ein sehr westliches Leben lebt, aber um die Problematik sehr genau weiß. Außerdem habe ich begonnen, Dinge in meinem Alltag hier in Berlin genauer wahr zu nehmen. Was erzählt mir eine Frau, ein Mädchen, das ein Kopftuch trägt? Hier gibt es durchaus Unterschiede. Man kann sehr selbstbewusste Frauen sehen. Bei genauem Hinsehen spürt man aber auch manchmal, dass eine vorgegebene Tradition nicht hinterfragt wird. Insofern habe ich mich der Thematik neu angenähert. Schließlich bin ich aus einer Generation, die sehr bewusst für die Freiheit und die Selbstbestimmung der Frau auf die Straße gegangen ist. Aber mir wurde klar, dass es Frauen mit großem Selbstbewusstsein gibt, die das Kopftuch aus Überzeugung tragen. Sehr kluge und sehr gebildete Frauen, bei denen das Argument der Unterdrückung nicht zutrifft. Um mich dem Thema anzunähern, musste ich daher von meinem Blickwinkel ein Stück weit Abschied nehmen und ihn neu bedenken.
Ava Celik: Da ich mich mit dieser Art von Themen bisher nicht bewusst auseinandergesetzt habe, gab es gleich mehrere Ansatzpunkte. Für mich war es zum einen das Thema der Religion und zum anderen das der Ausgrenzung und der Vorurteile. Ich habe mich dem Thema in Form von Büchern und privaten Gesprächen, dann aber auch durch die eigene Erfahrung, also das tägliche Praktizieren der Religion in Form von Gebeten und dem Fasten, angenähert. Besonders behilflich war mir dabei Betül Ulusoy von der Sehitlik Moschee in Berlin, eigentlich Juristin und Bloggerin, und ich habe sie mit ihrer herzlichen und offenen Art sofort in mein Herz geschlossen. Sie war für mich das beste Beispiel einer starken, selbstbewussten Frau, bei der man sich sehr schnell von der Vorstellung des Kopftuchs als Symbol der Unterdrückung trennen muss.
Was hat Sie persönlich an Ihrer Figur, die Sie spielen, fasziniert?
Iris Berben: Ich mochte an der Figur Eva Arendt, dass sie eine Frau ist, die ein sehr widersprüchliches Leben führt. Sie geht mit ihren Schülern auf eine sehr kluge Art und Weise um. Sie will ihnen etwas vermitteln und sich der neuen Schülerin und der 'Thematik des Kopftuchs' unvoreingenommen nähern. Dabei geht sie mit großer Offenheit vor. Sie selber lebt aber alles andere als ein offenes und freies Leben. Sie führt eine Beziehung, die keine Beziehung sein darf. Und wie Sevda ist sie sicherlich auch auf Identitätssuche. Sie sucht nach ihrem Vater und will wissen: Wer bin ich, wo komme ich her? Zuerst hatte ich Angst, dass ihre Geschichte das Thema überfrachtet. Aber dann fand ich spannend, ihrer Figur auch eine Biographie und eigene Schwächen zu geben und sie nicht nur als Lehrerin zu zeigen, die an einer Frage oder an der eigenen Haltung scheitert. Denn Eva hat bislang alles vernachlässigt, was ihr ihre Schülerin vor Augen führt. Das Übermaß, mit dem sie sich dem Mädchen widmet – mehr als es eigentlich ihre Aufgabe wäre – hat viel mit ihrer eigenen Biographie zu tun.
Ava Celik: Sevdas Konsequenz und Unbeirrbarkeit sind sehr faszinierend. Sie hinterfragt für ihr Alter ungewöhnlich viele Dinge, ist also höchst philosophisch, und zieht daraus auch ihre Konsequenzen. Sie könnte sich schminken oder sich mit Marken einkleiden, und es wäre mit ihrer Religion vereinbar – das tut sie aber nicht. Sie will aufgrund ihres Wesens und nicht aufgrund ihrer äußeren Erscheinung oder ihres Auftretens akzeptiert werden. Man könnte eigentlich sagen, dass sie eine Art Punk ist: Mit sich selbst im Reinen widersetzt sie sich allgemeinen Konventionen und Autoritätspersonen um ihrer Überzeugung zu folgen.
Inwieweit können Sie sich mit Eva /Sevda identifizieren und ihre Sicht und ihr Verhalten nachvollziehen?
Iris Berben: Ich fühle mich Eva in ihrer Suche und in ihrem Kampf um die eigene Identität nahe. Eva, die immer so liberal, klug und lässig mit ihren Schülern umgegangen ist, kommt bei Sevda an einen Punkt, wo ihr das nicht mehr gelingt. Sevda reagiert nicht auf Regeln und Gespräche, sie fordert den Konflikt einfach heraus. Eva realisiert, wie sie hier an einer einzelnen Person scheitert. Gleichzeitig weiß sie, dass sie nicht die Kompetenz hat, um darauf zu reagieren. Das eigene Erleben, die eigenen Sehnsüchte, die eigenen Fragen, die sie sich stellt, werden durch eine andere Person gespiegelt. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie hilflos sie sich dabei fühlt.
Ava Celik: Ich habe mich Sevda nahe gefühlt, vor allem in dem Verständnis, Dinge zu hinterfragen, sich nicht sofort anzupassen, sondern zu überlegen, was man wirklich will und aus welchem Grund. Ich selbst habe keine Erfahrung mit Ausgrenzung gemacht, denke aber, dass gegenseitiges Verständnis und Akzeptanz für ein gemeinschaftliches Miteinander unerlässlich sind.
