Der renommierte und vielfach ausgezeichnete Fernsehautor und Regisseur Niki Stein beherrscht eindrucksvoll die Kunst, Krimis und Thriller akribisch und realistisch zu erzählen. Für den Thriller "Die Frau aus dem Meer" hat er sowohl das Drehbuch geschrieben als auch Regie geführt. Im Interview beschreibt er, wie er seine Ideen entwickelt und äußert sich zum Thema illegale Prostitution in Deutschland.
ZDF: Warum schreiben Sie Ihre Drehbücher selbst?
Niki Stein: Jetzt zu antworten: "Weil es so wenig gute Bücher gibt!", wäre einfach. Tatsächlich bekomme ich die nicht oder nur sehr unfertig angeboten. Vielleicht ist es aber auch so, dass viele Autoren mich im Wissen um meinen sehr kritischen Umgang mit ihren Büchern als Regisseur scheuen. Ich finde das schade. Meine besten Filme habe ich, wie ich finde, meist in der Zusammenarbeit mit Autoren hinbekommen. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.
ZDF: Haben Sie beim Schreiben schon genau im Kopf, wie Sie die Szenen drehen wollen?
Stein: Das ist natürlich ein Vorteil des "schreibenden Regisseurs". Ich schreibe schon mit einer ziemlich genauen Vorstellung der "mis en scene", weil ich genau um die Schwierigkeiten der Inszenierung weiß.
ZDF: Was entsteht bei Ihnen zuerst: Genre, Plot, Bilder, Charaktere oder einzelne Dialoge?
Stein: Der Plot. Aber dann müssen sofort die Charaktere kommen. Das ist ein Hauptmanko, das vielen "deutschen Büchern" anhaftet. Sie beschreiben interessante Plots, schöne, eindrucksvolle Bilder, aber vernachlässigen die Nachvollziehbarkeit menschlichen Verhaltens. Hier aber liegt, wenn Sie so wollen, die Keimzelle dramatischen Erzählens.
ZDF: Wie entwickeln Sie die Themen Ihrer Filme?
Stein: Wenn man in Deutschland einen Thriller schreiben möchte, der Korruption, Gier und Eitelkeit, also die drei großen Triebfedern gesellschaftlicher Entwicklung zum Thema hat, und das auch noch vor einem politischen Hintergrund erzählen möchte, schreien alle: "Lass die Finger davon!" So war es für mich ein kleines Wunder, dass ich diesen Film machen konnte. Ich hoffe, der Zuschauer wird sagen: "Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor!". Aber das eigentliche Thema findet man oft erst beim Schreiben. Sie können sich beispielsweise vornehmen - wie bei "Die Frau aus dem Meer" - eine Geschichte über die Korruption als Katalysator von Erosionsprozessen des demokratischen Prinzips zu schreiben. Am Ende aber landen sie bei der Wahrheitssuche als zerstörerische Kraft. Man landet immer beim individuellen Konflikt. Das war schon bei "Hamlet" so.
ZDF: Was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem in der Bekämpfung von Frauenhandel in Deutschland?
Stein: Die Mechanismen sind ja überall gleich: Ein immenses Wohlstandsgefälle bereitet den Nährboden für falsche Versprechungen und Gutgläubigkeit. Der Skandal ist, dass es ein Leichtes wäre, diese Sümpfe trocken zu legen, in dem man beispielsweise das Vermitteln dieser "Dienstleistungen" unter Strafe stellt. Im Moment sind Prostituierte aus osteuropäischen Ländern quasi "Selbstständige ohne Gewerbeerlaubnis". Und der Bordellbetreiber, der sie in seinen Häusern anschaffen lässt, lediglich Zimmervermieter, den sie - wenn überhaupt - wegen Mietwucher belangen können ... es sei denn, weitere Straftaten (Freiheitsberaubung, Körperverletzung) kommen hinzu. Wenn der Kunde juristisch angesehen würde, wie zum Beispiel ein Drogenkonsument, sähe die Sache schon ganz anders aus.
ZDF: Wie waren die Dreharbeiten mit Anja Kling und Ulrich Tukur?
Anja Kling alias Nora Jaspers, bleibt als Ermittlerin, die es mit allen aufnehmen muss, dank ihrer Schauspielkunst vor allem Mensch, und ist kein "Supergirl". Sie weiß von Anfang an, dass sie die Entwicklung nicht stoppen kann. Dieses Verhängnis spielt sie mit untergründiger Trauer. Und doch gibt sie nicht auf. Für mich sind Schauspieler dann herausragend, wenn sie mich überraschen. Wenn sie Facetten aus den Rollen herausholen, die ich so gar nicht gesehen habe. Das trifft für Anja Kling wie für Ulrich Tukur zu. Und beide sind dazu noch fabelhafte Menschen, ohne Macken und Marotten, die einfach professionell ihre Arbeit machen. Bleibt festzustellen, dass Nora Jaspers sicher nicht zu den erschreckenden 30 Prozent gehört, die laut Umfrage eines Meinungsforschungsinstitutes, mit dem Begriff "Demokratie" nichts mehr anfangen können. Ich hoffe, da lohnt sich das Fernsehgucken.