Auch der Versailler Vertrag jährt sich zum 100. Mal, diesmal in einer Zeit, in der Frankreichs Präsident "Liebeserklärungen" an Deutschland richtet und zu einer gemeinsamen Vertiefung der Einigung Europas aufruft – im Vorfeld der nunmehr neunten Direktwahlen zum Europäischen Parlament. Die Geschichte der Bundesrepublik ist von Anfang an auch eine des Wandels von ehemaliger Gegnerschaft zur Partnerschaft und Freundschaft mit den Nachbarn.
"Heute, am 23. Mai, beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte unseres Volkes", so lauteten die ersten Worte der Ansprache Konrad Adenauers zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949. Nur vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches wurde das Bonner Grundgesetz unterzeichnet. Die Staatsgeburt war auch von Skepsis begleitet. Würde Bonn wie Weimar werden? Als das Grundgesetz verkündet wurde, war von einem Provisorium die Rede, denn das Land blieb geteilt, die Wiedervereinigung als Staatsziel lag in unabsehbar weiter Ferne.
Damals litten in Deutschland und Europa immer noch Millionen Menschen unter den Folgen des Krieges und der Verbrechen, die von Deutschen verübt worden waren. Noch immer ragten Trümmer aus vielen Städten, die Wirtschaft kam erst allmählich in Gang. Doch dann nahm das Provisorium Formen an, der Aufstieg aus den Ruinen des Weltkriegs zum so genannten "Wirtschaftswunderland" gelang in einem rasanten Tempo. Mit Wohlstand wuchs auch die Stabilität der Demokratie und ihre Akzeptanz.
Auch das gaben die Eltern des Grundgesetzes der jungen Republik mit auf den Weg: "…als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". Konrad Adenauer konnte es gar nicht schnell genug gehen, durch die Bindung an (West-) Europa eine Aufwertung, Einbettung und wirtschaftliche Perspektive für den soeben gegründeten Staat zu erreichen. Es war auch das naheliegende Konzept, nachdem extremer Nationalismus und Diktatur den Kontinent in die Katastrophe gestürzt hatten. Manche sahen darin auch eine kleine Flucht in die schöne Idee vom geeinten Europa, um vom Ballast der NZ-Zeit loszukommen. Am liebsten hätte Adenauer schon 1954 eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft erreicht und bald danach die politische Gemeinschaft.
Die deutsche Spaltung vertiefte sich hingegen. 40 Jahre DDR bleiben als sozialistisches Gegenbild zur freiheitlichen Republik im Westen in Erinnerung. Wechselseitig haben beide deutsche Staaten aufeinander eingewirkt, eine gemeinsame und geteilte Geschichte geprägt. Nachdem die DDR-Bürger 1989 die trennende Mauer friedlich überwunden hatten, gelang es wenig später, die Spaltung Deutschlands und Europas zu beenden, gefolgt von der Osterweiterung der EU.
Standen bei früheren Jahrestagen eher Fragen zur inneren Vereinigung der Deutschen im Vordergrund, sind es heute zum einen globale Themen: Der Flüchtlingsfrage, der Klimawandel, instabile internationale Finanzmärkte, Spaltungstendenzen der EU und transatlantische Irritationen. Doch zum anderen wachsen auch innenpolitisch die Herausforderungen: Sieben Jahrzehnte nach Gründung der Bundesrepublik sehen manche Beobachter zumindest Anzeichen, die an "Weimarer Verhältnisse erinnern. Volksparteien verlieren an Stimmen, die Parlamente erleben einen Rechtsruck, Regierungsbildungen werden schwieriger. Die politische Rhetorik radikalisiert sich, völkische und nationalistische Töne finden Widerhall. Wieweit dies wirklich die Demokratie gefährdet, ist offen.
Und die Stabilität in Europa? Hier gilt Deutschland nach wie vor als ökonomisches und politisches Schwergewicht, was unterschiedlich wahrgenommen wird. Einige Partner fürchten deutsche Dominanz, andere fordern die Macht in der Mitte auf, sie solle mehr Verantwortung übernehmen – bei der Sicherung des Friedens, bei der Bewältigung internationaler Krisen und Konflikte.
Dies zählt nach 70 Jahren ebenso zur Bilanz wie die Feststellung, dass die zurückliegenden Dekaden die friedlichsten und freiheitlichsten der deutschen Geschichte waren.