Worin sehen Sie das Konfliktpotential zwischen der Lehrerin und ihrer Schülerin?
Iris Berben: Für mich liegt der Konflikt darin, dass Eva auf der einen Seite eine Lehrerin ist, die sehr liberal mit jeder Frage, auch der der Konfession und des Andersseins, umgeht. Auf der anderen Seite verweigert sich Sevda aber, den Argumenten der Lehrerin zu folgen. Es ist ja auch das Vorrecht der Jugend, radikal zu sein, sich und die Welt auszuprobieren, indem man sich von der Haltung der Eltern oder Lehrer absetzt. Insofern will Sevda die Regeln erst einmal so weit wie möglich ausweiten, ehe sie diese Haltung wieder unterdrückt und zu einem gemeinsamen Konsens zurückkehrt. Denn natürlich kann Sevda ihre Gebetsstunden auch anders legen. Es war wie ein Kräftemessen.
Ava Celik: Ein Film entsteht immer erst im Kopf des Zuschauers und so denke ich, dass es viele Antworten auf diese Frage gibt. Zum einen gibt es da die Bereitschaft der Lehrerin auf der einen und die uneingeschränkten Forderungen der Schülerin auf der anderen Seite. Es gibt aber eben auch moralisch hohe Erwartungen, die mal hier, mal da nicht eingehalten werden können und dadurch zu Enttäuschungen und Misstrauen führen. Durch die Aufteilung in Lehrerin und Schülerin haben wir es außerdem mit unterschiedlichen Machtpositionen zu tun, die trotz allem auf ein Gegenübertreten von zwei starken Frauen auf Augenhöhe führen.
Wo findet der Film in Ihren Augen seinen Höhepunkt und warum?
Iris Berben: Für mich ist die letzte Rede, die Eva hält, der Höhepunkt des Films. In ihr macht sie klar, was Toleranz bedeutet, und wie viel Arbeit dahinter steckt. Und dass beide Seiten diese Arbeit leisten müssen! Eva erklärt hier, dass wir in unserer Gemeinschaft einen möglichst klugen und guten Kompromiss finden müssen, wenn wir in unserer Unterschiedlichkeit akzeptiert werden wollen. Sie beschreibt, was eine Gemeinschaft ausmacht und was es bedeutet, mit dem Anderen und Fremden zusammen zu leben. Dass es nicht darum geht, es nur zu akzeptieren, sondern zu respektieren – was ja ein großer Unterschied ist! Zuletzt unterstreicht sie, dass es keine einmalige und eindeutige Antwort gibt und der Konflikt auch nicht per Gesetz geregelt werden kann. In meinen Augen spricht sie hier ist ein ganz schwieriges, spannungsgeladenes Feld an.
Ava Celik: Dass man nicht alles per Gesetz regeln kann, halte ich für einen wichtigen Punkt. Grundrechte wie die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit müssen geschützt bleiben, individuelle Probleme innerhalb einer Klassengemeinschaft erfordern aber auch individuelle Lösungsansätze und können nicht pauschal gelöst werden. Gerade im Zuge solcher Lösungsfindungen kann sich eine Klassen- bzw. eine Lebensgemeinschaft in Zusammenhalt und Toleranz üben. Denn nur von Innen, erst durch das selbstständige Auseinandersetzen mit dem Gegenüber, kann ein gegenseitiges Verständnis und eine wirkliche Akzeptanz entstehen.
Sevda fordert ihr Recht auf Religionsfreiheit uneingeschränkt ein und bringt dadurch den Schulalltag ins Wanken. Zu welchen Denkanstößen hat Sie das Projekt geführt?
Iris Berben: Es wäre so schön, alles per Gesetz regeln zu können. Aber ich halte die Dinge für zu kompliziert und denke, man muss es wie Eva machen: Sich immer wieder annähern, miteinander reden, sich austauschen und einen Weg finden, wie man miteinander leben kann. Nur mit Hilfe eines Gesetzes wird es nicht funktionieren. Da ich mich seit Jahrzehnten gegen Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Ausgrenzung engagiere, ist mir dieses Vorgehen sehr vertraut: Ein Zusammenleben wird nur funktionieren, wenn wir zuhören, hinhören, uns für den anderen interessieren. Wenn wir den anderen verstehen. Ich glaube das ist die Möglichkeit, wie wir die vielen, vielen Fragen, die kommen werden, beantworten können: Offen und aufmerksam bleiben, zuhören und dem anderen eine Chance geben. Insofern war der Film kein neuer Anstoß für mich. Er hat mich vielmehr in einer Haltung bestätigt, die ich selber habe.
Ava Celik: Der Film hat in seiner Klarheit nochmal ein Paradox in der deutschen Einwanderungsgesellschaft vorgeführt: Auf der einen Seite wächst die Akzeptanz für die kulturelle und ethnische Vielfalt in diesem Land, gleichzeitig nimmt aber auch die Angst davor zu. Es handelt sich dabei oft nur um projizierte Kulturängste, die es zu überwinden gilt – wie auch im Film, in der die Stigmatisierung durch das Kopftuch mit einer stereotypen Herabminderung der verschleierten Frau einhergeht. Wenn man den Film von außen betrachtet, ist es eigentlich absurd, was in dieser Klasse passiert. Schließlich haben die Schüler viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede: Sie sind im gleichen Alter, gehen alle zur Schule, sprechen die gleiche Sprache und arbeiten jeweils auf einen Abschluss hin. Das, was sie unterscheidet, ist ihr Glaube. Ich denke, dass das Festhalten an Gemeinsamkeiten notwendig ist, um eine Form von Interaktion aufrechtzuerhalten.