Rita Russek spielt die Hauptrolle der Buchhändlerin Christine Bonhoff, deren Familienangehörige ihr viel Toleranz und Verständnis abverlangen. Im Interview verrät sie, wieviel sie privat mit ihrer Rolle gemein hat und welchen Stellenwert der Begriff Familie für sie hat und was ihr persönlich das Gefühl von Familie gibt.
ZDF: Frau Russek, Sie spielen eine gestandene Frau, die sich nicht unterkriegen lässt, aber bei ihren Bemühungen, eigenständig und vor allem unabhängig zu handeln, mit einer Reihe von Schicksalsschlägen kämpfen muss. Hat die Buchhändlerin Christine etwas mit Ihnen gemein?
Rita Russek: Mir ist eine Reihe von Situationen vertraut, durch die sich Christine kämpfen muss. Sie scheint tough und stark, das scheine ich auch. Aber ich bin längst nicht ganz so geduldig und langmütig wie sie.
ZDF: Christine kämpft vor allem mit ihrer Familie, die offensichtlich der Ansicht ist, ohne Rücksicht immer und überall auf die Mutter zugreifen zu können, ein Thema, das vielen Zuschauerinnen bekannt vorkommen dürfte. Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht die Familie in der heutigen Gesellschaft?
Russek: Meiner Meinung nach wird der Begriff der Familie bei uns viel zu hoch bewertet. Der traditionelle Begriff hinterlässt bei mir ein ungutes Gefühl: Es werden Werte, es wird ein Zusammenhalt propagiert, der doch oft mehr Schein als Sein ist oder zumindest eine Reihe von Halbwahrheiten enthält. Einerseits erwartet man von den Eltern, dass sie Kinder in die Welt setzen, andererseits bekommen die Familien vom Staat viel zu wenig finanzielle Unterstützung, um vernünftig existieren zu können.
Schauen Sie sich doch einmal den teuren Wohnraum in München an! Wie bitte sollen sich Familien eine gut geschnittene, kindgerechte Wohnung leisten können? Und wie sollen sie die Kosten für eine gute Kinderbetreuung aufbringen?
Ein anderes Thema ist die Altenpflege. Auch hier wird erwartet, dass die Alten innerhalb der Familien betreut werden - meistens sind es die Töchter und Schwiegertöchter, an denen diese Aufgabe hängen bleibt. Christine geht es auch so. Auch sie kümmert sich neben ihren vielen Aufgaben um den hilfsbedürftigen Vater. Der Staat entzieht sich der Verantwortung meiner Ansicht nach.
ZDF: Sollten wir uns demnach von dem klassischen Konstrukt der Familie verabschieden?
Russek: Zumindest von dem Begriff der angeblich "heiligen Familie"! Wir müssen Alternativen schaffen und uns den gesellschaftlichen Realitäten anpassen. Es gibt so viele Singles, denen letztendlich der Mut für Familie fehlt. Das ist unter anderem eben darin begründet, das es zu wenig Unterstützung für Familiengründungen gibt.
ZDF: Wie haben Sie persönlich als junger heranwachsender Mensch den Begriff Familie empfunden?
Russek: Meine Mutter wird das jetzt nicht gern lesen, aber ich habe mir meine Familien immer frei gewählt. Familie - das waren für mich zum Beispiel auch die Kollegen am Filmset oder im Theater. Dort erlebe ich, auf einen Zeitraum begrenzt, oft ein sehr schönes familiäres System, das auf Vertrauen, Kooperation, Auseinandersetzung und auf einer zärtlichen Stimmung beruht. Das Gefühl von Familie habe ich auch mit dem Team bei den Dreharbeiten zu "Familie ist was Wunderbares" erfahren.
ZDF: Christine fällt es schwer, Nein zu sagen. Bittet ihre Tochter sie, auf die Enkelin aufzupassen, übernimmt sie die Kleine sofort, obwohl sie eigentlich gar keine Zeit hat. Kommen Ihnen persönlich solche Situationen bekannt vor?
Russek: Aber ja! Ich werde auch weich, wenn meine erwachsene Tochter mit ihrem Charme, von dem sie eine Menge hat, mit ihrem "Mammaaaa, kannst du mal ..." kommt. Ich denke, dass auch die Mütter sich ändern müssen, um sich nicht von allen zu jeder Zeit benutzen zu lassen. Wenn man die Rolle des Mega-Alpha-Muttertiers nicht verlassen möchte, bleibt es bei den alten Strukturen. Der einzige Luxus, den es gibt, ist doch, Nein zu sagen. Aber jeder muss für sich entscheiden, welchen Preis er zu zahlen bereit ist, wenn er Nein sagt!
ZDF: Am Ende des Films geht Ihre Christine einfach aus dem Haus, ohne sich zu verabschieden. Ihr Exmann wollte ihr gerade die schmutzige Wäsche in die Hand drücken. Hat Christine es nun endlich geschafft, sich von ihrer nervigen Familie zu emanzipieren?
Russek: Die Interpretation dieser Schlussszene überlassen wir dem Zuschauer. Christine geht zumindest weg. Sie entfernt sich von den egoistischen Ansprüchen der anderen, die davon überzeugt sind, zu jeder Tages- und Nachtzeit auf die Mutter, Exfrau, Oma und Geliebte zurückgreifen zu können. Warten wir es ab! Vielleicht schickt uns Christine ja eine Karte!