Die Versicherungsmathematikerin Marlies ist keine Frau, die den Weg des geringsten Widerstandes geht. Obwohl sie mit ihren Recherchen sowohl ihre Ehe als auch ihre Stelle aufs Spiel setzt, kann sie nicht eher ruhen, bis die Wahrheit aufgedeckt ist und sie der Gerechtigkeit Genüge tut. Silke Bodenbender spricht über ihre Rolle, das Buch und ihre unterschiedlichen Erfahrungen auf der Bühne und im Film.
ZDF: Frau Bodenbender, was gefiel Ihnen an Marlies, deren Beruf der Versicherungsmathematikerin auf den ersten Blick nun nicht gerade ein besonders spannender ist?
Silke Bodenbender: Marlies ist eine geradlinige, loyale und mutige Person, eine Frau, die für ihre Gewissenhaftigkeit und Akribie in ihrem Job bekannt ist. Bei der Klärung ihrer Fälle orientiert sie sich an Gerechtigkeit und Schuld. Dabei lässt sie sich nicht zu emotionalen Entscheidungen hinreißen.
Das Spannende an dieser Figur war für mich, ihre Entwicklung zu zeigen, die mit dem Moment beginnt, als Marlies feststellen muss, dass sie wohl doch nicht gewissenhaft gehandelt, sondern während ihrer Recherche offenbar ganz wesentliche Dinge ausgeblendet hat. Sie könnte es nun bei der offiziellen Version - Selbstmord - belassen.
Das tut sie aber nicht, weil sie sich der Gerechtigkeit verpflichtet fühlt. Zudem weiß sie, dass dem Kind, das den Unfall schwer verletzt überlebte, geholfen werden kann, wenn die Wahrheit ans Licht kommt. Marlies scheut vor nichts zurück - auch nicht davor, sich mit einflussreichen Autobauern anzulegen.
ZDF: Viele Menschen denken sofort an die berühmte Ballade von Goethe, wenn vom "Erlkönig" die Rede ist. Ging es Ihnen auch so?
Bodenbender: Offen gestanden, ja. Während des Lesens der ersten Drehbuchseiten war ich zunächst irritiert, bis ich verstand, dass es hier um Autos geht. Dass "Erlkönig" ein Begriff für Testwagen ist, die bis zur Serienreife inkognito bleiben, war mir nicht geläufig. Über Unfälle auf Autobahnen, ausgelöst durch rasende Testfahrer, hatte ich natürlich schon gelesen. Das Buch hat mich schnell gefesselt. Auch wenn es in dieser Geschichte um Autos geht, birgt der Film für mich einen frauenaffinen und politischen Stoff. Erzählt wird von einer Frau, die sich mit einem vermeintlichen Selbstmord auf einer Autobahn auseinandersetzen muss. Anfangs noch überzeugt von dieser Version findet sie nach und nach Indizien, die dafür sprechen, dass es sich um Fahrerflucht eines Testfahrers der Automobilindustrie handelt. Mit diesen Erkenntnissen gerät sie zwischen die Fronten, und es entwickelt sich eine psychologische, sehr subtile, fast kammerspielartige Geschichte, in der sie sich mit der mächtigen Automobilindustrie und damit auch mit Männern anlegt.
ZDF: Sie haben den Ruf, Ihren Beruf mit großer Akribie auszuüben.
Bodenbender: Ja, ich bereite mich auf Dreharbeiten schon sehr genau vor. In Drehbüchern markiere ich mit bunten Zetteln ähnlich wie in einer Partitur Spannungsbögen und Haltungswechsel meiner Figur. Da nie chronologisch gedreht wird, kann ich dann am Set anhand der Farbe der Zettel erkennen, in welchem emotionalen Zustand und Spannungsbogen sich meine Figur in der Szene befindet. Diese Methode, oder vielmehr dieses Gerüst, gibt mir Sicherheit und damit die Freiheit, aus dem Bauch heraus spielen zu können.
ZDF: Wie war es für Sie, eine Schwangere zu spielen?
Bodenbender: Ganz spannend und auch lustig. Mir wurden insgesamt vier Bäuche für die verschiedenen Schwangerschaftsphasen "angelegt". Manchmal habe ich während der Mittagspause getestet, ob mein Bauch wirklich echt aussieht und bin einkaufen gegangen. Dabei habe ich gemerkt, dass viele Leute ganz anders auf eine Schwangere reagieren. Viel aufmerksamer und zugewandter. Gegen Ende der Dreharbeiten sprach mich ein Passant an, der täglich an unserem Cateringwagen vorbeiging - er ermahnte mich, dass mein Kaffeekonsum für eine Schwangere viel zu hoch sei. Für das Drehbuch war die Schwangerschaft aus meiner Sicht aber eher nebensächlich. Ich sehe sie als interessante Farbe für diese Figur an, denn Marlies ist ja eine Frau, die sich nicht besonders damit auseinandersetzt, dass sie ein Kind erwartet. Sie geht voll in ihrem Job auf. Die Schwangerschaft lässt sie in letzter Konsequenz vielleicht emotionaler und extremer handeln.
ZDF: Ihren Durchbruch hatten Sie im letzten Jahr mit Ihrer Rolle in Dieter Wedels "Papa und Mama". Damit sind Sie im Vergleich zu anderen Kolleginnen relativ spät zum Film gekommen. Fühlten Sie sich auf der Bühne wohler?
Bodenbender: Ich war schon während der Schauspielausbildung am Theater engagiert. Morgens fuhr ich zur Schule, abends stand ich als Gretchen auf der Bühne. Die Erfahrung der Doppelbelastung hat meinen Werdegang sehr beeinflusst. Ich stellte in der Praxis fest, was mir handwerklich noch fehlte, konnte mich gleichzeitig freispielen und eine eigene Arbeitsmethode finden. Die Bühne war für mich die Vervollständigung der Ausbildung. Eine Zeitlang habe ich daher bewusst Filmangebote ausgeschlagen. Inzwischen bin ich nicht mehr fest an einem Theater engagiert, weil mich der Wechsel zwischen den Spielweisen in Theater und Film interessiert.