„Wie soll man mit einem Menschen leben, auf dessen Arm eine Zahl eintätowiert ist? Sie öffnen morgens die Tür, ihr Nachbar kommt heraus und er hat eine Nummer auf dem Arm. Was sagen Sie zu ihm? Wie soll man mit Überlebenden der Shoa leben, wie mit ihnen zur Arbeit gehen, wie mit ihnen lachen, ans Meer fahren, ins Kino gehen. Wie soll man sich in sie verlieben? Wie mit ihnen Kinder zeugen... wie?“ (Tom Segev, israelischer Historiker und Journalist)
Das Leiden der Opfer geht weiter
Viele Holocaust-Überlebenden wandern nach Kriegsende nach Palästina aus. Doch es ist für sie ein fremdes Land. Sie sind mittellos und beherrschen noch nicht einmal die Sprache. Was für viele noch schlimmer ist: sie werden beschuldigt, nur auf Kosten anderer überlebt zu haben: „Wie hatten sie es geschafft, am Leben zu bleiben? Sie hatten das Gefühl, dass man ihnen vorwarf, nicht tot zu sein.“ (Shulamit Volkov, israelische Historikern)
Unter den Juden Israels ist das Gefühl verbreitet, dass die Überlebenden des Holocaust schlecht waren. Die Guten waren gestorben. So leiden die Opfer im Stillen weiter:
„In Jerusalem hörte man die Leute schreien, nachts, wenn sie Alpträume hatten. Ich kann nicht sagen, was sie schrien, ich verstand es nicht. Aber sie schrien, nachts.“ (David Grossmann, israelischer Schriftsteller)
Auch in Israel beschließt man, einen Schlussstrich unter den Holocaust zu ziehen und nicht mehr darüber zu sprechen. Es wird ein Tabu-Thema: „Jahrelang galt der Grundsatz: ‚Keine Shoa, keine Shoa, keine Shoa. Keine Vergangenheit. Nur Zukunft.‘ Die Menschen haben das verinnerlicht, die Kinder der Überlebenden der Shoa ebenfalls.“ (Aharon Appelfeld, israelischer Schriftsteller)
Die Geschichte des Holocaust wird wiederentdeckt
Das ändert sich erst, als Adolf Eichmann, einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust, 1960 in Argentinien gefangengenommen und in Israel vor Gericht gestellt wird. Der Eichmann-Prozess ist das erste große Ereignis, dass den Holocaust als gesondertes Ereignis jenseits des Zweiten Weltkriegs darstellt. Durch den Eichmann-Prozess entdecken die Menschen Israels die Geschichte des Holocaust wieder. Doch wie soll man mit dieser Geschichte, mit dieser Last umgehen?
Diese Frage stellt sich nicht nur in Israel, sondern auch in all jenen Ländern, in denen die Gräueltaten begangen, das jüdische Leben vernichtet wurde. Die Antworten reichen vom „Shoa-Business“ in Polen bis hin zur „Shoa-Müdigkeit“:
„Die Deutschen sagen: „Sollen wir vielleicht bis ans Ende aller Generationen die Schuld von Auschwitz mit uns herumtragen?“ (Dina Porat, israelische Historikerin)